DISKURS LVII

Darin eine Schrift des armen Bouchard auftaucht und Naudé in die Enge getrieben wird, aber unerschütterlich bleibt.

Während der Diskussion und der Lektüre des Satyricon war der bretonische Buchhändler am Boden sitzengeblieben, den Kopf über einen weiteren Stapel Blätter gebeugt, der anders aussah als die Handschrift des Petronius.

»Ich glaube, Ihr solltet einen Blick auf diese Papiere werfen«, sagte er.

|409|Wir gingen zu ihm. Es handelte sich zweifellos um die Handschrift Bouchards, die seit heute Morgen dank Guyetus auch Schoppe und Hardouin kannten:

Im Monat Mai musste seine Arbeit am Text des Synkellos unterbrechen, weil er heftige Kopfschmerzen bekam. Die Gotteslästerungen der antiken Historiker verderben die Zeit: die impia cohors hat die Suppe verlängert.

Die flüchtig hingeworfenen Zeilen schienen aus einem persönlichen Tagebuch zu stammen.

»Warum finden sich diese Aufzeichnungen Bouchards zusammen mit dem Text von Petronius?«, fragte Hardouin misstrauisch und nahm das Bündel Papiere wieder an sich.

»Bouchard? Dann gehörte dieses Tagebuch meinem armen Freund? Er ist also Orestes?«, fragte Naudé mit einem Ausdruck des Erstaunens, der unmöglich als gespielt oder echt zu erkennen war.

Wie spitze Schwerter richteten sich die fragenden Blicke von Schoppe, Guyetus und Hardouin auf Mazarins Bibliothekar: Noch heute Morgen hatten wir diskutiert, ob er wirklich nicht wissen konnte, dass sich hinter dem gräzisierenden Pseudonym Orestes sein Freund Bouchard verbarg. In dem Wald bei den Grotten, wo wir nach dem Brand des Häuschens die Nacht verbracht hatten, hatte Schoppe uns über die enge Freundschaft zwischen Bouchard und Naudé in Rom aufgeklärt und ihn einen Verräter genannt.

Guyetus bestätigte lakonisch, dass Bouchard sich unter Philologen Orestes nannte, dem Brauch der Gelehrten gemäß, die sich Spitznamen aus dem klassischen Altertum zu geben pflegten.

»Komm schon, erzähl uns nicht, dass du nichts davon wusstest«, warf Schoppe mit einem durchdringenden Blick auf Naudé ein. »Ihr wart Busenfreunde.«

»Du, lieber Caspar, versäumst keine Gelegenheit, mich daran zu erinnern, dass ich nicht Philologie, sondern nur Medizin studiert habe. Warum wunderst du dich jetzt, dass ich Bouchards Spitznamen unter Philologen nicht kenne?«, erwiderte der Bibliothekar säuerlich.

»Du hast recht, guter Gabriel. Aber du hast vergessen hinzuzufügen, dass du auch in Medizin keinen Abschluss hast«, tönte Schoppe und versetzte Naudé einen aufreizenden Hieb auf den Rücken.

|410|Bevor die Sache in den nächsten Zank ausarten konnte, schaltete sich Hardouin ein:

»Ich wiederhole meine Frage: Kann mir jemand erklären, was diese Aufzeichnungen Bouchards in der Tasche von drei Bauern auf einer verlassenen Insel im Toskanischen Meer zu suchen haben und obendrein zusammen mit Petronius?« Hardouins Ton war so misstrauisch wie zuvor, sein Blick irrte zwischen Naudé und Guyetus hin und her.

Mir fiel auf, dass diese Tagebuchnotiz sich auf die Liste der Lügengeschichten der antiken Historiker bezog, die wir bereits gelesen hatten. Bouchard schien gründliche Nachforschungen über sie angestellt zu haben. Aber was bedeutete es, dass diese Geschichten »die Zeit verderben«? Und was war die impia cohors, die »gottlose Bande«, die »die Suppe verlängert«?

»Eines ist sicher«, erklärte Naudé, »das alles muss mit Philos Ptetès zu tun haben, also höchstwahrscheinlich auch mit unseren drei Schlafenden dort am Tisch. Mehr kann ich nicht sagen.«

»Ich sagte es ja«, stimmte Guyetus kopfschüttelnd ein, »wir befinden uns im Schloss des Zauberers Atlante. Vielleicht sind wir auch nur Opfer einer Sinnestäuschung.«

»Vielleicht schlafen die drei gar nicht«, überlegte Malagigi an Guyetus gewandt, »und wussten genau, dass Ihr Euch sofort auf ihre Tasche stürzen würdet. Wenn es so ist, haben wir uns alle schön blamiert! Ich frage mich, ob es nicht besser ist, mit offenen Karten zu spielen …«

»Achtung, sie sind aufgewacht!«

Die Warnung kam von Hardouin. Einer der drei bärtigen Kumpane war erwacht, die anderen schienen kurz davor, die Augen aufzuschlagen.

Pasqualinis Vorschlag, den dreien die Wahrheit zu sagen, wurde sofort verworfen, schweren Herzens stopfte man die Papiere zurück in die Tasche (nicht ohne sich vorzunehmen, bei nächster Gelegenheit in den Aufzeichnungen Bouchards zu lesen), und bevor die drei von ihren Stühlen aufstehen konnten, kam die ganze Schar auf sie zu, um sie mit allerlei Schmeicheleien zu bewegen, die Nacht bei uns zu verbringen.

Das Mysterium der Zeit
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