|491|DISKURS LXXV

Darin eine perfekte Rettungsaktion stattfindet.

Es lag noch da: träge schaukelte das Boot, wie betrunken von dem eingedrungenen Wasser, das es beschwerte. Es war so fest zwischen zwei aus dem Wasser ragenden Felsen eingeklemmt, dass die Strömung es nicht hatte mitreißen können. Ein einzigartiger Zufall! Fast schien es, als hätte die Vorsehung es für uns aufbewahren wollen.

Ali Ferrareses Statthalter leitete die Rettungsaktion, die vom Mondlicht weit besser unterstützt wurde als von unseren kläglichen Fackeln. Mehrmals warfen wir die Seile aus, dann hatten wir das Boot endlich am Haken und konnten es zu uns heranziehen. Wir schöpften das Wasser ab, indem wir die Eimer einer nach dem anderen am Seil hinabließen und sie dann im Meer entleerten. Als das Boot leicht genug war, zogen wir es unter größtem Kraftaufwand aufs Trockene und kippten es um. Kemal unterzog die Oberfläche des Rumpfes einer gründlichen Untersuchung.

»Wir haben Glück, liebe Nazarener«, sagte er schließlich, »Lecks kann ich nicht entdecken, das Wasser, das eindrang, als wir kenterten, waren überschwappende Wellen. Ich sehe nur zwei Risse, die zur Sicherheit geflickt werden müssen. Eigentlich müsste das bei trockenem Holz geschehen, da das aber nicht möglich ist, werden wir nur die Umgebung der beiden Risse trocknen. Bereitet mehr Fackeln vor, schnell!«

Nachdem wir die Stellen gut angewärmt hatten, begann das Kalfatern, wofür wir zunächst das Pech verflüssigen mussten. Hardouin und ich meißelten die verdächtigen Risse mit kräftigen Schlägen auf, stopften den Hanf hinein und drückten ihn ordentlich fest. Als das Pech kochend heiß war, strich der erfahrene Kemal es mit einem Spachtel über die Risse.

»Dieses Werkzeug ist sehr klein, wir kommen nur langsam voran, aber umso besser, solche Dinge macht man in aller Ruhe. Darum sucht Ali sich immer verlassene Inseln aus, um seine Boote ordentlich zu kalfatern.«

Die Arbeit war fast getan, da blendete uns plötzlich eine große Stichflamme, und eine Rauchwolke stieg auf: der Eimer mit dem Pech hatte Feuer gefangen. Kemal trug ihn vom Boot weg, während er seine Augen mit den Händen schützte.

|492|»Holt sofort ein paar Eimer Wasser!«, befahl er.

Alle drei stürzten wir zu den Eimern, die wir benutzt hatten, um das Boot zu leeren. Ein Wind hatte sich erhoben, die Brandung wurde heftiger, beim Füllen der Eimer mussten wir achtgeben, um nicht von einer heimtückischen Welle erfasst zu werden.

Es war nur ein Augenblick: Ich stolperte über einen Stein und stieß Barbara mit dem Ellenbogen in den Rücken.

»Achtung!«, schrie Hardouin, dann hörte ich schon das Klatschen des Wassers. Die Sängerin war ins Meer gefallen.

»Hilfe!« Die Unglückliche schlug heftig mit den Armen. »Ich kann nicht schwimmen!«

Wir warfen ihr sofort ein Seil zu und hofften, sie würde es rasch ergreifen. Doch wir sahen nur eine Hand aus dem Wasser auftauchen und dann verschwinden. Das Seil schwamm lose im Wasser.

Ich blickte Kemal an und wir verstanden uns sofort. Blitzschnell warfen wir unsere Kleider ab und sprangen ins Meer. Barbara war verschwunden.

»Wo bist du?«, brüllte der Statthalter mit aller Kraft, sobald er in den eiskalten Wellen schwamm. Blindlings schlug er mit den Armen um sich, in der Hoffnung, auf die Frau zu stoßen.

Kaum war ich im Wasser, ließ die Kälte, die sich um meine Brust und den Rücken legte, mir den Atem stocken. Wie lange konnte eine Frau in dieser eisigen Umklammerung durchhalten? Gewiss nicht lange, und noch weniger, wenn sie sich nicht an der Oberfläche halten konnte. Eine große Welle peitschte mein Gesicht, ihre salzigen Tentakel drangen mir in die Kehle.

»Zeig dich, verflucht!«, schrie der Barbareske wieder, und ich hörte echte Verzweiflung in seiner Stimme.

Dann eine Hand: Sie schien wie vom Rest des Körpers getrennt auf der Wasseroberfläche zu schwimmen. Als ich nach ihr griff, überspülte mich die nächste Welle und riss mich mit sich, gefährlich nah an die Felsen, von denen ich ins Wasser gesprungen war. Ich hatte Barbaras Hand verloren.

»Da ist sie, zieht sie heraus!«, ermutigte mich Hardouin, der von den Klippen aus alles gesehen hatte, und augenblicklich war Kemal neben mir. Zwei weitere mächtige Wellen drückten mich ans Ufer, schon spürte ich meine Hände und Füße nicht mehr, als hätten sie sich im eiskalten Meeressaft aufgelöst.

|493|»Ich habe sie!«, rief der Statthalter, während ich mich zu ihm vorbeugte und mit einer Fingerspitze ein Stück Stoff berührte, vielleicht Barbaras Jacke.

Dann sah ich Kemals Kopf und Schultern unter einer Sturzwelle verschwinden, die Wasseroberfläche zwischen mir und ihm hob sich, und schließlich tauchte der Oberkörper der Frau auf, als hätte ein wohlwollender Triton sich ihrer angenommen, um sie der Erde zurückzugeben.

»Hilf mir!«, schrie Kemal, während er einen Augenblick auftauchte und nach Luft schnappte, und jetzt sah ich auch das wachsbleiche Gesicht von Barbara Strozzi, die Züge verzerrt vom kalten Wasser und dem nahen Tod durch Ertrinken.

»Das Seil!«, rief ich Hardouin mehrmals zu, und er warf es treffsicher aus.

Kaum war das Ende des Taus zwischen uns, führten wir es, erbittert den ersten Muskelkrämpfen trotzend, unter Barbaras Rücken hindurch und gaben Hardouin ein Zeichen, zu ziehen. So konnten wir das arme Geschöpf, wiewohl auf die Gefahr hin, ihr die Haut abzuschürfen, auf einen einigermaßen flachen Felsen betten, der knapp aus dem Wasser herausragte. Sie atmete zwar, doch ihre Lider waren halb geschlossen und ihr Blick leer.

Wir hatten es geschafft. Auch ich hievte mich an Land und feierte den Erfolg, indem ich zu Boden fiel, von heftigen Krämpfen gelähmt, die meinen Wadenmuskeln schon im Wasser ordentlich zugesetzt hatten.

Das Mysterium der Zeit
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