Die Entdeckung löste so unbändige Heiterkeit bei uns aus, dass es uns zunächst gar nicht einfiel, den Rest der Gesellschaft zu informieren. Wir untersuchten den Hühnerstall, der sich diskret in einem Keller unter dem Zimmerchen neben dem Ofen verbarg, doch über ein Fenster verfügte. Eine kleine Schar von sieben oder acht Hühnern nebst einem jungen Hahn, nicht besonders üppige Exemplare, doch allemal brauchbar, versprach uns angenehme, schmackhafte Gesellschaft zu leisten, bis wir einen Weg gefunden hatten, Gorgona zu verlassen.
Als wir zurückkehrten, um den anderen die frohe Botschaft zu überbringen, fanden wir die Gruppe im Keller des Kaplans in eine lebhafte Diskussion über gerechte Kriterien zur Aufteilung der Salamis vertieft. Der Hunger hatte die Oberhand über alles andere gewonnen, die Auswirkungen des Fundes des Satyricon oder was auch immer es war, hatten sich vorerst verflüchtigt. Auf meinen Vorschlag hin wurde die Diskussion darüber vertagt, bis die Mägen anständig gefüllt waren. In Anbetracht meiner Position als Secretarius gab man mir das von Malagigi gefundene Blatt zur Verwahrung bis zum Ende des Mittagessens, und niemand erhob ernsthaft Einspruch. Später, darauf konnte man wetten, würde der Streit sofort wieder aufflammen wie glühende Kohlen, die mit Stroh und trockenen Blättern genährt werden.
Einige wollten nicht recht glauben, dass das Geräusch auf dem Platz von einem Huhn herrührte. Also führten wir die ganze Gesellschaft zum Hühnerhof, und man folgte uns mit martialischen Schritten, fest entschlossen, nicht etwa die Frage der sonderbaren Geräusche zu klären, sondern den Speiseplan der kommenden Tage, ja, der nächsten Stunden.
»Tatsächlich, es war ein Huhn! Wie der große römische Historiker berichtet, gaben Fabio Massimo die Diktatur und Caius Flaminius sein Kommando über die Kavallerie wegen des Quiekens einer Maus auf«, rief Naudé lachend vor dem Hühnerkäfig aus, während die beiden Korsaren erneut mit einer blitzschnellen, eines Entermanövers würdigen Bewegung nach ihren Dolchen griffen, die sie schon ihr ganzes Leben lang am Gürtel trugen, doch abermals entdecken mussten, dass sie keine Waffen mehr besaßen.
|200|»Einen Moment mal!«, schrie Guyetus und hob den Arm. »Wir haben nicht die leiseste Ahnung, wie viel Zeit wir hier verbringen müssen. Die Hühner könnten uns eine Menge Eier geben. Ich schlage vor, zu warten und sie erst dann zu schlachten, wenn es wirklich nötig ist.«
»Besser heute ein Huhn als morgen ein Ei«, wandte Hardouin ein.
»Ich bestehe darauf: denkt an die Eier!«, wiederholte Guyetus.
»Ich denke dagegen an den Hahn«, erklärte Naudé streitlustig, die Augen gierig auf die Schenkel des einzigen Mannes im Hühnerhof geheftet.
»Ein Hähnchen von acht Tieren? Was für ein Unsinn! Dieses Vögelchen wird uns nicht mal die Zähne schmutzig machen«, entgegnete Hardouin, der zum ersten Mal ein entschlossenes Wesen an den Tag legte. »Wir sind zu zehnt und es gibt acht Hühner, also entweder alle oder keins!«
»Wir könnten uns vorerst auf vier beschränken: ein halbes pro Kopf ist besser als gar nichts«, schlug Barbello vor.
»Dann sparen wir uns den Hahn auf, der andere Hühner begatten könnte, wenn welche in der Nähe sind, und nehmen uns seine Freundinnen vor …«, warf Naudé in die Runde.
»Sieben Hühner für zehn Mäuler, das lässt sich schwer aufteilen, ich sehe schon, dass ich das Nachsehen haben werde, wie bei den Salamis des Kaplans«, jammerte Hardouin.
Den Schnabel und den stumpfen Blick mal auf diesen, mal auf jenen Redner gerichtet, verfolgte das Federvieh beunruhigt die Diskussion über sein Schicksal. Die gegnerischen Parteien taten ihre Meinung mit größerer oder minderer Heftigkeit kund, je nachdem, wie gründlich sie ihren Hunger hatten stillen können, indem sie ihre Rivalen bei der Verteilung der Salami im dunklen Keller des Kaplans mit irgendwelchen Tricks übers Ohr gehauen hatten.
»Ach, Schluss jetzt mit dem Diskutieren! Hunger ist Hunger«, mischte sich Kemal ein, einen großen trockenen Ast wie einen Knüppel schwingend. Der Statthalter hatte während der Jahre, in denen er mit Ali Ferrarese auf Kaperfahrt gegangen war, sicher weit mehr Erfahrung im Stehlen als im dialektischen Streitgespräch erworben.
»Schweig, du Renegat!«, befahl ihm Caspar Schoppe knurrend, welcher, nach dem erbitterten Tonfall zu urteilen, der hungrigste von allen sein musste.
|201|»Bitte um Vergebung, Verehrungswürdiger, aber gewisse Themen solltet Ihr vermeiden«, stichelte Naudé, da ja auch Schoppe mehrmals die Konfession gewechselt hatte.
»Dann nimm du dir ein schönes, großes Argument und steck es dir in …«
Doch Schoppes Anspielung auf die gefühlsmäßigen Neigungen Gabriel Naudés wurde durch ein abermaliges Geräusch unterbrochen.
Es kam von draußen und ähnelte erstaunlicherweise dem zuvor auf dem großen Platz gehörten Scharren. Wir verstummten alle schlagartig und sahen einander an, wobei in Augen und Mündern eine Hoffnung hindurchschimmerte, die die Form von Kämmen, Federn und Krallen hatte. Ein Hühnchen mehr hätte die Summe auf neun anwachsen lassen, also fast eines pro Kopf.
Nachdem er allen einen raubtierhaften, verschwörerischen Blick zugeworfen hatte, stürzte Kemal mit seinem Knüppel in der Hand aus dem Hühnerstall und verschwand auf der Treppe. Doch nach ein paar Sekunden, in denen wir auf einen Siegesschrei des Korsaren warteten, vernahmen unsere Ohren etwas ganz anderes:
»Ich muss doch sehr bitten, junger Mann! Ist das eine Art, sich vorzustellen?«, sagte eine liebenswürdige weibliche Stimme.