DISKURS XXXI

Darin eine Diskussion über die Frage entsteht, ob man sich wirklich auf Gorgona befindet, und der Tag in einer sehr niedergeschlagenen Stimmung beendet wird.

Während die Frau zum Ausgang der Festung eilte, begann es zu regnen.

|211|»Ich habe noch niemanden sagen hören, dass es auf Gorgona eine Stadt gibt«, überlegte ich laut.

»Wenn es denn Gorgona ist«, wandte Hardouin ein.

»Das Weib hat gesagt, es ist nicht Gorgona«, bemerkte Malagigi vorsichtig.

»Unsere beiden Freunde aus dem Gefolge von Ali Ferrarese haben versichert, dass sie es ist«, spottete Guyetus.

Darauf gestanden du und ich, dass wir zwar vor zwei Jahren auf der Reise nach Frankreich in Gorgona vor Anker gegangen waren, aber keineswegs schwören könnten, dass die Insel, auf der wir uns jetzt befanden, dieselbe wie damals sei. Unser Schiff hatte in einer kleinen waldbestandenen Bucht angelegt, von der aus man nicht über die Wipfel der Bäume ringsum hatte sehen können. Ganz sicher aber hatten wir weder Türme, noch Städte, noch Häfen erblickt.

Das kurze Schweigen, das sich über die Gruppe senkte, war beredter als tausend Worte und offenbarte, wie gering das Vertrauen war, das alle in die Barbaresken hatten. Die Blicke richteten sich auf Kemal und Mustafa.

»Esser klaro Gorgona«, brummte Mustafa, während Kemal, die Arme verschränkt, würdevoll nickte, wie ein altes Orakel, das über den Zweifel an seinen Worten gekränkt ist.

Konnten diese beiden Galgenstricke uns nicht getäuscht und auf eine andere Insel gelockt haben, von der sie wussten, dass Alis Karacke schon bald dort anlegen würde, damit ihre Kumpane uns erneut gefangen nahmen? Mustafa und Kemal hatten beteuert, sie seien nur aus Angst vor tödlicher Rache zu Mohammed übergetreten, aber konnten wir da wirklich sicher sein? Und wenn das eine Lüge war, um unser Vertrauen zu gewinnen und uns im geeigneten Moment doch zu verraten?

Naudé ergriff seinen Sack mit dem kostbaren Inhalt und zog die Karten heraus, über denen er vor kurzem so angeregt mit seinen gelehrten Kollegen disputiert hatte.

»Hier, bitte. Da ich weiß, dass jede Reise Überraschungen birgt, habe ich mir in weiser Voraussicht ein Hilfsmittel eingesteckt. Es ist nicht das Beste seiner Art, wohlgemerkt, kann uns aber nützlich sein.«

Er zog ein Stück Papier aus einem Haufen Blätter und faltete es auf, um es allen zu zeigen.

»Dies hier ist mein Insularium«, sagte Naudé stolz. »Eine Sammlung |212|Inselansichten für Seefahrer. Und hier die Zeichnung, die uns interessiert. Sie zeigt eine Seitenansicht von Gorgona, damit der Kapitän eines Schiffes, das sich in der Nähe befindet, die Insel im Zweifelsfall erkennen kann.«

Wir drängelten uns um die Zeichnung, weil jeder die beste Sicht haben wollte. Die Darstellung hatte große Ähnlichkeit mit der Silhouette der Insel, die wir aus der Dunkelheit hatten auftauchen sehen, als wir uns mit dem Rettungsboot näherten.

»Ich würde sagen, wir können ziemlich sicher sein«, schloss Mazarins Bibliothekar. »Die Abbildung stimmt mit dem überein, was wir selbst gesehen haben.«

Naudé schickte sich an, seine Karten wieder zusammenzulegen, als Hardouin sagte:

»Monsire Naudé, darf ich bitte noch einmal einen Blick auf Euer Insularium werfen?«

»Gewiss«, sagte der Bibliothekar und reichte Hardouin ein wenig zögerlich die Papiere.

Der friedfertige bretonische Buchhändler zog andere Inselansichten aus dem Packen und legte sie nebeneinander auf den Boden, damit wir sie gut sehen konnten. Alle drängten sich hinter Hardouin.

»Seht her«, hub er an und zeigte auf eine der Ansichten. »Wenn wir bedenken, unter welchen Umständen wir uns, zusammengepfercht auf diesem verfluchten Boot, der Insel genähert haben, können wir dann ausschließen, dass es diese andere Insel ist?«

Jeder reckte den Hals und drehte den Kopf hin und her, um die beste Sicht zu haben.

|213|»Nun, in der Tat …«, murmelte Schoppe.

»… unterscheidet diese sich nicht sehr von der anderen«, ergänzte Malagigi.

»Und erscheint euch diese hier«, fragte Hardouin, »jener, die wir gestern Nacht sahen, ganz unähnlich?«

»Das könnte sie wirklich auch sein, verflixt!«, bemerktest du sofort.

»Ganz meine Meinung«, sagte Hardouin. »Und jetzt sagt mir, was ihr von diesen beiden Ansichten haltet.«

»Ihr müsst zugeben«, schloss der französische Buchhändler, in unsere nachdenklichen Gesichter schauend, »dass dieses Insularium wahrhaftig nicht geeignet ist, uns Gewissheit zu verschaffen, dass wir auf Gorgona sind. Ich würde sagen, jede der Zeichnungen ähnelt dieser Insel, die eine mehr, die andere weniger. Also keine wirklich. Jene, die wir zuerst sahen, und die Monsire Naudé uns in gutem Glauben zeigte, weil sie mit Gorgona überschrieben war, schien uns die richtige zu sein. Das ist, was ich die Macht der ersten Information nenne.«

»Und zwar?«, fragte Naudé misstrauisch.

»Das habe ich durch meine Tätigkeit als Buchhändler gelernt. Viele Informationen, ob richtig oder falsch, werden nur deshalb für bare Münze genommen, weil sie nicht mit rivalisierenden Ideen verglichen werden. Sie herrschen unangefochten, weil niemand ihnen den Primat |214|streitig macht. Sie sind wahrscheinlich und auf den ersten Blick sogar überzeugend. Entscheidend ist, dass sie hartnäckig wiederholt oder dann verkündet werden, wenn Eile geboten oder Not am Mann ist.«

»So wie jetzt bei uns«, stelltest du fest.

»Genau«, versetzte Hardouin. »Wie oft sah ich, dass Handbücher für wundertätige Heilmittel gegen Gold aufgewogen wurden, weil man behauptete, eine Fleckfieberepidemie sei im Anmarsch! Wie viele Drucker sah ich wertlosen Ramsch verkaufen, unter dem Vorwand, er sei auf der Buchmesse in Frankfurt hochgelobt worden und würde bald das Doppelte kosten!«

»Das bedeutet, wir sind so klug als wie zuvor«, ergänztest du, lieber Atto, mit jener Entschiedenheit, die jungen Menschen eigen ist, auch wenn sie unangenehme Wahrheiten verkünden müssen.

»Und die einzige Lösung besteht darin, in diese verflixte Stadt zu gelangen. Wenn es sie gibt«, sekundierte dir Barbello.

Das Mysterium der Zeit
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