DISKURS LIX
Darin man unterwegs keine Spur von Mustafa findet, aber einer der drei Autochthonen zeigt, dass er wahrscheinlich der echte Philos Ptetès ist.
Als ungeordneter, verstreuter Haufen setzten wir uns in Marsch. Zahllos waren die Bächlein, in die sich der Fluss der Blicke und Gedanken in unserer Gruppe während der Wanderung verzweigte.
Kemal trug den alten Schoppe auf dem Rücken, doch er achtete nicht auf den Rest der Truppe, denn er blickte sich fortwährend fluchend um und suchte nach Spuren seines Gefährten. Direkt vor uns |417|führten die drei Landmänner den Zug mit noch immer schlaftrunkenen Gesichtern und ebenso monotonem wie tadellosem Marschschritt an. Die Gedanken der anderen konnte ich mir gut vorstellen: War es möglich, dass sich unter diesen drei schmutzigen Vogelscheuchen Philos Ptetès verbarg? Immerhin waren das Gastmahl des Trimalchio und Bouchards Aufzeichnungen aus ihrer Tasche hervorgekommen! Wenn sich der slawonische Mönch, ein offenbar begnadeter Schauspieler, nicht unter diesen zerzausten Gesellen verbarg, wo hatten sie dann diese unschätzbar wertvollen Papiere aufgetrieben?
Ich musterte dich unauffällig. Was dir auf der Seele brannte, das sah ich deutlich, war nicht der Verdacht auf mögliche erotische Tändeleien zwischen deinem falschen Barbello und dem robusten Statthalter, sondern ein alter Kummer: Die Lektüre des Satyricon und der Bericht über seine satirische Darstellung der Sodomie hatte in dir jenen entsetzlichen Zweikampf wachgerufen zwischen dem von Gott und der Natur gewollten Atto Melani (also dem Mann, der du hättest sein können und der du nur manchmal, im intimen Beisammensein mit Barbara, wirklich warst) und dem verstümmelten Atto Melani, den du hasstest, der dir jedoch deinen Platz in der Welt verschafft hatte. Hattest du nicht genau gehört, was im Satyricon geschah? Die Männerliebe siegte erdrückend, auf ganzer Linie. Natürlich war es nur ein Roman, aber er erzählte von der Wirklichkeit, hatte Schoppe gesagt. Das künstliche Ich, das man dir in einer Wanne mit kochendem Wasser durch ein paar Schnitte verpasst hatte, das Lust bereiten und Vergünstigungen entgegennehmen sollte, saß dir schmerzhaft im Nacken wie ein kaltes Reptil.
Und ich überlegte: Das Geschehen, in das wir auf dieser Insel verstrickt waren, hatte zwei Lebensadern. Die eine war warmes Fleisch: deine unbezwingliche Liebe zu Frauen, unter denen du ungeduldig diejenige suchtest, der du für immer dein Herz schenken konntest, freilich als ein Liebender, der vielleicht nie wiedergeliebt wurde.
Die andere Ader bestand aus den eiskalten Begierden der Gelehrten, es war die Suche nach den geheimnisvollen Handschriften von Philos Ptetès. Im Satyricon, dem überwältigenden Lobpreis der Sinnlichkeit, des Daseins als Mann oder als Eunuch, liefen die beiden Adern zusammen. Diese Insel spielte wahrhaftig mit unseren Schimären und unseren Leben, indem sie uns mit tausend verrückten Vermutungen, die alle möglich, aber sämtlich in dichten Nebel gehüllt waren, |418|von einer Seite zur anderen zog wie die Paladine im verzauberten Schloss von Atlante.
Die Frische der Luft rüttelte mich allmählich aus diesen Grübeleien auf. Ich hob die Augen und begegnete dem lächelnden und ausgeruhten Blick eines der drei Ortsansässigen, der rüstig neben mir ausschritt. Der Glückliche, dachte ich, ich bin schon müde.
»Prickelnde Luft, aus den Bergen aber auch vom Meer!«, rief er mir jubelnd zu. »Es gibt nichts Besseres!«
Ich antwortete mit irgendeiner unbedeutenden Bemerkung, und so gerieten wir nach und nach in eine angenehme Unterhaltung. »So grob ist er im Grunde gar nicht«, dachte ich erstaunt. Unser Gespräch wurde immer lebhafter, was alsbald die Aufmerksamkeit der vier Gelehrten erregte, die an unsere Seite eilten, um zu lauschen.
»Ja, genau!«, sagte mein Gesprächspartner mit recht lauter Stimme, sodass alle sich zu uns umwandten. »Galileo Galilei!«
Er wedelte mit einem Blatt in seiner Hand.