Kehren wir zu meinem Plan zurück, uns alle auf Gorgona auszusetzen, und wie ich ihn verwirklichte. Noch immer bin ich stolz auf meinen schönen lateinischen Brief, gespickt mit verlockenden Informationen für die Kreise der Gräzisten und Latinisten, unterzeichnet von einem geheimnisvollen, faszinierenden Mönch aus dem fernen Slawonien. Tagelang habe ich über diesen Brief nachgedacht, bevor ich ihn schrieb und an einige der berühmtesten Philologen unserer Zeit sandte, die mit einem besonderen Kriterium ausgewählt waren: sie mussten sich mit Chronologie beschäftigt haben. Das Schauspiel war bis ins kleinste Detail geplant. Um die Verspätung zu erklären, mit welcher der Brief seine Adressaten erreichte, hatte ich die Geschichte vom Verschwinden des Briefes im Postlager aufgetischt, wo er angeblich gut zwei Jahre liegenblieb, und zusätzlich hatte ich ihn mit einem strategisch platzierten Wasserfleck versehen, der das Datum löschte.
Auf die Einladung des imaginären slawonischen Mönches antworteten nur Schoppe und Guyetus, Letzterer nahm außerdem Hardouin |742|mit. Naudé war mir bereits sicher, denn er musste die Kopie der Gutenbergbibel für Kardinal Mazarin vom Kopisten abholen. Wer weiß, was passiert wäre, wenn auch Petavius mitgekommen wäre, jener gefürchtete Jesuit, Fortsetzer des Werkes von Scaliger, der ebenfalls mit Bouchard in Briefkontakt stand.
Ich habe dafür gesorgt, dass wir im Hafen von Livorno alle auf das als Kriegsgaleere getarnte Brandschiff verladen wurden. Als sich herausstellte, dass die Galeere keine war, sondern ein Brandschiff, kam dir der erste sehr vage Verdacht. Natürlich richtete er sich nicht gegen mich, du hast einfach gewittert, dass etwas nicht stimmte. Fassungslos riefst du aus, warum wir ausgerechnet an Bord eines Brandschiffs gebracht worden waren, da die französische Heeresflotte noch andere Schiffe im Hafen von Livorno zur Verfügung hatte.
Um Gottes willen, es lag mir völlig fern, auf hoher See ein Feuer zu entzünden! Mein Plan war viel einfacher: Das Brandschiff sollte während der Pause, in der wir im Hafen von Gorgona Wasservorräte nahmen, in Flammen aufgehen. Dort hätte jemand von der französischen Mannschaft gewiss die beiden Rettungsboote und unser Gepäck gesichert. Die Mannschaften von Brandschiffen sind eigens für solche Operationen ausgebildet, die sie mit der größten Geschwindigkeit und Präzision ausführen können, wenn das in Flammen stehende Brandschiff dem Endzweck zusteuert, für den es gebaut wurde. Und während ein Teil der Mannschaft nach Livorno zurückgekehrt wäre, um ein neues Schiff auszurüsten, mit dem wir unsere Reise nach Paris fortsetzen konnten, würde ich – nachdem ich die Aufzeichnungen Bouchards und die Fälschungen Poggios, wie das Satyricon, schlau auf unseren Wegen ausgestreut hatte – das Naturell, die Neigungen, Leidenschaften und Gewissensregungen meiner ahnungslosen Geiseln studieren, um zuletzt zu entscheiden, wer von ihnen würdig war, Bouchards und Poggios Papiere, die mir Francesco Bracciolini anvertraut hatte, zu erhalten, und wer am besten vermocht hätte, die in diesen Schriften verborgene Wahrheit über die Zeit zu verbreiten.
Welch ein Unglück, dass wir ausgerechnet über Ali Ferrarese stolpern mussten und beim Brand des Schiffs unser Leben riskierten! Mea culpa, mea maxima culpa, jammerte ich während jener schrecklichen Stunden, als mein Plan auf die schlechtmöglichste Weise scheiterte, heimlich vor mich hin.
Als wir endlich auf Gorgona landeten, war mein Zeitplan hoffnungslos |743|durcheinandergeraten. Ich kannte die Insel nicht, nur das verlassene Örtchen und den Hafen, auf die sich unser Aufenthalt beschränken sollte, wie ich gehofft hatte. Also setzte ich alles daran, damit wir möglichst lange nicht dort ankommen würden. Denn am Hafen legten, wie gesagt, oft Schiffe an, um sich mit Süßwasser zu versorgen. Wenn das erste Schiff kam, würde ich vielleicht noch verhindern können, dass wir alle an Bord genommen wurden. Zum Beispiel, indem ich ein Unwohlsein vortäuschte, wie ich es erfolgreich getan hatte, als die Schebecke aus Livorno sich Gorgona genähert hatte. Ich hatte mir ein wenig hier und da ausgerupftes Gras in den Mund gestopft, und nachdem es zu einem Brei durchgekaut war, hatte ich zum Schein erbrochen. Kemal hatte die Matrosen der Schebecke in seinem eigenen Interesse darauf aufmerksam gemacht, und aus Angst vor einer Seuche hatten sie uns zurückgelassen. Doch wie sollte ich mich verhalten, wenn das nächste Schiff kam, wie verhindern, dass es uns von der Insel rettete? Mein falsches Spiel wäre im Nu aufgeflogen.

Doch mitten im Unglück hatte ich das Glück, zu erraten, dass unser Kemal mitnichten der Statthalter des berüchtigten Ali Ferrarese war.
Unser unermüdlicher, zäher, wachsamer, erfahrener Korsar war niemand anders als er selbst: Ali Ferrarese persönlich.
Hätte ein gewöhnlicher Korsar so große Freude daran gehabt, uns Alis romanhafte Lebensgeschichte in allen Einzelheiten zu schildern? Diese Erzählung war seine Autobiographie.
Der alte Renegat focht seinen ewigen Kampf, immer und immer wieder. Nachdem er zwei Jahrzehnte hinter Gittern gesessen hatte, dürfte er nur noch einen Wunsch gehabt haben: seine letzten Jahre als freier Mann zu verbringen. Geriet er abermals in Gefangenschaft, konnte er sich nicht mehr als Türke ausgeben. Das hatte er schon einmal getan, und man hatte ihn zwanzig Jahre im Gefängnis verfaulen lassen. Daraus hatte er gelernt: er war nicht mehr Ali Ferrarese alias Francesco Gucciardo, sondern ein anderer Renegat, irgendeiner: Kemal, alias Vincenzo, der Italiener. Und wenn sie ihn erwischten, würde er sofort zugeben, ein Abtrünniger zu sein, oh ja, und er würde dem islamischen Glauben abschwören, um wieder ein Christ zu werden. Doch sobald man ihm die Freiheit gewährte, würde er verschwinden |744|und zu den Seinen nach Biserta zurückkehren, wo er reich und gefürchtet war, während ihn in Italien nur das Leben eines elenden Habenichts erwartete. Nicht der berühmte Ali würde dem moslemischen Glauben abschwören, sondern der unbekannte Kemal-Vincenzo. Der Sultan würde nicht wissen, mit wem er es zu tun hatte, und am allerwenigsten vermuten, dass er den Renegaten vor sich hatte, der überall mit seinem Motto »Die christliche Religion ist falsch« gewedelt hatte – einem schlauen Schutz seiner Freiheit im Reich Mohammeds, wo man jeden Verrat mit dem Tod bezahlt.
Wenn Gefangene an Bord waren, spielte Ali Ferrarese seinen eigenen Statthalter, während ein anderer Korsar seine Rolle übernahm, irgendeiner im richtigen Alter, und immer ein anderer: Ali wechselte ihn alle sechs, sieben Monate aus. So verhinderte er, dass es wieder zu Dutzenden übereinstimmender Zeugenaussagen kam, wie sie ihn vor zweiundzwanzig Jahren festgenagelt hatten.
Der Mechanismus funktionierte perfekt, denn er konnte alles aushalten, doch der Gedanke an den Kerker war ihm unerträglicher als der an den Tod. Die Nazarener hatten ihn im Gefängnis gerecht behandelt, obwohl er sie hasste und nicht einmal genau wusste, warum. Wie Occhialì, wie Cicala, wie alle italienischen Renegaten, liebte und fürchtete Francesco Guicciardo den unbezwingbaren Teil in sich, der trotz allem christlich und italienisch blieb.
Doch das ist Geschwätz, lieber Atto. Ali Ferrarese war alles und niemand. Er lief herum und sprach von sich in der dritten Person, weil es ihn amüsierte, den Mythos seines doppelten Ichs auf Kosten der Nazarener zu kultivieren.
Der erste Verdacht kam mir, als seine Karacke das Rettungsboot mit uns armen Schiffbrüchigen entern wollte. Ich habe Naudé gezeigt, wie er handeln sollte. Natürlich war ich derjenige, der ihm die Pistole geliefert hatte, mit der er auf Kemal zielte.
Und so habe ich ihn auf Gorgona an einem windigen Nachmittag mit einem Wechselspiel aus Sonne und Wolken während eines Spaziergangs vor der Torre Vecchia enttarnt und zu einem Pakt überredet. Damit habe ich die Zeit gewonnen, die ich brauchte, um meinen Plan zu Ende zu führen, natürlich auch, indem ich Kemal mit der trügerischen Vorstellung lockte, sich den kostbaren Philos Ptetès schnappen zu können …
|745|Als Gegenleistung würde ich ihm zu gegebener Zeit helfen, uns Nazarener einen nach dem anderen einzufangen. Ich würde tatkräftig mithelfen, die verschiedenen Todesfälle, die in Wirklichkeit Entführungen waren, glaubhaft zu machen. Sogar die Gefangennahme der drei Bärtigen war Teil unseres gemeinsamen Handelns, denn auch Kemal hatte wie ihr alle geglaubt, einer der drei wunderlichen Gestalten könnte Philos Ptetès sein. Darum hatte er dich beleidigt und war dann mit mir handgreiflich geworden – ein von uns beiden inszeniertes Ablenkungsmanöver, um die ganze Gruppe in Schach zu halten, während die drei Bärtigen von seinen Männern entführt wurden. Zu ihnen gehörte auch Mustafa, den ihr anderen bereits für tot hieltet, derweil er hinter den Kulissen agierte. Natürlich log ich, als ich euch von Mustafas Ende berichtete. Ich wusste genau, dass er nicht von der Klippe gestürzt, sondern zu den anderen Korsaren gestoßen war.
Schließlich mussten wir uns am Leuchtturm der Meloria wieder mit den Barbaresken vereinigen, und zwar aus einem bestimmten Grund. Kemal hatte seine Mannen instruiert, dass sie ihn, wenn etwas dazwischenkam, nicht auf Gorgona, sondern an der Meloria finden würden. Und so war es: Die verrückten Gorgoneser hatten uns mit Kanonenschüssen vertrieben, wir mussten mit dem Boot bis zu dem einsam im Meer liegenden Turm fliehen.
In den ersten Tagen nach dem Schiffbruch war die Vereinbarung mit Kemal reibungslos gelaufen. Doch die kannibalische Mahlzeit aus slawonischem Mönch setzte der Zeit, die mir von unserem verkleideten Ali Ferrarese gewährt worden war, ein jähes Ende. Hast du bemerkt, wie brutal und ungeduldig er von dem Moment an wurde? Nachdem er die Hoffnung aufgeben musste, sich auch durch Philos Ptetès zu bereichern, hatte er es verteufelt eilig, uns alle auf seine Karacke zu laden.
Der falsche Philos Ptetès, der ehemalige Kommissar, die drei Bärtigen, Nummer Drei: natürlich wusste ich, dass diese armen Irren, die der Großherzog der Toskana nach Gorgona verbannt hatte, auf alle Fragen immer mit Ja antworteten. Also legte ich ihnen durch meine Fragen die gewünschten Antworten in den Mund. Habt Ihr den Mönch gesehen? Ja, ja! Hatte er eine Tasche bei sich? Na, klar! Seid Ihr vielleicht Philos Ptetès? Ich bin’s persönlich! Auch die imaginären Städte und Klöster von Campanella, Thomas Morus und Rabelais waren nie ein Geheimnis für mich. Ich ahnte schon bald, dass es sich um |746|den Inhalt alter Bücher handeln musste, die irgendeines der vielen vorüberfahrenden Schiffe auf der Insel gelassen hatte.

Und jetzt lass mich den Kummer gestehen, den ich seit Jahren im Herzen trage: Wenn ich den Brief von Philos Ptetès an die gelehrten Pariser nie geschrieben hätte, wenn ich euch nicht zum Versteck von Poggios Fälschungen geführt hätte, dann befänden sich diese Handschriften noch bei mir zu Hause in Sicherheit. Stattdessen haben sie sich im sauren Morast eines Schweinestalls auf Gorgona aufgelöst und sind dem menschlichen Wissen und dem gerechten Urteil der Nachwelt für immer verloren.
Denn das Fatum ist mir wirklich nicht hold gewesen. Das Schicksal, das die Namen und die Missetaten von Poggio Bracciolini, Darmarios und Diassorinos seit Jahrhunderten beschützt und aus den leeren Hüllen Platon und Aristoteles zwei Menschen gemacht hat, die fast realer und lebendiger sind als wir alle, nun, dasselbe Schicksal hat mich zum Zerstörer dessen bestimmt, was ich ans Licht bringen wollte.
Natürlich musste ich mit unzähligen Zwischenfällen und Schwierigkeiten fertigwerden, einschließlich der aggressiven Natur der Irren von Gorgona, die ich bei meinen vorhergehenden Ortsbesichtigungen nicht hatte gewahren können. Mit ihren Kriegsspielen haben diese Verrückten unser Leben gefährdet, vor allem in der Grotte des Seeochsen. Und wer, verflucht, hätte gedacht, dass die Bombarde in der Torre Vecchia noch perfekt funktionierte?
Fest steht, dass ich alles ruiniert habe, ganz so, als hätte Bouchard seine Aufzeichnungen und Poggios Falsifikate Cassiano dal Pozzo direkt übergeben. Das ist ganz allein meine Schuld.
Prompt hat das Schicksal mich mit seiner launigen Ironie bestraft. Ich hatte vorgetäuscht, dass Poggios Handschriften aus Slawonien kommen. Die einzige Handschrift, die der Vernichtung entgangen ist, das Gastmahl des Trimalchio, ist nun durch Ali Ferrarese, der meinen Lügen geglaubt hat, wirklich in Slawonien gelandet.
Ich akzeptiere die Leiden meiner Reue. Groß und fürchterlich war meine Arroganz. Ich glaubte, alles in der Hand zu haben bei einer Geschichte, deren Hauptfiguren Secretari waren wie ich: Secretari der |747|Barberini waren Bouchard und Naudé, »Secretarius« ist die Bedeutung des Namens Synkellos.
Ich, ein Secretarius, dessen ganzes Leben stumme Überredungskunst ist, glaubte, alles von oben lenken zu können wie ein Marionettenspieler: mit einem falschen Schatz eine ganze Schar von Gelehrten zu ködern, sie auf einer entlegenen toskanischen Insel zu versammeln, zu entscheiden, wer von ihnen würdig sei, den Kampf gegen die pervertierte Zeit aufzunehmen, und schließlich Naudé vor das Gericht seines Gewissens zu stellen. Die Theologen haben die Würde des Secretarius jener der Engel verglichen, die Gott am nächsten sind. Tatsächlich habe ich durch Hochmut gesündigt wie einer dieser Engel. Wenn ich es irgend vermocht hätte, ich hätte mich zur Göttlichen Vorsehung gemacht und Sonne und Regen befohlen, sich meinem Willen zu unterwerfen. Doch wer ist wie Gott? Also habe ich bezahlen müssen: In Naudé habe ich keinen Verbrecher, sondern einen einfältigen Mitläufer gefunden, und statt der Nachwelt die Beweise für einen gewaltigen Betrug zu liefern, habe ich sie zerstört.
Wie soll man die Welt jetzt noch davon überzeugen, dass der Zeit Gewalt angetan wurde? Woher die Beweise, die Argumente nehmen? Wir müssen mit dem Rechenbrett neu anfangen und alle Lügen Stück für Stück widerlegen. Nur die zwei Heftchen mit der Chiffre der Namen und den Lügen des Aristoteles und Darmarios sind dem Zerstörungswerk entgangen: sie gehören einem soeben geborenen Kind.
Wer erneut von Grund auf Beweise sammeln wird, Krümeln gleich, die vom Tisch der Herrschenden fallen, den wird man als Verrückten, als Visionär und als anmaßend beschimpfen, er wird den Hohn derjenigen ertragen müssen, die seit jeher triumphieren. Beten wir, dass Zorn und Schmerz ihm nicht das Herz zerreißen.
Bei null, nein, bei weniger als null hebt nun der Kampf um die Wahrheit wieder an. Auf der einen Seite die Großen: Poggio, Scaliger, Aristoteles und Platon, Legionen von Philologen, Historikern, Verlegern, Literaten. Auf der anderen Seite der zarte Atem von Hardouins Sohn dort in Paris, und die Worte eines jungen Franzosen, der von allen verraten und feige ermordet wurde. Es ist ein lächerlich ungleicher Kampf, und er ist von vorneherein verloren.
Oder vielleicht doch nicht? Vielleicht muss alles genau so passieren, vielleicht darf es kein Kampf zwischen Orlando und Rinaldo sein, |748|sondern notwendigerweise einer zwischen David und Goliath. Welch ein Verdienst läge sonst darin?

Während der Lösegeldverhandlungen mit der französischen Marine wart ihr auf der Karacke der Korsaren alle in Sorge um Guyetus.
Kemal hatte dem armen Pariser Philologen Tabak unter die Achseln gesteckt, damit er hohes Fieber bekam. Ein alter Trick, der immer funktioniert. Er tat es mir zu Gefallen: ich konnte nicht zulassen, dass Guyetus auf euch traf. Denn dann hättet ihr entdeckt, dass er nicht mit mir gesprochen hatte, bevor er verschwand. Was ich euch damals nach seinem scheinbaren Selbstmord erzählte, war nicht das Geständnis von Guyetus, sondern das Ergebnis meiner Lektüre der Aufzeichnungen Bouchards. Den falschen Brief, mit dem Guyetus seine Absicht zum Freitod bekundete, hat nicht Kemal, den habe ich geschrieben. Dafür habe ich die Unterschrift benutzt, die Guyetus unter seine schriftliche Erklärung für dich gesetzt hatte: Wenn du in einem der drei Bärtigen Philos Ptetès erkanntest, würdest du es nur ihm mitteilen und dafür reich belohnt werden. Ich hatte mir diese Unterschriften von allen Gelehrten besorgt, die eine Abmachung mit dir unterzeichnet hatten, doch dann benötigte ich nur die von Guyetus.
Ich schnitt den unteren Teil der Erklärung mit der Unterschrift ab, und daneben schrieb ich seinen traurigen Abschied von der Welt in Großbuchstaben, damit die abweichende Handschrift nicht auffiel. Doch wenigstens die Unterschrift musste echt sein, denn noch war Hardouin bei uns, der Guyetus Handschrift kannte.
Als wir in Toulon ankamen, ist mir der kalte Schweiß ausgebrochen, weil du um jeden Preis mit Guyetus sprechen wolltest, um seine Version der Ereignisse zu hören, bevor wir uns trennten und unsere Reise zu Pferd nach Paris fortsetzten. Doch sein hohes Fieber hat die Franzosen zu meinem Glück bewogen, ihn strikt von uns allen zu isolieren, auch vom alten Schoppe, der in Toulon die nötige ärztliche Pflege erhielt.
Auch den Abschiedsbrief, in dem Hardouin ankündigte, er wolle zusammen mit Malagigi versuchen, Livorno zu erreichen, habe ich geschrieben, nicht Ali Ferrarese, obwohl ich keine fertige Unterschrift |749|von Hardouin besaß. Das war in diesem Fall kein großer Nachteil, denn niemand von uns kannte seine Handschrift.

Es gibt noch etwas, das ich dir gestehen möchte. Das zweite unvorhergesehene Ereignis neben den Korsaren war dein falscher Barbello: Barbara Strozzi, die verkleidete Frau, die venezianische Sängerin, die ich aufgrund der wechselvollen Begebenheiten nie singen oder mit ihren zarten Händen Laute spielen hörte. Vergib mir, dass ich dir ihre Untreue offenbaren musste, aber ich weiß ja, dass du dein Herz inzwischen einem anderen Herzen geschenkt hast, und das für immer, wenn ich dich richtig kenne.
Auf Kemals Karacke hatte ich noch immer nicht verstanden, warum dieses gefährliche Geschöpf mir die geheimsten Winkel seiner verborgenen weiblichen Natur hatte öffnen wollen und welch eine hochgemeine Mission sie mit ihrem sonderbaren Sack nach Paris führte.
Meine bis dahin vergeblichen Nachforschungen fanden auf der Karacke ein unverhofftes Ende, als mir überraschende Szenarien enthüllt wurden. Während die Verhandlungen zwischen der französischen Marine und unserem Ali Rais über die Höhe des Lösegeldes, das uns die Freiheit geben würde, noch in vollem Gange waren, hatte der Kapitän des Kriegsschiffes Seiner Majestät des Allerchristlichsten Königs von Frankreich uns duftende Salben, Parfüme und prächtige Kleider schicken lassen. Wir hatten uns gründlich gewaschen und suchten nun in den neuen Kleidern jeder nach einem passenden Gewand in seiner Größe, als ich mich plötzlich heftig am Arm gezogen fühlte.
»Das ist mein Gefährte, er ist es wirklich! Oh Gott! Ich dachte, es wäre nur ein Spaß … wie oft haben wir Scherze damit gemacht …«
Es war der vermeintliche ehemalige Kommissar von Gorgona. In der Hand hielt er Barbellos geheimnisvollen Sack.
Ich suchte mit Blicken nach Barbara und entdeckte sie am andern Ende des Decks, wo sie sich hinter einem von dir und Malagigi gehaltenen Vorhang wusch und die neuen Kleider anlegte – natürlich als Kastrat.
»Oh, mein Gott! Oh Gott!«, schluchzte der arme Irre. »Es war doch nur eine kleine Komödie, die wir viele Male gespielt haben. Wir amüsierten uns auf Kosten der Leute, die auf Gorgona Trinkwasser schöpfen |750|kamen. Wir taten so, als würden wir von Banditen entführt, ich befreite mich, kehrte zurück und rettete unsere ahnungslosen Opfer aus der Grotte des Seeochsen, genauso wie wir es mit Euch gemacht haben. Dann ging es an die Rettung meines armen Gefährten, aber wir fanden ihn gut zurechtgeschnitten und gekocht vor, haha! Und wenn die anderen erkannten, dass sie Menschenfleisch gegessen hatten, rannten sie entsetzt davon! In Wirklichkeit war es ein Hammel. Alles war nur ein Scherz! Aber jetzt haben sie meinen Kameraden wirklich getötet. Und nicht nur gekocht und gegessen, sondern sogar enthäutet! Oh Gott, oh mein Gott!«, keuchte er zu Tode erschrocken.
»Wovon faselst du denn da?«, fragte ich ungeduldig.
»Von dieser Menschenhaut, die ich in dem Sack gefunden habe!«
Mir blieb die Luft weg.
Nicht wegen der Erklärungen des armen Irren. Denn schon du, lieber Atto, hattest gesehen, dass einer der Tollwütigen, die uns in dem verlassenen Städtchen verfolgten und auf uns schossen, niemand anderes als der falsche Philos Ptetès war. Wir waren keine Menschenfresser gewesen, sondern nur Opfer des geschickten Theaters dieser gefährlichen Irren.
Etwas anderes verschlug mir die Sprache. Was der Armselige mir da zeigte, war wirklich eine menschliche Haut, die die Formen eines männlichen Körpers aufwies. Allmächtiger Himmel, wer war der unglückliche Mensch, dem sie gehört hatte? Diese Haut, sorgsam in dem Sack aus gewachstem Leinen gehütet, hatte ich sogar betastet, freilich ohne zu erkennen, worum es sich handelte. Ich hatte sie für altes, vertrocknetes Leder gehalten. Allzu absurd war die Wahrheit, obgleich wahr.
Und ich hatte gedacht, ich wäre am Ende angelangt. Bouchard ruhte endlich in Frieden, da tat sich schon ein neues schwieriges Kapitel voll ungelöster Fragen auf. Damals wusste ich wirklich nicht, wem diese vertrocknete Menschenhaut gehören konnte. Wir sollten es schon bald entdecken, nachdem wir in Paris am französischen Hof angekommen waren. Als wir in Toulon von Bord gingen, hatte die gerissene Barbara Strozzi sich unserer Gruppe offiziell vorgestellt, während der verschwundene Barbello nur ein Billet hinterließ: Er kehre nach Venedig zurück, weil er krank sei.
In der Poststation von Toulon rüstete sich deine nicht mehr verkleidete Frau dann zur bevorstehenden eiligen Reise nach Paris. Begleitet |751|wurde sie von dir, Malagigi, Naudé und Hardouin, der es nicht erwarten konnte, zu seiner Familie zurückzukehren.
Unterdessen häuften sich die Fragen, die ich in meinem Herzen bewegte: War die Menschenhaut, die diese Frau in ihrem Sack aufbewahrte, ein Täuschungsmanöver? Oder das Indiz für einen Mord? Ich hatte Barbello nicht bei uns auf dem Brandschiff gewollt. Erst während unseres Aufenthaltes in Paris, während der Proben zu jener geheimnisvollen Oper, die sich schließlich als Orfeo von Luigi Rossi entpuppen sollte, erfuhren wir die Wahrheit. Erst dort sollte ich endlich verstehen, warum die Strozzi dafür gesorgt hatte, auf deinem Schiff an Bord genommen zu werden. Sie brauchte einen zuverlässigen Freund für ihre Mission am französischen Hof. Und schließlich ahnte ich auch, dass Barbara sich mir offenbart und hingegeben hatte, weil sie voraussah, dass sie mich am französischen Hof noch dringender brauchen würde als dich. Aber das gehört zu einer anderen Geschichte, nicht wahr?

Jetzt möchtest du wahrscheinlich, dass ich noch seitenlang fortfahre mit meinen Enthüllungen über den Plan, den ich für unser Abenteuer auf Gorgona ausgeheckt hatte.
Sicherlich möchtest du auch, dass ich noch einmal ausführlich über alle Entdeckungen spreche, die wir dank der Schriften Bouchards auf Gorgona gemacht haben: die Märchen, die die Historiker des alten Rom erzählten; die gerissenen Banden, die die historischen und literarischen Werke der griechischen Antike fälschten; ihre gelehrten Freunde, die heute als Entdecker und Verbreiter des Altertums verehrt werden; alles, was wir erfahren haben über Galileo, Aristoteles, Platon, Poggio Bracciolini, Andrea Darmarios, Scaliger, die Tetrade, die Deniaisez, die Brüder Du Puy, Cassiano dal Pozzo, Ciriaco d’Ancona, Pirro Ligorio, Elia Diodati, Synkellos, Manetho, Berossos, Casaubon, die erotischen Tagebücher Bouchards und vieles andere mehr.
Kurzum, du möchtest, dass ich dir noch einmal erkläre, wie die Pervertierte Zeit entstand und wie sie mit all den schönen Erzählungen des Altertums gefüllt wurde. Und auch warum die beiden Geschichten um Galileo und die Philologie ein gemeinsames Muster offenbarten. Galileo und die Philologen haben denselben Fehler begangen: beide haben bloße Vermutungen zu Gewissheiten erhoben.
|752|Schließlich möchtest du, dass ich dir noch einmal einschärfe, dass es eine moralische Pflicht ist, mit dem eigenen Kopf zu denken, statt Moden hinterherzulaufen, dass man auch den hochtrabenden Rednern, die von ihren Kathedern herab das Gesetz diktieren, unbequeme Fragen stellen muss, dass man sich nicht von den Überschriften der Gazetten beeindrucken lassen darf und nicht alle Ammenmärchen glauben darf, die die sogenannten Meisterdenker und die Herren Leichtgläubigen uns weismachen wollen, ohne Nachfragen zu erlauben.
Diese letzte kleine Genugtuung bekommst du nicht, mein lieber Junge.
Du besitzt mein Geständnis. Du hältst es in Händen, in Gestalt schwarzer Tinte auf Papier. Doch denke nicht, ich hätte diese umfangreiche Sammlung aus Diskursen, Betrachtungen, Notizen und Dialogen zum Nutzen und Frommen des Signorino Atto Melani nur geschrieben, um deinen momentanen Bedürfnissen entgegenzukommen. Nein, diese Seiten sollen dir eine Schule des Lebens und Denkens sein.
»Ich hab dir vorgelegt, nun musst du speisen«, sagt der große Dante. Wenn du noch mehr wissen willst, brauchst du den Weg entlang der Seiten, die du soeben hinter dir gelassen hast, nur zurückzugehen und mit Hilfe von Geist und Herz ihre Hintergründe enthüllen.
Bevor ich dir eine ersprießliche rückwärtsgewandte Lektüre dieser Papiere wünsche, möchte ich dir danken, mein innig geliebter Atto. In den vergangenen Jahren hast du mir erlaubt, dir wie ein Vater und ein Freund zur Seite zu stehen, hast dir nie etwas anmerken lassen und viele weitere Abenteuer gemeinsam mit mir erlebt, ohne mir je wegen meines verspäteten Geständnisses Vorwürfe zu machen.
Du hast damit dein Vertrauen und deine Zuneigung bezeugt.
Doch allem voran noch etwas anderes, das ich dir zu
geben glaubte, während du es mir erwiesest:
Du, mein geliebter Atto, gabst mir
ein grandioses Zeugnis der
VERSCHLEIERUNG
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