|92|DISKURS XI

Darin erklärt wird, was ein Brandschiff ist, und welchen Gefahren derjenige ausgesetzt ist, der sich darauf befindet.

Die Augen traten ihm schier aus dem Höhlen, als Schoppe berichtete, was er soeben von einem der Offiziere erfahren hatte, kurz bevor ihm befohlen wurde, zu uns in den Kielraum zu gehen.

Das Schiff, auf dem wir uns befanden, war keine Galeere. Oder besser, es war keine normale Galeere, die zum Kampf gerüstet ist. Im Gegenteil, sie war dazu bestimmt, zu explodieren.

»Sie ist nur deshalb voller Verzierungen und kostbarer Schnitzereien, damit sie einem echten Schiff täuschend ähnlich sieht. In Wahrheit ist sie eine schwimmende Bombe. Die Laderäume sind bis zum Rand gefüllt mit Schießpulver und brennbarem Material«, erklärte der deutsche Gelehrte, dem vor Angst der Atem stockte. »Dieses Schiff dient dazu, nahe an ein feindliches Schiff heranzufahren, sich mit speziellen Haken daran festzumachen, um dann zu explodieren, sodass das Feuer auf das feindliche Schiff übergreift. Versteht ihr?«

Wir blickten einander starr vor Entsetzen an.

»Jetzt verstehe ich: die geschnitzte Reling, die prächtige Galionsfigur … diese Dekorationen, die Vergoldungen, sogar Schnitzereien an den Rudern … alles Blendwerk«, sagte Barbello wie betäubt vor Staunen.

Und wir erkannten jetzt auch, warum die großen mit Wachstuch bedeckten Ballen am Bug nicht ins Meer geworfen worden waren: höchstwahrscheinlich enthielten sie Stroh oder anderes leicht brennbares Material.

»Nur Brandschiffe haben ein zusätzliches Beiboot, um die ganze Mannschaft zu retten. Darum haben unsere Matrosen das am Bug angebundene Beiboot so nah wie möglich an unser Schiff herangezogen«, fuhr Schoppe fort. »Sie fürchten, dass die Piraten, wenn sie es sehen, erkennen, dass sie ein Brandschiff vor sich haben, und aus der Ferne auf uns schießen, damit wir explodieren.«

Wir schauten uns um und sahen in den hölzernen Planken dieses Schiffes zum ersten Mal keinen Schutz, sondern eine tödliche Bedrohung. Viele bekreuzigten sich, jemand flüsterte Bittgebete zur Jungfrau |93|Maria, und ich beobachtete, wie Blässe dein jugendliches Gesicht überzog und das Blut aus deinen Lippen wich. Du entferntest dich für einen Augenblick von Rosina und fragtest mich aufgeregt, doch flüsternd, um von den anderen nicht gehört zu werden:

»Wer um Himmels willen hat eigentlich beschlossen, gerade dieses und kein anderes Schiff der französischen Flotte zu besteigen? Am Hafen von Livorno habe ich viele gesehen! Wollten sie uns in die Luft jagen?«

Ich hatte keine Zeit, dir zu antworten.

»Wartet, das Beste kommt erst noch!« Caspar Schoppe hatte noch schlimmere Nachrichten. »Wisst ihr, was es bedeutet, auf einem Brandschiff zu sein? Da das Schiff dafür ausgerüstet ist, zu explodieren, sind Waffen und Miliz an Bord auf das Unverzichtbare beschränkt.«

»Genau! Es wollte mir doch gleich so erscheinen, dass nur wenige Matrosen an Bord sind«, sagte Malagigi. »Und sogar die Ruderbänke sind nur halb besetzt.«

»Aber sind diese Brandschiffe nicht ziemlich wertlos? Ich hörte, dass die Venezianer im Krieg um Candia gegen die Türken mit diesen Dingern nicht viel ausrichten konnten«, warf Naudé ein.

»Richtig«, erwiderte Schoppe, »aber das lag daran, dass die Türken eine List gebrauchten. Sie hatten den Ankerplatz, wo die Venezianer sie angriffen, mit großen Holzplatten umgeben, die mit Eisenketten befestigt waren. Die Brandschiffe waren blockiert, sie verbrannten, ohne sich den türkischen Schiffen nähern zu können.«

In diesem Augenblick ertönten, kurz nacheinander, zwei weitere Kanonenschüsse. Dann ein dritter, und man hörte ein Knirschen von Holz, während der Kielraum erzitterte und sich unter den Matrosen draußen über unseren Köpfen ein lautes Geschrei erhob. Noch greller ertönten in der Ferne die Schreie des Antreibers, des Kapitäns, des Mannschaftsaufsehers und des Steuermanns. Es war nicht klar, was dort vor sich ging – hatten die Barbaresken uns etwa schon geentert?

»Sie müssen uns getroffen haben«, jammerte Malagigi, »wir gehen besser an Deck.«

»Bist du verrückt? Draußen fliegen die Kanonenkugeln!«, erwiderte Barbello, der in diesen Momenten eine weit größere Geistesgegenwart bewies als du.

Erneut ließ eine, dieses Mal ohrenbetäubend laute und sehr nahe Deflagration alle Anwesenden erzittern. Zwei weitere folgten. Dies war |94|die, allerdings späte, Antwort unserer Kanonen. Das Schiff änderte rasch den Kurs, indem es einen Halbkreis beschrieb. Wahrscheinlich versuchte unsere Galeere ihre Verfolger abzuschütteln, indem sie eine sehr enge Kurve fuhr, das einzige Manöver, bei dem runde Schiffe wie die Karacke der Piraten Schwierigkeiten haben.

»Nein, lasst uns hier raus!«, beharrte Malagigi. »Riecht ihr den Rauch nicht?«

Er hatte recht. Im Kielraum verbreitete sich der immer dichter werdende Qualm eines Brandes. Wie viel Zeit blieb noch, bis das Schießpulver auf dem Brandschiff Feuer fing?

Ohne weitere Diskussionen hasteten wir alle zu der Leiter, die bis an die Falltür im Deck reichte, dem Weg ins Freie. Ich erinnere mich, dass ich selbst den Exodus an die Oberfläche anführte. Erst zuletzt zögerte ich, als ich bemerkte, dass der Rauch über mir, in der Nähe der Falltür, nicht schwächer, sondern dichter wurde. Doch es war zu spät zum Umkehren. Als ich mich umdrehte, sah ich dein verängstigtes Gesicht und hinter dir, dicht aneinandergedrängt, all die anderen, die dich vorwärts schoben, um aus der Dunkelheit des Kielraums zu entkommen. Ich öffnete die Falltür und kletterte nach draußen.

Doch auf die abendliche Dunkelheit war ich nicht gefasst: Der kurze Dezembertag war bereits den nächtlichen Schatten gewichen, die im hellen Mondlicht länger wurden. Sie zitterten im Schein der unzähligen Fackeln in den Händen der Barbaresken, die sich siegesgewiss und drohend überall auf dem Schiff postierten.

Als meine Augen sich an das schwache Licht gewöhnt hatten, wurde mir klar, dass der Qualm nicht aus dem Kielraum kam. Das Schiff war bedeckt mit schwarzen Säulen aus beißendem Rauch, der sich in alle Richtungen ausbreitete. Sofort begannen meine Augen zu tränen, und die Kehle zog sich mir zusammen. Mir fiel ein, dass ich von dieser Strategie schon gehört hatte: Bevor sie entern, werfen die Barbaresken mit Lumpen und Teer gefüllte Brandflaschen auf das Deck des aufgebrachten Schiffes. Wenn diese Flaschen zerbrechen, verbreiten sie ringsumher einen dunklen, dichten Nebel, der blendet und Erstickungsanfälle hervorruft.

Eine weitere Brandflasche landete unweit von mir, um sofort ihre teuflische Essenz zu verströmen, und ich wandte mich um. »Atto!«, schrie ich gellend und packte dich an den Schultern, um dich in das |95|Verließ zurückzustoßen, aus dem wir soeben gekommen waren, und mit dir Rosina, von der du dich nicht trennen wolltest. Ich hörte Schreie von einem Ende des Schiffes zum anderen hin und her fliegen. Zwei Bereitwillige rannten an mir vorbei, ohne auf mich zu achten. Der Rücken einer der beiden Männer war blutüberströmt.

»Bleibt alle im Kielraum und macht die Falltür fest zu, sonst werdet ihr auch dort unten ersticken!«, rief ich, während zwei oder drei Kanonenschüsse meine letzten Silben übertönten.

Ich kauerte mich auf die Planken, dann kroch ich auf allen vieren, die Augen wegen des beißenden Rauches halb geschlossen, auf den Lärm zu, der sich zu meiner Rechten erhoben hatte. Ich warf einen Blick in den Ruderraum: keiner ruderte mehr. Die meisten Bänke waren leer, auf einigen lagen leblose Körper oder blutende Ruderer. Zwei oder drei hielten einen Kameraden fest und versetzen ihm Fausthiebe in den Bauch, nein, mit Entsetzen gewahrte ich, dass sie ihm mit einem Messer die Eingeweide herausschnitten.

Ich presste mich auf die Planken, um nicht gesehen zu werden. Vom Antreiber keine Spur. Wo waren der Kapitän und der Mannschaftsaufseher? Und die Matrosen? Mittlerweile umhüllte der dichte Rauch alles, und vom anderen Ende des Schiffs ertönten hinter dem schwarzen Vorhang aus Rauch zwar noch Schreie, doch es waren keine geordneten Befehle mehr, nur noch Kampfgebrüll.

Mir kamen Erzählungen über die Seeschlachten zwischen den Franzosen und den Spaniern im Meer der Toskana vor einigen Monaten in den Sinn. Eine Kanonenkugel hatte den blutjungen Admiral Maillé-Brezé in zwei Teile gerissen und sein kurzes, ruhmvolles Leben beendet. Wenn man bedachte, dass ich noch vor wenigen Stunden einen der Matrosen mit seinem Kameraden ein Lied hatte singen hören:

Si tu demandes des heraus

Qui nous deslivrent de nos maux,

Les Brezay et les Meillerayes

Sont les medecins de nos playes.

Fragst du nach den Heroen,

Unsren Rettern, wenn Gefahren drohen,

Brezay und Meillerayes sind die Namen

Der Ärzte für Wunden an unsren Gestaden.

|96|Ich schloss einen Augenblick lang die schmerzenden Augen und plötzlich begriff ich, was sich ereignet hatte: ein Teil der Mannschaft, nämlich die türkischen Sklaven, hatte bei der Ankunft der Korsaren gemeutert oder einfach zu rudern aufgehört, um ihren Religionsbrüdern das Entern zu erleichtern und von ihnen befreit zu werden. Und da verstand ich auch, was der alte Seemann gemeint hatte, als er sagte, es sei besser, so wenig Türken wie möglich an Bord zu haben.

In diesem Augenblick ging eine gewaltige Erschütterung durch das ganze Schiff und gleich darauf hörte man ein ungeheuer lautes Krachen wie von tausend Bäumen, die der Sturm gleichzeitig entwurzelt und umstürzen lässt. Ich versuchte mich an einem Tau festzuhalten, das um den Mast geschlungen war, doch der Stoß war zu heftig gewesen. Ich fiel zur Seite und stürzte vom Deck in den Ruderraum. Das Freibeuterschiff hatte uns gerammt.

Wir waren in der Minderheit, gewiss, aber warum hörte man keinen einzigen Schuss? Warum verteidigte uns niemand? Wo hatten die französischen Matrosen sich versteckt? Die Antwort war einfach: In Anbetracht der aussichtlosen Lage hielten alle es für klüger, sich kampflos zu ergeben und darauf zu hoffen, dass man ihnen eine grausame Behandlung ersparen würde.

Nach dem Sturz in den Ruderraum erhob ich mich sogleich, und mir schien, als seien meine Knochen sämtlich heil geblieben. Als ich mich unter die Ruderbänke duckte, hörte ich erneut Schreie. Dann folgte eine Reihe lauter Knalle an Steuerbord: eiserne Enterhaken bohrten sich fest in die Flanke des Schiffes. Der Rückstoß unserer Galeere nach dem Aufprall des Rammsporns ließ das Schiff ächzen, es klang, als bereiteten ihm die in sein Holz gebohrten Haken körperliche Schmerzen. Wir waren geentert worden.

Das Mysterium der Zeit
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