|186|DISKURS XXVI

Darin man beginnt, die Torre Vecchia zu erforschen, isst und trinkt, und dann eine kostbare Schrift entdeckt.

Malagigi setzte sich an die Spitze der Vorhut, gefolgt von Hardouin und den beiden Korsaren. Nachdem die vier ihre Ohren gespitzt hatten, um mögliche Geräusche aus dem Inneren der Festung zu erhaschen, betraten sie ohne Federlesens den Vorraum und verschwanden am Ende des Korridors.

Wir anderen, die aus Vorsicht draußen geblieben waren, beschlossen, uns im umliegenden Gebüsch zu verstecken und still abzuwarten. Vorher vereinbarten wir noch schnell ein Zeichen, das bei Gefahr gerufen werden sollte.

Für die draußen Gebliebenen war es eine bange Wartezeit. Mit unbeschreiblicher Erleichterung nahmen wir die gute Nachricht auf, die uns Hardouin brachte. Kaum ins Freie zurückgekehrt, verkündete er begeistert:

»Kommt! Die Festung gehört uns. Und es gibt Wasser in Hülle und Fülle!«

Wir kamen aus unseren Verstecken, schlüpften rasch durch das Gittertor und betraten den Vorraum, wo uns augenblicklich die eiskalte Luft alter Kastelle entgegenschlug. Wir stiegen die vier Stufen am Ende des Korridors hinauf und bogen nach links ab, wo wir am Ende einer langen Treppe auf den richtigen Eingang zur Festung stießen. Es war ein gepanzertes Tor, das jedoch, nach dem Zustand der Schlösser und Riegel zu urteilen, seit langem nicht mehr ordentlich geschlossen worden war. Nachdem wir durch dieses Tor getreten waren, gelangten wir wieder ins Freie, doch dieses Mal im Inneren der Torre Vecchia.

Wir befanden uns in einem dreieckigen kleinen Innenhof, den der hohe Turm mit den Zinnen überragte. Um den Turm, in dem die gesamte Festung gipfelte, gruppierten sich Gebäude verschiedener Größe, hinter denen wiederum kleine Plätze und Höfe liegen mussten. Sie machten aus der Festung eine Art Labyrinth, das erforscht werden wollte.

Mitten in dem dreieckigen Hof, in dem wir standen, prangte ein Brunnen, an dem sich Hardouin und die beiden Korsaren zu schaffen machten.

|187|»Genug Wasser für alle«, wiederholte Hardouin freudestrahlend, während er einen vollen Eimer von dem Seil löste, an dem er ihn soeben aus der Zisterne gezogen hatte. Vor Anstrengung schnaubend, setzte er den Eimer mit Hilfe der beiden Korsaren am Brunnenrand ab. Sofort löschten alle zufrieden ihren Durst, der eine, indem er mit den Händen schöpfte, der andere, indem er das Gesicht direkt in den vollen Eimer tauchte. Nun war es Zeit, an den Hunger zu denken.

Auf dem Hof gab es im Schatten des großen Turms eine kleine Kirche. Es war ein winziger, anrührender Bau aus einem einzigen Schiff, einem Fenster, das aufs Meer ging, einem Altar und an der linken Seite einer noch kleineren Kapelle, deren Fenster auf den Hof blickte. Daneben lag ein Gebäude gleicher Größe mit zwei Zimmern, wahrscheinlich die Wohnräume des Kaplans, der vor wer weiß wie langer Zeit hier die Messe gelesen und an diesem gottverlassenen Ort gelebt hatte.

Wir teilten uns in zwei Gruppen auf. Malagigi, Naudé und ich gingen den Turm erkunden, die anderen konzentrierten sich auf die niedrigeren Gebäude, beginnend mit der Kirche.

Im Turm trennten wir uns noch einmal. Pasqualini stieg in die oberen Stockwerke hinauf, Naudé und ich widmeten uns dem Raum im Erdgeschoss, einem schmutzigen Gelass voller Spinnweben, wo ein paar verrottete Holztruhen standen.

Wenige Minuten später hörten wir einen Jubelschrei. Ohne unsere Inspektion zu Ende zu bringen, stürzten wir auf den Hof und dann in das Gebäude neben der Kirche, wo sich herausstellte, dass die Jagd dank der erprobten Spürnasen Kemal und Mustafa erfolgreich gewesen war.

In einer dunklen Ecke gab es ein Türchen und dahinter eine Treppe, die wir hinabstiegen, bis wir in einen engen, muffigen Keller gelangten, in den nur durch einen Gitterrost Licht fiel. Die beiden Korsaren hatten herausgefunden, dass sich unter den beiden Zimmern neben der Kirche dieses Lager befand, wo zwei Fässchen mit Salzheringen, eine große Menge Zwieback von der Art, wie man ihn auf lange Schiffsreisen mitnimmt, und sogar mehrere schöne Würste versteckt waren. Wie lange warteten diese Lebensmittel hier schon auf ihren Besitzer? Gleichviel, wir nahmen dieses unerwartete Gottesgeschenk an und schlugen aus Dankbarkeit sogar das Kreuzzeichen (die beiden abtrünnigen |188|Korsaren ahmten uns mit ausladenden Gesten nach, doch das fromme Zeichen misslang ihnen, weil sie sich erst rechts und dann links auf die Brust schlugen).

Dann fanden wir sogar trockene Kichererbsen in Säcken, reifen Käse und getrocknete Früchte, was die Freude der ganzen Gruppe beträchtlich steigerte.

»Hoch lebe die Torre Vecchia!«, rief Naudé aus, einen Zwieback in die Höhe hebend, als wäre es ein Kelch besten Weines, und sogleich taten es ihm alle nach.

»Wir haben hier einen schönen reifen Käselaib, das ist ja, als wäre man am Hof von Arnau Aimar!«, verkündete Kemal zufrieden.

»Wer ist das?«, fragte Schoppe argwöhnisch.

»Ein Renegat aus Mallorca, der zufällig immer Schiffe voller Käse kaperte. Doch auch Ali Rais ist großzügig wie ein König, wenn es darum geht, aus festlichem Anlass Quark und Käse zu verteilen.«

Dann kam die große Überraschung: unter einer dichten Staubschicht tauchte eine Ballonflasche auf, sehr schwer und darum vielversprechend.

Sofort legten sich viele Hände um den Hals des großen, bauchigen Behälters. Der Korken wurde aufgebrochen und unter fieberhaftem Hantieren mit Gürtelschnallen und anderen recht unorthodoxen Werkzeugen herausgezogen. Als Trinkgefäß diente der derbe Brunneneimer, doch war es der angenehmste Schluck, der jedem von uns jemals gewährt wurde.

»Hoch lebe die Torre Vecchia!« – »Hoch lebe Gorgona!« Guyetus und Schoppe übertrafen einander an Begeisterung, während sie sich den mit Wein gefüllten Eimer reichten und ihre Mienen endlich die Falten des Grolls und stirnrunzelnden Jammers verloren, die Körper sich unversehens belebten.

»Hoch lebe diese Festung!«, stimmte Hardouin ein, »und hoch lebe die Rettung vor …«

Malagigi war soeben in dem kleinen Keller angekommen, wir hatten kaum Notiz davon genommen, dass er sich so lange im Turm aufgehalten hatte. Er hielt ein Blatt Papier in der Hand.

»Habt Ihr das nicht gesehen?«, fragte er Naudé und mich, mit dem Papier wedelnd. »Es lag in einer der zwei Truhen im Erdgeschoss des Turms.«

»Nun, wir haben es wohl übersehen«, antwortete Naudé ein wenig |189|verlegen, »denn kaum hatten wir gehört, dass Lebensmittelvorräte gefunden wurden, sind wir hierher geeilt. Was ist das?«

Ich hielt mir unterdessen das mit einer winzigen Handschrift bedeckte Blatt unter die Nase, und alle anderen drängten sich um mich.

Das Mysterium der Zeit
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