DISKURS IX

Darin von einer seltsamen Begebenheit erzählt wird, die zwei Jahre zuvor geschah.

»Erinnert Ihr Euch? Vor zwei Jahren, im Oktober 1644, während unserer ersten Reise nach Frankreich«, hubst du an, mich, deinen bescheidenen Secretarius ansprechend. »Wir waren auf diesem Handelsschiff, als wir wegen eines Unwetters in Gorgona vor Anker gehen mussten. Die Gelegenheit wurde genutzt, um Wasservorräte zu holen, einige der Passagiere gingen an Land, um sich die Beine zu vertreten. Einer von ihnen, ein beleibter orientalischer Mönch mit einem langen schwarzen Bart, wurde von einer Giftschlange gebissen. Der Kapitän des Schiffs vertraute ihn der auf der Insel stationierten Garnison an.«

»Ich erinnere mich«, sagte ich.

»Nun, und ich erinnere mich, dass ich selbst den Kapitän fragte, woher dieser Ordensbruder komme, und er antwortete mir, es sei ein slawonischer Mönch.«

|87|Bei diesen Worten erhob sich unter allen Anwesenden ein erstauntes Gemurmel.

»Hast du vielleicht auch gefragt, wie er heißt?«, fragten Naudé und Guyetus in ihrer Verblüffung fast einstimmig.

»Leider nicht. Aber ich erinnere mich noch an sein Gepäck, das an Land gebracht wurde. Vier große volle Taschen.«

Dieses letzte Detail versetzte die Gelehrten in Entzücken.

»Er ist es, das ist er!«, rief Naudé aus, während Guyetus kleine Freudenschreie ausstieß.

»Junge, du machst dich doch nicht etwa über uns lustig?« Der Gesichtsausdruck des Philologen hatte sich schlagartig verändert, jäh blickte er dich mit einer finsteren Miene an.

»Monsire Guyetus, ich stehe an der Schwelle zu meinem zwanzigsten Lebensjahr und bin schon seit langem kein Kind mehr«, entgegnetest du überrascht und pikiert.

»Also kam Philos Ptetès gar nicht in Lyon an«, überlegte Naudé, nun langsam nachdenklich werdend. »Ich meine, gewiss nicht, bevor er von diesem Schlangenbiss geheilt wurde.«

»Wenn er nicht gar …«, überlegte Guyetus, dessen Gesicht sich endgültig verfinstert hatte.

»Gütiger Himmel, ich verstehe, was Ihr befürchtet«, kam ihm Naudé zuvor und schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Und wenn der Mönch nun auf der Insel an dem Schlangenbiss gestorben sein sollte?«

»Lieber Naudé«, warf Guyetus kopfschüttelnd ein, »das ist, als wollte man eine Nadel im Heuhaufen suchen. Ich wäre besser in Paris geblieben wie dieser schlaue Jesuit Petavius.«

»Recht bedacht«, pflichtete Naudé ihm mit düsterer Miene bei, »ist es tatsächlich keineswegs ausgemacht, dass der slawonische Mönch, den unser junger Atto sah, wirklich Philos Ptetès war. In dem Brief an uns spricht der Mönch von seinen Mitbrüdern, es ist also nicht gesagt, dass die vier großen Taschen, die Atto sah, mit den Handschriften gefüllt waren, nach denen wir suchen. Es könnten zum Beispiel auch Kleidungsstücke gewesen sein.«

»Kleidungsstücke? Ein Mönch besitzt gewöhnlich nicht viel mehr als die Kutte, die er trägt, und ein Paar Sandalen«, gab Guyetus zweifelnd zu bedenken.

Doch die Launen des Schicksals unterbrachen die Spekulationen |88|der beiden französischen Gelehrten. An diesen Zwischenfall erinnerst du dich sicherlich, denn obgleich er auf Französisch erfolgte, riss der Ruf einer der beiden Wachen im Mastkorb alle aus ihren Überlegungen:

»Schiff in Sicht!«

Das Mysterium der Zeit
titlepage.xhtml
cinnertitle.html
cimprint.html
caboutBook.html
caboutAuthor.html
cnavigation.html
ctoc.html
c4.html
c5.html
c6_split_000.html
c6_split_001.html
c7.html
c8.html
c9.html
c10.html
c11.html
c12.html
c13.html
c14.html
c15.html
c16.html
c17.html
c18.html
c19.html
c20.html
c21.html
c22.html
c23.html
c24.html
c25.html
c26.html
c27.html
c28.html
c29.html
c30.html
c31.html
c32.html
c33.html
c34.html
c35.html
c36.html
c37.html
c38.html
c39.html
c40.html
c41.html
c42.html
c43.html
c44.html
c45.html
c46.html
c47.html
c48.html
c49.html
c50.html
c51.html
c52.html
c53.html
c54.html
c55.html
c56.html
c57.html
c58.html
c59.html
c60.html
c61.html
c62.html
c63.html
c64.html
c65.html
c66.html
c67.html
c68.html
c69.html
c70.html
c71.html
c72.html
c73.html
c74.html
c75.html
c76.html
c77.html
c78.html
c79.html
c80.html
c81.html
c82.html
c83.html
c84.html
c85.html
c86.html
c87.html
c88.html
c89.html
c90.html
c91.html
c92.html
c93.html
c94.html
c95.html
c96.html
c97.html
c98.html
c99.html
c100.html
c101.html
c102.html
c103.html
c104.html
c105.html
c106.html
c107.html
c108.html
c109.html
c110.html
c111.html
c112.html
c113.html
c114.html
c115.html
c116.html
c117.html
c118.html
c119.html
c120.html
c121.html
c122.html
c123.html
c124.html
c125.html
c126.html
c127.html
c128.html
c129.html
c130.html
c131.html
c132.html
c133.html
c134.html
c135.html
c136.html
c137.html
c138.html
c139.html
c140.html
c141.html
c142.html
c143.html
c144.html
c145.html
c146.html
c147.html
c148.html
c149.html
c150.html
cfootnotes.html