Die Frage, unangenehm im Ton wie im Inhalt, war von Kemal gekommen. Der Statthalter von Ali Ferrarese drängte zum Weitermarsch.
»Wir verlieren keine Zeit mit Salbadern, sondern mit gepflegten Gesprächen unter Ehrenmännern. Natürlich ist das nichts für ungehobelte Menschen, die ihnen nicht folgen können«, antwortete ich recht schroff.
Die Anspielung auf seine Unbildung schien dem Korsar gar nicht zu behagen. »Ich kann viele Dinge verstehen, wenn sie mich interessieren. Aber ich muss in Gesellschaft von Männern sein, nicht von Kapaunen«, entgegnete er, ausgerechnet dich verhöhnend, junger Atto, der du soeben hinzugekommen warst und nichts von dem Wortwechsel mitbekommen hattest.
»Was fällt dir ein? Lass Signorino Atto in Ruhe«, rief ich, der ich wohl oder übel verpflichtet war, einen jungen Schützling zu verteidigen. »Und wasch dir den Mund, bevor du seinen Namen aussprichst.«
»Das werde ich tun, wenn er sich den Arsch wäscht, bevor er etwas anderes hineinlässt«, sagte er, während er mir starr in die Augen blickte und auf meine Reaktion wartete.
»Bastard. Hungerleider. Und Mörder.«
Darauf versetzte mir der Korsar eine gewaltige Ohrfeige, die mich von Kopf bis Fuß erschütterte. Vor Überraschung konnte ich weder mit dem Mund noch mit den Händen antworten.
»Danke dem Himmel, dass du nicht vor Ali Rais stehst, der dich schon in eine Kanone gestopft und die Lunte angezündet hätte.«
|448|Zufrieden mit dem Ergebnis, wandte Kemal sich zu den anderen um. Alle sahen uns bestürzt an.
Ich lief ihm hinterher, und als ich nah genug war, trat ich ihm kräftig zwischen die Hinterbacken.
Der Barbareske musste meinen Zug geahnt haben, denn kaum hatte er den Tritt kassiert, drehte er sich ruckartig um, packte mich an einem Ohr und warf mich zu Boden, wo er mich mit einem Hagel Faustschläge in Magen und Gesicht traktierte.
»Aufhören!«
Der heisere Schrei kam von Schoppe, doch auch die anderen liefen sofort herbei, um sich der Wut des Korsaren entgegenzustemmen. Die folgenden Momente waren so verworren, dass du, lieber Atto, sie gewiss besser in Erinnerung hast als ich. Nur dank des Einsatzes der gesamten Truppe konnten wir getrennt werden. Naudé und Hardouin stürzten sich, wenn ich mich recht erinnere, blindlings ins Getümmel, um mich vor meinem Peiniger zu retten.
Als man mich endlich fortschleifte, schmerzten meine Lippen, Schläfen und der Hinterkopf stark, und ich malte mir die geschwollene Masse aus, in die Kemals Wut mein Gesicht verwandelt hatte.
Du und Barbara hieltet meinen Kopf und legtet regenfeuchte Blätter auf die verwundeten Stellen, um die Schwellung zu lindern. Mühsam wanderten meine Augen an dem halb von der Perücke verdeckten Gesicht und dann am Körper deiner Geliebten entlang: der Hals, die Schultern, die verschnürten Brüste. Dann folgte mein Blick wie verzaubert einem anderen Weg, am Trageriemen des Leinensacks entlang, welcher der Frau über der Schulter baumelte und von ihren Kleidern halb verborgen war. Der Sack, von dem Barbello sich nie trennte! Was mochte er enthalten?
Die venezianische Sängerin unterbrach meine Gedanken, als sie sich erhob. Ich blieb mit dir allein. Ringsumher hörte ich das Stimmengewirr der anderen, einen Wortwechsel zwischen Kemal und Hardouin, dann übertönten sich die Stimmen der Strozzi und Malagigis, dann hörte ich wieder Kemal, der von Guyetus angegriffen wurde. Ich richtete mich auf und erblickte die in heftige Streitereien vertiefte Schar. Schimpfworte flogen hin und her, Stöße und Drohungen, und vielleicht hätte sich das Handgemenge noch lange hingezogen, wenn du nicht plötzlich aufgestanden und auf eine Stelle im Wald zugelaufen wärst.
|449|Du liefst deinem falschen Barbello entgegen, der außer Atem zu uns zurückgekehrt war, schon von weitem mit den Armen winkte und versuchte, unsere Aufmerksamkeit zu erregen.
»Was zum Teufel ist da los?«, fluchte Naudé, der noch mit dem Statthalter beschäftigt war und sich jetzt umdrehte.
»Monsire Naudé, Signor Secretarius, Freunde …«, sagte die Sängerin atemlos, »die drei Bauern …«
»Ja, und?«, bedrängtest du sie.
»Verschwunden. Sie haben uns verlassen.«