Den ersten Kontakt mit Galileo nahm Elia Diodati brieflich auf. Es ist ein listiges Schreiben, Diodati weiß, wie er sich diskret einführen kann. Er stellt sich als Freund eines gewissen Giacomo Badovero vor und bittet ehrerbietig darum, die Werke des toskanischen Genies sehen zu dürfen. Wenn der Wissenschaftler Schwierigkeiten mit der Veröffentlichung habe, könne man das Problem in Frankreich lösen.
Sich über einen gemeinsamen Freund einzuführen war ein Scheinmanöver: Badovero war seit Jahren tot. Aber seinen Namen zu nennen war ein genaues Kalkül. Badovero war vor etwa zwanzig Jahren Galileos Schüler gewesen und hatte sogar im Haus seines Lehrers gewohnt.
»Natürlich ein durchaus üblicher Brauch«, fügte Naudé eilig hinzu.
Dann hatte Galileo seinen Schüler um einen wichtigen Gefallen gebeten und ihn erhalten: eine eidesstattliche Erklärung in einem Prozess, mit dem Galileo als Erfinder eines geometrischen Kompasses für militärische Zwecke anerkannt werden wollte, den er selbst verkaufte, um die Einkünfte aus seiner Lehrtätigkeit aufzustocken.
In seinem Traktat Sidereus Nuncius erklärte Galileo öffentlich, was er Badovero verdankte. In diesem Buch, das einige seiner wichtigen Entdeckungen enthält, berichtete er, dass es Badovero gewesen war, der ein soeben in den Vereinigten Provinzen der Niederlande erfundenes Instrument als Erster in der Hand gehabt und ihn, Galileo, darauf aufmerksam gemacht hatte: das Fernrohr.
Galileo hatte dasselbe Gerät dann nur mit Hilfe dieser Schilderung in wenigen Monaten »neu erfunden« – das behauptete er wenigstens.
»Diese öffentliche Dankesbekundung war ungewöhnlich«, bemerkte Naudé, »denn wie auch Ihr in Italien vielleicht wisst, erklärte Galileo nur äußerst selten, dass er anderen Gelehrten Dank schuldete.«
Badovero, der Diodati mit Galileo zusammenbringt, ist eine Art leerer Sack, in dem sich alles und nichts verbirgt. Der Sohn eines hugenottischen Juweliers, der in der Bartholomäusnacht von den Katholiken ausgeraubt wurde, soll katholisch geworden sein, doch wer ihn kannte, berichtet, er sei in Wahrheit weder das eine noch das andere |512|gewesen. Jedenfalls fristete er sein Dasein mit einer Pension der Kirche. Nachdem er in Padua studiert und in Galileos Haus gelebt hatte, ging er zu obskuren diplomatischen Missionen für die französische Krone über. Er stand im Ruf, ein Sodomit, zügellos und bösartig zu sein. Die Italiener hielten ihn für einen Franzosen, die Franzosen für einen Italiener. Allen galt er als ein Spion, da er mit dem überaus gefürchteten Beichtvater des französischen Königs in Kontakt stand und häufig aus unerfindlichen Gründen zwischen Paris und London hin- und herreiste, wobei er jedes Mal das Aussehen und die Religion wechselte.
Man weiß nicht einmal genau, wann und wie er gestorben ist. Manche berichten, er sei ohne Furcht vor dem Jenseits und der Hölle als wahrer Atheist gestorben, anderen zufolge hat er dagegen ein erbärmliches Ende genommen, obdachlos, in einem Kornspeicher in Venedig hausend, von den Blattern entstellt.
»Im Namen dieser drittklassigen Kanaille hatte Elia Diodati sich bei Galileo eingeführt und freundliches Gehör gefunden«, sagte Naudé, der nicht gern über Galileos Fall sprach, doch zu gerne über seinen ehemaligen Freund lästerte, der es gewagt hatte, die verachtete Tetrade zu verlassen, ohne zu erklären warum.
Diodati wusste, dass Galileo wichtige, unveröffentlichte Werke über die Bewegung der Himmelskörper verfasst hatte. Auch dies war eine vertrauliche Information, die er nur von dem Schurken Badovero haben konnte, welche diesen als Kenner der Materie entlarvte. Zwischen Galileo und dem Anwalt-Mäzen beginnt ein intensiver Briefwechsel. Diodati bietet Hilfe an, Werbung, Unterstützung bei der Veröffentlichung. Es ist erstaunlich, dass Galileo ihn nicht zurückweist, normalerweise verschmäht er Kontakte. Sogar als der große Kepler ihn brieflich um eine Meinung bat, antwortete Galileo mit Schweigen oder mit sehr unhöflichen Formulierungen. Nicht einmal der Plan, eine Art Bund astronomischer Gelehrter zu gründen, lockt ihn aus der Reserve. Er hasst Gruppenarbeit, zieht es vor, sich als sidereus nuncius zu präsentieren, als »himmlischen Botschafter«, wie der Titel eines seiner Hauptwerke lautet, und erklärt, seine Arbeit sei direkt vom Schöpfer inspiriert. Doch der Gott der astronomischen Forschung versäumt es, sich wissenschaftlich auf dem neuesten Stand zu halten: Er liest nur die Bücher, die man ihm als Geschenk nach Hause schickt, während seine Kollegen sich jedes Jahr gierig auf den Katalog der |513|Frankfurter Buchmesse stürzen und für Neuigkeiten alles tun würden. Trotz seines schwierigen Charakters und der Schranke, die er zwischen sich und der Welt errichtet hat, steht er mit Diodati in fortwährendem Kontakt. 1626, sechs Jahre nach dem ersten Brief, kommt es sogar zum Besuch: Der französische Freund reist nach Florenz und bleibt ganze zwei Wochen im Hause des Genies. Dabei hat Galileo sich bei anderen berühmten Besuchern krank gestellt oder ihnen nur wenige Minuten gewährt!
Der Vater der modernen Wissenschaft steht vor einem Wendepunkt. Er hat begonnen, das Werk zu schreiben, das ihn in Konflikt mit der Kirche bringen wird: den Dialog über die zwei hauptsächlichsten Weltsysteme. Noch heißt die Schrift allerdings Dialog über den Fluss und den Rückfluss, ein abstruser Titel, der auf die Gezeiten anspielt. Den endgültigen, viel aussagekräftigeren und besser verkäuflichen Titel, der auf den kosmologischen Inhalt und seine beiden »hauptsächlichsten Systeme«, das kopernikanische und das ptolemäische, zielt, wird es von Galileos Freund Kardinal Maffeo Barberini, dem späteren Papst Urban VIII. erhalten, also ausgerechnet von dem Mann, der beschuldigt werden wird, Galileo und den Fortschritt des Denkens aufgehalten zu haben.
»Gerüchten zufolge sollen Galileo und Diodati in den 13 Tagen, die sie zusammen verbrachten, über ›verschiedene Geheimnisse der Natur‹ gesprochen haben«, sagte Naudé, der selbst über diesen nebelhaften Ausdruck lächeln musste.
Wer weiß, fügte er ironisch hinzu, ob sie auch über die mysteriösen Methoden gesprochen haben, mit denen Diodati, ein einfacher Anwalt, der nie etwas veröffentlicht hatte, die Gelehrten halb Europas zu beeinflussen wusste.
Sprachen sie auch über ein gemeinsames Projekt? Wenn es so war, blieb es streng geheim, da beide kein einziges Wort über die Begegnung verloren. Sieben Jahre später, nach dem Zusammenstoß mit dem Papst und der Verurteilung Galileos durch das Heilige Offizium, wird Diodatis Rolle plötzlich ungeheuer wichtig. Mit allen verfügbaren Mitteln macht er den Fall öffentlich, er wirbt Verleger, kontaktiert Übersetzer, wird zum persönlichen Agenten des Wissenschaftlers. Galileo, in Rom besiegt, wird überall auf der Welt triumphieren. Ende 1634, ein Jahr nach dem Widerruf, erhält die gesamte wissenschaftliche Gemeinschaft wie durch blitzschnelle Ansteckung Kenntnis davon. |514|Diodati wirkt als Filter und Koordinator eines ganzen Heeres von Bewunderern, Nachfolgern und Verteidigern, die die Nachricht ihrerseits wie ein Schwungrad in der gesamten Gelehrtenrepublik verbreiten: Paris, Leiden, Lyon, Straßburg, Antwerpen … Ein vatikanisches Verbot ist im protestantischen Europa die beste Werbung.
Galileo und Diodati wissen genau, dass die Drucker im lutherischen und calvinistischen Europa sich seit langem mit vollen Händen bei den von der Inquisition indizierten Büchern bedienen, um ihre Kataloge zu bereichern – denn nichts fasziniert die Leser mehr als ein verbotenes Buch.
Die Verkaufszahlen von Galileos Büchern sprengen alle Maßstäbe. In Deutschland hat der Philologe Bernegger, der Galileo ins Lateinische übersetzt, seit dreißig Jahren stapelweise alte Werke Galileos auf Lager liegen. Als der Skandal ausbricht, klebt er ein neues Datum auf den Einband, um den Anschein zu erwecken, es handle sich um eine Neuausgabe, und überschwemmt damit die Buchhandlungen. In Holland setzen Galileos Verleger, die Elzevier, die von dem Werk Unterredung und mathematische Demonstration über zwei neue Wissenszweige die Mechanik und die Fallgesetze betreffend nur wenige Exemplare verkauft hatten, die Druckerpresse in Gang. Dennoch kommt das Interesse nicht von der Masse der Leser, sondern wird von schlauen, beharrlichen Aktionen weniger Personen gesteuert. Würde Diodati nicht hinter den Kulissen Druck machen, gäbe es Galileos Erfolg nicht.
Während Naudé sprach, wechselten du und ich verstohlen amüsierte Blicke. Wir hatten denselben Gedanken: Schoppe hatte die Wahrheit gesagt, die Geschichte von den Mäusen, die Galileos Bücher in den Lagern der Buchhändler fraßen, war nicht gelogen. Naudé hatte sie jedoch immer bestritten, um sich gegen den Verehrungswürdigen zu behaupten. Erst jetzt hatte sein Groll gegenüber Diodati ihm die Wahrheit aus der Kehle gelockt.
Während der sogenannten Gefangenschaft in seiner Villa in der Toskana empfing Galileo Bewunderer aus allen Ländern. Im Ausland erklang das Echo der Appelle zu seinen Gunsten. In der französischen Hauptstadt verstärkte der gelehrte Pater Mersenne seine Bemühungen, dem armen Opfer zu helfen (welches jedoch ärgerlich wurde, wenn Pater Mersenne seine Schilderung der Tatsachen nicht ausreichend mit Einzelheiten schmückte, die für Galileo sprachen). Es wurde sogar geplant, den Wissenschaftler in das ketzerische Holland |515|emigrieren zu lassen, wo er sich ungestört seinen Studien hätte widmen können. Galileo lehnte ab, er fühle sich zu alt und müde für ein solches Unternehmen. Auf jeden Fall war er inzwischen mehr als ein Wissenschaftler: ein Symbol. Diodati verglich ihn mit Prometheus, dem ruhmreichen Helden der griechischen Mythologie. Galileo nannte Diodati »meinen über alles geliebten, wahren Freund«. Ruhm lag ihm sehr am Herzen. »Zwei Dinge sind mir wichtiger als alles andere«, schrieb er an den Freund, »das Leben und der Ruf.«
Tatsächlich gelang es ihm, lang genug zu leben, um seine Rache an Rom auszukosten.
»Wenn alte Männer Charakter haben, schaffen sie es sogar, nicht zu krepieren«, lachte Naudé, der zwischen dem Wunsch, Galileo zu verteidigen, und dem sehr viel stärkeren Drang, Diodati zu verleudmen, hin und her schwankte.
Auf Betreiben des Pariser Anwalts war der Dialog von einem wissenschaftlichen Werk zu einer Waffe im Krieg geworden. Er behauptet nicht mehr nur eine physikalische Theorie, sondern beweist die blinde Grausamkeit der römischen Kirche, die die libertas filosofandi, die Freiheit der Forschung bestraft und das Opfer erpresst. Galileo selbst gesteht der Menschheit jedoch keineswegs das Recht zu, am Wissen teilzuhaben. In einer seiner Schriften, die Diodati herausgegeben hat, zitiert er Platon: Naturam rerum invenire, difficile, indicare in vulgus, nefas. »Die Natur der Dinge zu erkennen, ist schwierig, sie dem Volk zu offenbaren, ist verboten.« Schon zur Zeit der Erfindung des Fernrohrs vor einem Vierteljahrhundert hatte er sorgsam darauf geachtet, das Monopol über seine Entdeckungen und Kenntnisse zu behalten. An Herrscher und Adelige, die nichts von Physik und Astronomie verstanden, verschenkte er gerne Kopien des Instruments, nicht aber an Forscherkollegen, die seine Stellung gefährden konnten.
Jetzt hatte ich verstanden, was Bouchard in seinen rätselhaften Notizen über Galileo und Diodati meinte. Auch wurde mir endlich klar, warum Galileo sich unbedingt von der Kirche verurteilen lassen wollte, wie Schoppe behauptete. Der Plan war von Elia Diodati ersonnen, und es ging darum, die römische Kirche so mit Schmutz zu bewerfen, dass sie sich nicht einmal in Jahrhunderten würde reinwaschen können. Galileo, der sein Leben lang nach Ruhm und Reichtum gestrebt hatte, ohne sein Ziel je wirklich zu erreichen, hatte dem Plan zugestimmt und schließlich bekommen, was er wollte: Als Opfer |516|wurde er endlich berühmt. Sein Pech war, dass ihm das erst im Alter gelang, weil sein Freund Maffeo Barberini, der spätere Papst Urban VIII., sich fast zwanzig Jahre lang geweigert hatte, Galileo von der Inquisition verurteilen zu lassen. Erst als dieser den Papst vor der Welt der Kultur und Politik persönlich angriff, indem er dessen Ideen einem Idioten in den Mund legte, sah der enttäuschte Papst Urban VIII., der von dem schmutzigen Spiel Galileos und Diodatis nichts ahnte, sich gezwungen, den Freund fallenzulassen, der ihn unverständlicherweise coram populo lächerlich gemacht hatte. Und Galileo konnte endlich ins Paradies irdischen Ruhms eingehen.