DISKURS XVII

Darin das Schicksal die Oberhand über die Gewalttätigkeit der Barbaresken gewinnt, aber nicht ausreicht, um alle wieder in sichere Gewässer zu bringen, sondern die Lage außerordentlich verkompliziert.

»Großer Gott! Sie wollen uns unsere Sachen wegnehmen!«, sagte Malagigi.

Augenblicklich begriffen wir: Die Barbaresken hatten gewartet, bis wir unsere Habseligkeiten wieder an uns genommen hatten, um sie |133|uns dann in aller Ruhe abzunehmen, statt mühsam in den hintersten Winkeln des Schiffes danach zu suchen.

Alle griffen verzweifelt in ihre Taschen, Säckchen oder Hosen und überlegten, wo sie ihre Sachen verstecken konnten. Du und ich sahen einander an, dann ließen wir den Blick schweifen, auf der Suche nach einer Nische, einem Loch im Holz, einer losen Planke … Zu spät, die Räuber waren bereits unter uns.

»Alle brav, geben sofort Zaster!«

Mitten in unserer Gruppe stand der kleine Lockenkopf, mit einer großen Arkebuse, die auf uns zielte. Die Drohung mit der Waffe war übertrieben und in dem engen Raum, in dem wir uns befanden, überdies gefährlich. Begleitet wurde der Lockenkopf von einem abstoßenden Spießgesellen, einem Fettwanst mit pockennarbigem Gesicht, ebenfalls mit einer Pistole bewaffnet. Er durchsuchte uns gründlich und steckte unsere gesamte Habe ein. Beide schienen es sehr eilig zu haben.

»Sie hatten recht, auf Scheitan ist wirklich Verlass«, sagte Schoppe mit bitterer Ironie.

Der Lockenkopf suchte mit Blicken nach dem Urheber dieses frechen Kommentars. Aber dafür war es zu spät.

Der Donner kam völlig unvermutet und erschütterte alles. Unser Schiff wurde so plötzlich emporgehoben, dass die größten unter uns mit dem Kopf gegen die niedrige Decke des Kielraums stießen. Es folgte eine weitere Detonation, die weniger verheerend war, aber im Verein mit der ersten das Schiff ins Schlingern brachte. Ein Regen von Holzteilen und eine dichte Rauchwolke ließen uns augenblicklich erblinden.

»Das Schießpulver hat Feuer gefangen!«, schrie Naudé.

Die beiden Korsaren rannten bereits zur Leiter, als eine dritte Explosion uns alle miteinander zu Boden schleuderte. Der ganze Kielraum war von dichten Rauchschwaden erfüllt.

Die folgenden Momente sind in meiner Erinnerung etwas verschwommen, doch ich weiß noch gewiss, dass ich laut nach dir rief, während sich in unserer Gruppe und in dem engen Raum das Chaos ausbreitete. Ich weiß nicht mehr, in welcher Reihenfolge wir, einander wegstoßend und mit Füßen tretend, aus dem Kielraum herauskamen. Ich weiß nur, dass der Anblick, der sich uns im Freien bot, weit schlimmer war als wir erwartet hatten.

|134|Zum zweiten Mal an diesem Tag war der obere Teil der Galeere in Wolken schwarzen Rauches gehüllt. Feuerzungen breiteten sich von den Seiten des Schiffes in alle Richtungen aus und griffen auf die Karacke der Barbaresken über. Es waren jene Feuergewerke, welche eigens dafür gedacht sind, feindliche Schiffe in Brand zu setzen. Panische und zornige Schreie erhoben sich auf dem Schiff der Korsaren, die offenbar erst vor wenigen Augenblicken die Schießpulvervorräte in unserem Laderaum entdeckt (daher das frenetische Hin und Her auf Deck) und erkannt hatten, dass sie das einzige Schiff gekapert und fest mit dem ihren vertäut hatten, das jedes Schiff innerhalb von fünf Minuten versenken konnte.

Die französische Galeere wurde abermals von einer gewaltigen Erschütterung erfasst.

»Zum Rettungsboot! Schnell!«, drängte uns Pasqualini, während wir schwankend durch den Rauch irrten und versuchten, uns zurechtzufinden.

Einem vierten, unfassbar mächtigen Dröhnen folgten nach wenigen Sekunden zwei große Stichflammen. Die eine breitete sich zum Meer hin aus, die andere, auf der gegenüberliegenden Seite des Schiffs, erfasste den Barbaresken, der sich unsere Habe eingesteckt hatte, und griff dann auf die Karacke und zwei Korsaren über, die dort an Deck hantierten. Die gellenden Schreie der drei Männer ließen uns erschauern. Wie ein Echo ertönten die Rufe anderer Korsaren, die unter dem Kommando des Statthalters, der von unserer Galeere aus in der Lingua franca Befehle zu ihnen hinüberrief, Manöver auf der Karacke vollführten. In diesem Augenblick driftete unser Schiff deutlich wahrnehmbar ab, der Rauch lichtete sich ein wenig, und wir sahen etwas. Erst da erkannte ich, worauf die aus vollem Halse gebrüllten Befehle des Statthalters abzielten: Die Barbaresken versuchten in großer Hast, ihre Karacke von unserer Galeere zu lösen. Taue wurden entknotet, die Stege ins Wasser geworfen, Seile mit eisernen Haken gekappt, um Zeit zu gewinnen. Binnen Kürze würde man uns auf dem brennenden Wrack allein zurücklassen.

Schon bald gab es keine Verbindung mehr zwischen den beiden Schiffen. Die Korsaren auf dem Deck der Karacke beobachteten zögernd ihren Kameraden, der von unserer Galeere aus mit den Armen fuchtelte und sie aufforderte, sich zu entfernen, ohne sich um ihn zu |135|kümmern. »Ir! Ir!« – Haut ab! Haut ab! –, hörte ich ihn schreien. Ali Rais konnte natürlich nicht sein ganzes Schiff in Gefahr bringen, nur um ein paar seiner Matrosen einzusammeln. Beklommen beobachtete Malagigi den Mut und die Treue des Statthalters zu seinem Kapitän.

»Atto! Wo bist du?«, rief ich in den rußigen Nebel hinein.

Plötzlich warst du, hustend und halb erstickt, mit Barbello an meiner Seite und zeigtest mir, ein Taschentuch vor den Mund gepresst, die anderen aus unserer Gruppe, die in der Nähe versuchten, das Rettungsboot zu Wasser zu lassen. Wir packten mit vereinten Kräften an, doch das Unterfangen war mühselig – wer von uns hatte je ein Boot von einem Schiff ins Meer gesenkt? Wir verloren kostbare Minuten, weil wir rätselten, wie das kleine Boot aus seiner Vertäuung zu lösen war. Der starke Rauch, den das Brandschiff ordnungsgemäß entfaltete, um die feindlichen Schiffe zu verwirren, verhinderte jede koordinierte, gemeinsame Aktion.

»Wir nehmen das andere!«, drängte Barbello, auf das Boot im Schlepptau der Galeere zeigend. Doch die älteren unter uns, Schoppe und Guyetus, hätten einen Sprung ins Wasser nicht überlebt, zumal in dieser Jahreszeit. Zum Glück liegt eine Galeere immer tief im Wasser, darum gelang es uns, das Boot nah heranzuziehen und sie an Bord zu hieven, ohne dass jemand ins Meer fiel.

Gerade schickten wir uns an, Abstand zu der Galeere zu gewinnen, als das Unerwartete geschah: Kugeln aus einer Arkebuse pfiffen über unsere Köpfe hinweg. Der Statthalter mit der langen Mähne hatte in die Luft gefeuert, nicht um jemanden zu treffen, sondern um sich in dem allgemeinen Chaos, in dem alles und alle zu versinken drohten, Gehör zu verschaffen. Hinter ihm erkannte man einen Lockenkopf, das Gesicht blutüberströmt von einer Wunde am Hinterkopf, der zu uns hinüberblickte, unschlüssig, ob er uns Befehle erteilen oder um Hilfe anflehen sollte. Auf der anderen Seite sah man noch den Hauptmast der Karacke, die unter großen Mühen wendete (die runden Schiffe ohne Ruder sind für so missliche Lagen am wenigsten geeignet), um sich von dem rauchenden, brennenden Rumpf der französischen Galeere zu entfernen.

Ein lautes Pfeifen, dann abermals eine Explosion, die das ganze Schiff erzittern ließ, halfen uns aus der Verlegenheit.

»Springt ins Boot! Herrgott, beeilt euch!«, schrie Malagigi den beiden Räubern zu.

Das Mysterium der Zeit
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