KAPITEL 9

Eine makroökonomische Politik und eine Zentralbank von dem einen Prozent für das eine Prozent

Es mag einige Leser verwundern, in einem Buch über Ungleichheit auf ein Kapitel über Makroökonomik zu stoßen: jenes Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre, das sich mit der Konjunktur, der Gesamtproduktion (Output, BIP) und der Beschäftigung sowie mit Zinsen und Inflation befasst. Dabei wirkt sich nichts stärker auf das Wohl der meisten Bürger aus als der gesamtwirtschaftliche Zustand – ob Vollbeschäftigung gegeben ist und wie hoch das Wachstum ist. Und wenn die makroökonomische Politik versagt und die Arbeitslosigkeit stark ansteigt, dann leiden die Armen und Schwachen am meisten darunter. Ganz allgemein hat die makroökonomische Politik erhebliche Auswirkungen auf die Einkommensverteilung. Politische Entscheidungsträger sollten sich dessen bewusst sein, aber sie handeln oft so, als ob das nicht der Fall wäre. Tatsächlich wird die Einkommensverteilung in der Makroökonomik nur selten thematisiert, und genau das ist der Punkt.

Die Hauptaufgabe der Wirtschaftspolitik besteht darin, die gesamtwirtschaftliche Stabilität zu wahren. Die Große Rezession liefert uns in dieser Hinsicht ein anschauliches Beispiel für ein kolossales Versagen. Und dieses Versagen hat den einfachen Bürgern Amerikas – Arbeitern, Hausbesitzern und Steuerzahlern – eine enorme Bürde auferlegt. Ich habe gezeigt, wie das Versagen der Makroökonomik schließlich die Probleme unseres Wirtschaftssystems in den Vordergrund rückte. Wenn alles glatt lief, ging es den meisten Menschen finanziell gut, und sie konnten sich selbst einreden, dass diejenigen, die schlechter dastanden, sich dies selbst zuzuschreiben hätten. Aber die Rezession von 2008 setzte dieser Illusion ein jähes Ende. Zu viele Menschen, die »sich an die Regeln gehalten, fleißig studiert und hart gearbeitet hatten«, kamen nur noch mit Mühe über die Runden oder nicht einmal mehr das. Das System funktionierte nicht.

Ich habe in diesem Buch die These vertreten, dass unser Wirtschaftssystem in vielerlei Hinsicht die Spitzenverdiener auf Kosten aller anderen privilegiert und dass dieses System meilenweit von dem entfernt ist, was »Modell der leistungsbezogenen Einkommensfestsetzung« genannt wird, wonach das persönliche Einkommen den jeweiligen Beitrag zum Allgemeinwohl widerspiegelt. In diesem Kapitel konzentrieren wir uns darauf, welchen Beitrag unsere makroökonomische Politik dazu geleistet hat – vor, während und nach der Krise.

Politik ist mit Richtungsentscheidungen verbunden. Alle politischen Maßnahmen haben Verteilungswirkungen. Und manche politische Entscheidungen haben sowohl die Ungleichheit verschärft – die Reichen begünstigt – als auch der Wirtschaft geschadet.

Vielen Entscheidungen sind jedoch komplizierter und mit schwierigen Abwägungen verbunden. Wenn es einen Zielkonflikt zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit gibt, hat die Entscheidung, die Inflation möglichst niedrig zu halten, höhere Arbeitslosigkeit zur Folge, und die Leidtragenden sind die Arbeitnehmer; strebt man dagegen nach niedriger Arbeitslosigkeit, bedeutet dies eine höhere Inflation, so dass Anleihegläubiger Vermögenseinbußen erleiden. Man hätte bei der Geldpolitik einen ganz anderen Kurs verfolgt, wenn man, statt eine Inflationsrate von unter zwei Prozent eine Arbeitslosenquote von unter fünf Prozent angestrebt hätte.

Verschiedene wirtschaftspolitische Weichenstellungen erlegen den einzelnen gesellschaftlichen Segmenten auch unterschiedliche Risiken auf. Wer trägt die Konsequenzen, wenn etwas schiefgeht? Wer erntet die Früchte, wenn es gutgeht? Die US-Notenbank ging eine Wette ein, als sie darauf vertraute, die Banken würden die Risiken, die sie eingehen, von sich aus begrenzen – eine Wette, die sich für die Banken enorm auszahlte, aber der Allgemeinheit die Zeche aufbürdete. Die Notenbank hätte die leichtfertige und ausbeuterische Kreditvergabe und die dubiosen Geschäftspraktiken bei Kreditkarten eindämmen können, aber sie entschied sich dagegen.

Wieder einmal waren die Banken die Gewinner, alle anderen die Verlierer.

Die Geldpolitik, andere makroökonomische Instrumente und die US-Notenbank trugen somit in vielfältiger Weise zu dem sich verschärfenden Problem der Ungleichheit in den USA bei. Eine manchmal unnötig hohe Arbeitslosenrate (die Lohnsenkungen zur Folge hat) bedeutete für Arbeitnehmer im unteren und mittleren Einkommensbereich Einbußen. Zu wenig Schutz vor den missbräuchlichen Praktiken der Banken drückte ihren Lebensstandard. Ich werde zeigen, dass die gegenwärtigen makroökonomischen Strategien womöglich sogar zu einer wirtschaftlichen Erholung beitragen werden, die, wann auch immer sie einsetzen mag, ohne neue Arbeitsplätze auskommt. Versteckte Subventionen für Banken und die Deregulierung, die in hohem Maße für die Finanzialisierung der Wirtschaft mit verantwortlich ist, begünstigten die Umverteilung von unten nach oben, und eine aggressive Strategie der Inflationsbekämpfung bedeutete, dass reiche Anleihegläubiger nicht befürchten mussten, dass ihre Werte womöglich verfallen würden.

Dieses multiple Versagen ist kein Zufall. Die institutionellen Mechanismen geldpolitischer Entscheidungsfindung wurden gezielt so gestaltet, dass die Banken und ihre Verbündeten unverhältnismäßig großen Einfluss darauf nehmen können. Dies schlug sich sogar in den Modellen nieder, die in das Standardinstrumentarium der Zentralbanken aufgenommen wurden. Ihr Hauptaugenmerk galt der Inflation (die den Anleihegläubigern ein Dorn im Auge ist), während Verteilungsfragen ausgeblendet wurden (darüber sollten sich die Zentralbanken nach dem Willen der Geschäftsbanken nicht den Kopf zerbrechen) – obwohl meines Erachtens die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich entscheidenden Anteil an der wirtschaftlichen Instabilität hat.

So wie die Große Rezession die Aufmerksamkeit auf das Auseinanderdriften der Vermögensverhältnisse in Amerika lenkte – und dadurch den Mythos zerstörte, alle Amerikaner hätten von dem Wachstum des vergangenen Vierteljahrhunderts profitiert –, so räumte sie auch mit zwei weiteren Mythen auf: den Vorstellungen, dass Inflationsbekämpfung ein Eckpfeiler ökonomischen Wohlstands sei und dass eine unabhängige Zentralbank die gesamtwirtschaftliche Stabilität am ehesten gewährleiste.

In diesem Kapitel werde ich erläutern, in welcher Weise die Geldpolitik die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit schwächte und gleichzeitig die Ungleichheit immer weiter vorantrieb. Es gibt wirtschaftspolitische und institutionelle Alternativen, die nicht nur produktiveres und stabileres Wachstum, sondern auch eine gerechtere Verteilung der Früchte dieses Wachstums versprechen – und dieses Versprechen einhalten.

Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht
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