DISKURS XII
Darin man verschiedenerlei nützliche Dinge über die Korsaren der Barbareskenreiche erfährt, außerdem über ihre Methode, Schiffe zu entern und über die Lingua franca.
Ein Hagel kleinerer Stöße an Steuerbord, wo wir gerammt worden waren, zeigte, dass nun hölzerne Bretter von einem Schiff zum anderen |97|gelegt wurden, damit die Piraten zu uns gelangen konnten. Es folgte ein Trommelfeuer aus Büchsenschüssen, und schließlich ließen das Siegesgeheul und Getrampel von zwanzig oder dreißig Männern die Decksplanken erzittern.
Unwillkürlich fielen mir die Beschreibungen ein, die seit jeher über die beliebtesten Foltermethoden der Barbaresken im Umlauf sind: massenhaftes Erhängen an den Schiffsmasten; glühende Metallspitzen, in Brust oder Rücken gebohrt; die Kreuzigung, in Kombination mit dem Pfählen; die Haare der Gefangenen werden in Brand gesetzt; Geiseln werden in Kanonenläufe gezwängt und zerfetzen bei der Detonation in einer Wolke aus Blut und Eingeweiden.
Innerhalb weniger Augenblicke waren die Angreifer näher gekommen, doch noch befanden sie sich weit über mir, da ich im Ruderraum unter einer Bank kauerte. Sie trugen die üblichen Turbane und weiße, weite Pluderhosen, oberhalb der Füße zusammengebunden, ein Hemd ohne Knöpfe mit zwei Schößen und einen Ledergürtel. Diesen Aufzug konnte man auch im Hafen von Livorno bei ihren Kameraden sehen, die Sklaven geworden waren. Natürlich trugen diese keine Schwerter, welche die gefangenen Barbaresken nicht mehr tragen durften, unsere Invasoren aber jetzt durch die Luft schwenkten, als sie sich des Schiffes bemächtigten.
Unterdessen lichtete sich der Rauch aus den Brandflaschen ein wenig, und vor meinen Augen tauchten die mächtigen Segel des Piratenschiffs auf. Der Rammsporn hatte sich dreist über den Rumpf unserer Galeere gelegt, als kümmerte es ihn nicht, dass ihr armer Leib bereits mit Enterhaken gespickt war. Wie viel größer und imposanter als unsere Galeere war dieses Schiff mit seinem hohen Bug, den endlosen Reihen von Kanonen zu beiden Seiten und drei hohen Masten!
Einer der ersten Korsaren an Bord unseres Schiffes, gedrungen und von kleinerer Statur als die anderen, schien Befehle zu geben und seine Männer auf der rechten und linken Seite zu verteilen. Als er, mit den Armen fuchtelnd, in meine Nähe kam, konnte ich ihn genau betrachten. Er war nach Art der Korsaren gekleidet, das Hemd bequem über der Hose hängend, und mochte etwa sechzig Jahre alt sein. Seine Haare steckten unter dem Turban, doch auf seinem Kinn spross ein auffälliger roter Bart. In der Linken hielt er einen Krummsäbel, dessen Griff vielfarbig funkelnde, fast blendend helle Reflexe aussandte: Es musste einer jener mit kostbaren Edelsteinen besetzten Säbel sein, |98|nach denen die osmanischen Korsaren verrückt sind. Es heißt, sie seien imstande ihr ganzes Leben lang in einem Raum ohne Bett und Möbel zu wohnen, wenn ihnen nur der edelsteingeschmückte Säbel nicht fehlt. Der Korsar hatte eine helle Haut, doch war sein Gesicht sonnenverbrannt und von tiefen Falten gefurcht. Der harte Blick der hellen, fast veilchenblauen Augen zeugte von zahlreichen Grausamkeiten, die er seinen Opfern zugefügt und auch selbst erlitten hatte.
Meinen Ekel vor dem üblen Gestank der Brandflaschen überwindend, der Augen, Nase und Kehle reizte, gegen den die Angreifer jedoch unempfindlich schienen, spitzte ich die Ohren, um ein paar Brocken seines Geschreis zu erhaschen:
»Faire vite! Mehmet, wo andar? Mustafa, kusch te!«
Schneidend und rau war seine Stimme, wer weiß, welche Strapazen der Seefahrt sie verwüstet hatten. Er gab Befehle in der Lingua franca, die ich schon bei unseren Matrosen gehört hatte und die auch in den Barbareskenreichen gebräuchlich war. Es musste der Rais sein, der Anführer des Piratenschiffs. Er hatte sich jetzt zum Achterkastell begeben. Von meinem Versteck aus konnte ich ihn nicht mehr sehen, doch mich erreichten Worte und Geräusche. Er klopfte an die Eingangstür.
»Chi dort? Venir aus dem Haus!«
Die Korsaren ringsumher lachten aus vollem Halse. Doch der Anführer knurrte etwas, alle verstummten, und man hörte einen Büchsenschuss. Dann wieder Gelächter und Gelärm, das Geräusch einer zerbrechenden Bretterwand, Stimmengewirr, jemand, der Französisch sprach.
Auch vom anderen Ende des Schiffes ertönten ein paar Schüsse aus Feuerwaffen, während der Rais seinen Männern, die am Heck standen, Befehle gab:
»Mustafa, du descend, et tout de suite zurück! Franzos bereit per prisonnier.«
Ein Jubelgeschrei der Marodeure bestätigte meinen ersten Eindruck: Die französische Mannschaft, an Zahl den Piraten dramatisch unterlegen, hatte sich kampflos ergeben. Offiziere und Matrosen, die sich im Kastell am Heck verschanzt hatten, waren mit erhobenen Händen herausgekommen, als die Korsaren das Türschloss aufgebrochen hatten.
Die Franzosen taten gut daran. Wie ich geahnt hatte, hatten die türkischen |99|und arabischen Galeerensklaven auf unserem Schiff schon gemeutert, bevor es geentert wurde, und sich natürlich sofort auf die Seite unserer Eroberer geschlagen. Wahrscheinlich hatten sie zunächst nicht mehr mit voller Kraft gerudert, als unsere Galeere den Barbaresken zu entkommen versuchte.
Zwischen Siegern und Besiegten entstand ein hitziger Wortwechsel. Danach hörte ich, wie die französischen Offiziere ihrer ganzen Mannschaft mit lauter Stimme befahlen, keinen Widerstand zu leisten und sämtliche Waffen auszuhändigen. Undeutlich meinte ich auch zu verstehen, dass jemand den Barbaresken das Versteck der Passagiere im Kielraum verraten hatte. Sicherlich war sofort jemand hingelaufen, um zu überprüfen, ob es unter ihnen kostbare Beutestücke gab (Künstler, Gelehrte, Leute der oberen Stände), die zu einem guten Preis verkauft oder gegen eine hohe Summe Lösegeldes freigelassen werden konnten.
Nunmehr lag unser aller Leben in den Händen des Anführers der Korsaren. Was war das für ein Mensch? Erbarmungslos, impulsiv und blutrünstig wie so viele der Barbaresken? Oder war er vernünftiger und imstande, den erzielten Vorteil mit Überlegung zu nutzen?
Bebend vor Angst, dachte ich an dein Schicksal, mein Atto, das in diesem Augenblick in Gottes Hand lag. Die Sozzifanti, deine Herren, hatten dich mir anvertraut, und sie waren beide Cavalieri des ruhmreichen Ordens Santo Stefano, der auf See die Ungläubigen und die Piraten bekämpft. In Pistoia hatte ich im Haus der Sozzifanti dutzende Berichte über die ruchlosen Taten der Barbaresken gehört und wunderte mich darum nicht über das grobe Gebaren des Anführers unserer neuen Herren, der jetzt wieder dicht an mir vorbei über die Stelling lief, gefolgt von seinen Männern. Einer seiner Getreuen, ein junger Lockenkopf, flüsterte ihm etwas ins Ohr, was sein Herr gleich darauf wiederholte, wie um es sich gut einzuprägen. Es war die Liste der Passagiere:
»Drei Franzosen, ein Deutscher. Sehr gut«, wiederholte der Korsar zufrieden. Nachdem er auf den Boden gespuckt hatte, knurrte der Anführer einen letzten Kommentar zum Abschluss der Liste, die ihm der Lockenkopf vorgetragen:
»Zwei Toskaner, ein Venezianer, ein Römer. Scheißpack.«
Die Aussprache ließ keinen Zweifel zu: Das Oberhaupt der Korsaren war ein Italiener.