|391|DISKURS LIV
Darin während einer amourösen Begegnung von der Zuneigung der Korsaren zur Mama die Rede ist.
Es ist erstaunlich, wie sogar an unwegsamen und vom Wind gepeitschten Stätten wie den nördlichen Klippen von Gorgona das Spiel der Winde, wenn sie günstige Richtungen nehmen, dem menschlichen Ohr noch die leisesten Geräusche und zartestes Geflüster zu Gehör bringen kann. Just dieses geschah mir: unter meinem Fenster konnte ich dank des Vollmonds Kemal und Barbello sehen, ohne selbst gesehen zu werden, und vor allem jedes Wort ihres Getuschels hören.
»Es ist mir egal, wie du es herausgefunden hast«, antwortete Barbello in einem Ton, der feinselig klingen sollte, es aber nicht war. Doch Weiber halten sich für große Schauspielerinnen, auch wenn sie es nicht sind.
»Ich sag es dir trotzdem. Männer erleichtern ihre Blase nicht sitzend, wie du es tust. Ach ja, du wusstest nicht, dass ich dich hinter einem Baum im Wald beobachtete. Dieses Mal hast du versäumt, dich von den beiden Kastraten verbergen zu lassen, wie sonst …«
»Hör auf, Idiot«, schnitt sie ihm das Wort ab.
»Nein, hör du auf. Ich weiß sowieso, dass du eine Mama bist«, lachte der Korsar, auf Barbellos geschwollenen Brustkorb zeigend. »Wie viele hast du an deinem Busen saugen lassen? Mindestens drei, meiner Meinung nach.«
Zum Glück warst du in die Untersuchung des letzten Fundes der Gelehrten vertieft, mein Atto, und hörtest vom Turm aus kein Wort dieses Dialogs. Kemal hatte offenbar das Geheimnis des falschen Kastraten entdeckt, das allen anderen, mich eingeschlossen, entgangen war.
Eine Weile herrschte Stille zwischen den beiden.
»Du widerst mich an«, sagte Barbello.
Kemal schien unbeeindruckt. Der Wind wehte heftig und zerzauste das lange weißliche Haar des Statthalters. Die beiden standen einander gegenüber, Barbello mit dem Rücken zum Felsen, auf dem die Torre Vecchia aufragte. Hinter dem Barbaresken dagegen fiel die Klippe steil zum Meer ab, darüber stießen einige Möwen ihre grellen Schreie aus.
|392|»Umso besser. Du widerst mich auch an, Mama«, entgegnete er in ernstem Ton.
Der falsche Kastrat hob die Hand zu einer kräftigen Ohrfeige. Ich hörte das Klatschen auf Kemals Wange, dessen Kopf sich jedoch keinen Millimeter rührte. Dann packte Barbello den Korsar am Kragen, zog ihn an sich und drückte die Lippen auf seine. Das war der einzige Moment, in dem der Korsar überrumpelt wirkte.
Die verkleidete Frau schlang ein Bein um Kemals Schenkel, legte ihm die freie Hand auf die Brust und war nun eng an seinen Körper geschmiegt. Der Korsar packte sie mit beiden Händen unter den Hinterbacken, hob sie mit einem Satz hoch und drückte sie nach ein, zwei Schritten mit genau berechneter Brutalität gegen den Felsen. Der weibliche Seufzer der Überraschung und Befriedigung aus Barbellos Mund war lauter als erwartet.
»Pst! Willst du, dass dein kleiner Kastrat dort oben dich hört?«, mahnte Kemal, während er, nach dem, was ich sehen konnte, ihren Hals großzügig mit der Zunge erforschte.
»Selber schuld, du liebst die Mütter zu sehr«, sagte Barbello, während sie den Rücken bog und die Arme hob, da sie zwischen dem Körper der Festung und dem ihres Kavaliers eingezwängt, festen Halt hatte. Dann wimmerte sie etwas, was ich nicht verstand und was vielleicht nichts bedeutete außer Erwartung und Drängen.
»Das stimmt, alle Korsaren lieben Mütter«, antwortete der Barbareske, Barbellos Schultersack beiseite schiebend. Er versuchte, sich mit den Fingern einen Weg durch die komplizierten, lästigen Verschnürungen um ihre Brust zu bahnen.
Noch ein kleiner Aufschrei und du wärst zum Fenster gekommen und hättest alles entdeckt. Hätte ich die beiden Stehgreifliebenden jedoch gewarnt, indem ich ihnen etwas aus dem Fenster auf den Kopf warf, hätte Barbello glauben können, dass ich für dich, Atto, spionierte, und ich hätte eure zarten Bande womöglich für immer zerstört. Du wiederum hättest bitter bereut, dass du Barbello soeben mit einer hastigen Geste abgefertigt und deine in momentaner Lust entbrannte Geliebte Kemals Klauen überlassen hattest, um dich auf die Papiere von Philos Ptetès zu stürzen. Mir fehlte der Mut, das alles heraufzubeschwören, obwohl du dich mit diesem Weib verbunden hattest statt mit den mächtigen Päderasten, die dir vom Schicksal bestimmt waren, und denen treu zu bleiben ich selbst dir dringend |393|geraten hatte. Im Grunde hatte auch ich Barbello genossen, ich wollte mir nicht eines Tages vorwerfen müssen, euch aus unbewusster Rivalität voneinander getrennt zu haben. Du begehrtest sie, ich dagegen meine Gemahlin. Also war es besser, jeden Alarm zu vermeiden und zu hoffen, dass die beiden Heimlichtuer ihre Lust aneinander nicht durch zu laute Geräusche verrieten. Eine fast maßlose Lust, die Barbello an dem erfahrenen, stattlichen Kemal zu finden schien, weit größer, fürchtete ich, als die, welche du ihr verschaffen konntest.