Kürzungen bei den Sozialleistungen
Wenn die Rechte sich nicht gerade wie wild selbst gegen geringfügige Steuererhöhungen für die Reichen wehrt, treten das eine Prozent und seine Verbündeten für Kürzungen der Sozialleistungen ein – sowohl bei der medizinischen Versorgung für die Älteren als auch bei der staatlichen Rentenversicherung, beides Leistungspakete, die oft geringschätzig als »die Ansprüche der Mittelschicht« bezeichnet werden. Die Rechte bekämpfte beide Programme und macht sie heute für die Finanzprobleme des Landes verantwortlich; am liebsten würde sie das eine wie das andere privatisieren.
Die Privatisierung beruht selbstverständlich auf einem weiteren Mythos: dass staatliche Leistungen ineffizient sein müssen und Privatisierung ergo die bessere Lösung sein muss. Tatsächlich sind die Transaktionskosten der staatlichen Rentenversicherung und von Medicare viel, viel niedriger als die privater Gesellschaften, die vergleichbare Leistungen erbringen. Dies sollte uns nicht überraschen. Privatfirmen streben nach Gewinn, und Transaktionskosten sind für sie daher eine gute Sache; sie wollen, dass die Differenz zwischen dem, was sie einnehmen, und dem, was sie auszahlen, so groß wie möglich ist.31
Im Fall der staatlichen Programme bringt die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben langfristig Probleme. Bei der Rentenversicherung ist die Finanzierungslücke vermutlich relativ klein, allerdings ist diese Aussage mit vielen Unsicherheiten behaftet. Die finanzielle Situation der staatlichen Rente hängt stark von Vorhersagen über die Lohn-und Bevölkerungsentwicklung sowie über die Lebenserwartung ab. Selbst ein Jahr vor Beginn der Großen Rezession wurde die Krise von kaum einem Konjunkturprognostiker treffend vorhergesagt; ökonomischen Vorhersagen für die nächsten vierzig Jahre sollte man daher keinen großen Glauben schenken. Das Programm wird vielleicht sogar Überschüsse erwirtschaften, insbesondere wenn die Zuwanderungsrate sich (relativ zur Gesamtbevölkerung) so weiterentwickelt wie vor der Rezession. Aber natürlich müssen wir uns auch auf die Möglichkeit einstellen, dass es langfristig zu einem hohen Defizit kommt und dass entweder Beiträge oder Leistungen angepasst werden müssen.
Einige Anpassungen sollten wir schon jetzt vornehmen: die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze (im Jahr 2011 wurden Beiträge nur bis zu einer Einkommenshöhe von 106 800 Dollar erhoben, so dass nur knapp 86 Prozent der Löhne der Sozialversicherung unterlagen); die kontinuierliche Anpassung des Rentenalters an die steigende Lebenserwartung (allerdings verbunden mit verstärkter Unterstützung für diejenigen, die wegen verminderter Erwerbsfähigkeit frühverrentet werden); und eine progressivere Gestaltung des Systems, um der wachsenden Ungleichheit in unserer Gesellschaft besser gerecht zu werden. Die Spitzenverdiener erhalten gegenwärtig etwas weniger, als sie einzahlen; die Einkommensschwächsten bekommen etwas mehr heraus. Die Heraufsetzung der Beitragsbemessungsgrenze beispielsweise würde einerseits den Geringverdienern nutzen und andererseits die Rentenversicherung auf ein solideres finanzielles Fundament stellen. Langfristig mögen einige weitere Anpassungsschritte notwendig sein, etwa eine leichte Erhöhung der Abgaben und eine geringfügige Kürzung der Leistungen; aber selbst in den Standardszenarien fällt die Finanzierungslücke eher klein aus.32
Die staatliche Rentenversicherung ist beeindruckend erfolgreich; sie hat nicht nur die Altersarmut fast beseitigt,33 sondern bietet auch eine Sicherheit, mit der keine private Versicherung mithalten kann, schützt sie doch sowohl vor der Volatilität des Aktienmarktes als auch vor dem Inflationsrisiko. Viele Amerikaner, die auf private Altersversorgung setzten, wissen, wovon ich rede: Obwohl der Staat eine ausreichende Kapitalausstattung privater Pensionsfonds zu gewährleisten versucht, zocken Firmen ihre Mitarbeiter ab. Bevor Unternehmen Konkurs anmelden, bringen die CEOs noch schnell ihr Schäfchen ins Trockene, während die Pensionsfonds hohen Verlustrisiken ausgesetzt sind. Präsident Bush wollte die staatliche Rente nicht deshalb privatisieren, um amerikanischen Rentnern mehr Geld oder mehr Sicherheit zu verschaffen oder um die Effizienz zu verbessern. Es ging ihm nur um eines: dem einen Prozent auf Kosten der 99 Prozent noch mehr Geld zuzuschanzen, Wall Street also ein Geschenk zu machen. Die Größenordnungen der potenziellen Summen, um die es dabei geht, sind enorm. Man denke nur an die 2,6 Billionen Dollar im Fonds der staatlichen Rentenversicherung. Wenn die Wall Street für die Verwaltung dieser Gelder nur ein Prozent pro Jahr einstreichen könnte, wäre dies für die Vermögensverwalter eine zusätzliche Goldgrube im Wert von 26 Milliarden Dollar jährlich.