Verteilungsfolgen der Geldpolitik

In den makroökonomischen Standardmodellen wird nicht einmal anerkannt, dass die Einkommensverteilung wichtig ist; kein Wunder also, dass die Notenbank die Verteilungsfolgen ihrer geldpolitischen Entscheidungen oftmals nicht bedacht zu haben scheint. Selbst wenn ihr Hauptaugenmerk der Beschäftigung gilt, wird sie dadurch, dass sie die Verteilungsfolgen ihrer Maßnahmen nicht berücksichtigt, zu Entscheidungen veranlasst, die kontraproduktiv sein können.

So konzentriert sich die Notenbank beispielsweise in dem Irrglauben, Änderungen der Zinssätze seien ein einfacher »Hebel«, mit dem sie das Wirtschaftsgeschehen steuern könne, eben darauf: Zinssenkungen kurbeln die Konjunktur an, Zinserhöhungen dämpfen sie. Auch wenn es Zeiten und Situationen geben mag, in denen das Drehen an der Zinsschraube diese Wirkungen entfaltet, sind diese Zusammenhänge zu anderen Zeiten bestenfalls schwach, und andere Instrumente könnten dann weitaus effektiver sein. Zur Bekämpfung der Immobilienblase wäre es zum Beispiel sinnvoller gewesen, statt der Zinsen die Mindestanzahlungen (den geforderten Eigenkapitalanteil) bei Hypotheken zu erhöhen; aber man wollte produktive Investitionen nicht drosseln, nur um Luft aus der Blase zu lassen. Für die Notenbank mit ihrer unkritischen Verehrung des Preissystems und ihrem Glauben an die Zauberkräfte des Marktes waren solche Regulierungen natürlich ein rotes Tuch.

Als die Wirtschaft ins Trudeln geriet, mag die Senkung der Zinsen die Banken gerettet haben – die Konjunktur hat sie eindeutig nicht angeregt. Selbst wenn die niedrigeren Zinsen, die Banken für (Zentralbank-) Geld zahlten, an Kreditnehmer weitergereicht worden wären, hätte dies in den meisten Sektoren nicht zu nennenswerten Neuinvestitionen geführt, da die Kapazitätsauslastung sehr gering war – die vorhandenen Kapazitäten waren bereits mehr als ausreichend, um selbst eine stark ansteigende Nachfrage zu befriedigen. Abgesehen davon, dass die Banken billiges Geld bekamen – eine versteckte Subvention –, brachten die Zinsschnitte daher nicht viel. Als die Notenbank nach dem Platzen der Dotcom-Blase die Zinsen gesenkt hatte, hatte die Investitionstätigkeit der Unternehmen ebenfalls kaum zugenommen, dafür aber bildete sich die Immobilienblase. Doch so stark wie die Immobilienpreise jetzt gesunken waren, war es äußerst unwahrscheinlich, dass niedrigere Zinsen hier einen größeren Effekt (auf die Nachfrage) entfalteten.

Dagegen fielen durchaus Kosten an: Alle jene besonnenen Rentner, die in vermeintlich sichere Staatsanleihen investiert hatten, mussten erleben, wie ihr Einkommen dahinschwand. So kam es zu einem großen Vermögenstransfer von den Rentnern zur Regierung und von der Regierung zu den Banken. Aber der Schaden, den die Rentner erlitten, wurde weitgehend totgeschwiegen, und es wurde kaum etwas getan, um ihn auszugleichen.9

Die niedrigeren Zinsen dämpften das Ausgabeverhalten auch in anderer Weise. Personen, die sich der Altersgrenze näherten, mussten mehr sparen, das heißt viel mehr Geld in sicheren Staatsanleihen anlegen, um das gewünschte Alterseinkommen zu erzielen. Das Gleiche galt für Eltern, die für die Ausbildung ihrer Kinder Geld auf die hohe Kante legten. Schon eine oberflächliche Prüfung der Verteilungswirkungen dieser geldpolitischen Maßnahmen hätte Zweifel an der Effektivität der Niedrigzinspolitik wecken müssen.10

Doch die Notenbank, die immer nur die Interessen des obersten einen Prozents im Auge hatte, behauptete, niedrigere Zinsen würden den Aktienkursen Auftrieb geben – was primär den Reichen zugutekommt, auf die ein unverhältnismäßig großer Anteil des US-Aktienvermögens entfällt –, und höhere Aktienkurse würden den Konsum beleben, da die Menschen das Gefühl hätten, wohlhabender zu sein. Doch die Zinsen würden nicht für immer so niedrig bleiben, was bedeutete, dass der Anstieg der Aktienkurse wahrscheinlich nicht von Dauer sein würde. Es war unwahrscheinlich, dass sich ein vorübergehender Börsenboom aufgrund einer vorübergehenden Zinssenkung, von der insbesondere die Reichen profitierten, in einer nachhaltigen Konsumbelebung niederschlagen würde.11

Die Niedrigzinspolitik der Notenbank belebte zwar nicht, wie erhofft, die Investitionstätigkeit, ermunterte aber diejenigen, die Investitionen planten, den Faktor Arbeit durch billiges Kapital zu ersetzen. Tatsächlich befanden sich die Preise für Kapital vorübergehend auf einem künstlich niedrigen Niveau, und da bot es sich an, sich diese ungewöhnliche Situation zunutze zu machen. Dadurch wurden verzerrte Innovationsmuster verstärkt, die ausgerechnet zu einer Zeit, da Arbeitskräfte in immer größerer Zahl zur Verfügung standen, auf deren Einsparung hinwirkten. Es ist seltsam, dass Lebensmittelgeschäfte und Drugstores just dann, wenn die Arbeitslosigkeit unter Geringqualifizierten so hoch ist, Kassierer durch automatische Kassen ersetzen. Die Notenbank erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass der nächste Aufschwung ein »beschäftigungsloser« wäre. Tatsächlich kennzeichnete dies auch die Erholung nach der Rezession 2001, in der die Notenbank die Zinsen ebenfalls deutlich gesenkt hatte.12

Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht
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