DISKURS X

Darin man etwas über die Überlegenheit der runden Schiffe über die Rudergaleeren erfährt.

Es war ein rundes Schiff von der Art, die nur dank ihrer Segel vorankommen und sich von den Galeeren unterscheiden, welche zwar über einen oder mehrere Masten verfügen, bei gleichem Wind aber sehr viel langsamer sind und außerdem eine längliche, schmale Form haben.

Trotz seines gewaltigen Umfangs segelte das unbekannte Schiff mit Rückenwind in rascher Fahrt direkt auf uns zu. Der Winter, in dem es keine Flauten gibt, ist die ideale Jahreszeit für diese Art Schiffe, die die größten Entfernungen zurücklegen können. Malagigi und Barbello (der dir einen lüsternen Blick zuwarf) gesellten sich zu uns, um uns zu berichten, was sie von einigen Ruderern über das soeben gesichtete Schiff gehört hatten.

»Es ist schon seit einer Weile in Sicht, doch sie haben sich erst jetzt angekündigt, indem sie ihre Fahne gehisst haben. Es ist ein Schiff der Vereinigten Provinzen.«

Tatsächlich erblickte man am Hauptmast die Trikolore – Rot, Weiß und Blau – der Vereinigten Niederlande. Barbello erklärte, es handele sich gewiss um das Schiff einer holländischen Handelsgesellschaft, die Geschäfte mit den jüdischen Kaufleuten von Livorno mache.

Unerwartet übertönte das helle Schmettern von Trompeten das Klatschen der Wellen. Einige unserer Matrosen winkten grüßend mit den Armen.

»Trompeten? Warum?«, fragtest du, hinter mir stehend.

»Das sind Holländer. Sie blasen gerne Trompeten zur Begrüßung«, sagte Malagigi.

|89|Erst kniffen wir die Augen zusammen, um besser sehen zu können, dann nahmen wir ein Reisefernrohr zu Hilfe und erblickten ein Trio kräftiger, junger, blonder Männer, die funkelnde Bucinae in Händen hielten.

Angesichts des freundlichen Grußes der Mannschaft und ihrer Herkunft hatte unser Schiff seinen Kurs noch nicht geändert. Wenige Minuten vergingen, wir wollten uns gerade alle wieder hinsetzen, als wir plötzlich im ganzen Schiff laute Schreie vernahmen. Das unbekannte Schiff hatte die erste Fahne eingeholt und eine zweite gehisst. Die schöne Trikolore der Vereinigten Niederlande war durch ein weit größeres Banner ersetzt worden.

»Der Halbmond, das ist der Halbmond!«, schrien einige Matrosen entsetzt aus vollem Halse. Das Zeichen war ebenso unmissverständlich wie der Betrug: Es waren Korsaren aus der Berberei.

Die Männer der Mannschaft, die in den ersten Augenblicken nach dem Wechsel der Fahne wie gelähmt vor Angst auf das unbekannte Schiff gestarrt hatten, setzten sich nun nach allen Seiten in Bewegung. Aus unerfindlichen Gründen wurde das zusätzliche Beiboot, das wir hinter uns herzogen, an die Seite unseres Schiffs geholt, indem das Tau verkürzt wurde. Dann ertönte der erste Kanonenschuss. Die feindliche Kugel, vom Buggeschütz des Piratenschiffs abgefeuert, versank in beträchtlicher Entfernung zu unserem Schiff im Wasser und ließ eine hohe Fontäne aus Gischt aufsteigen. Noch war der Abstand zwischen uns und den Verfolgern groß genug, doch der kräftige Wind trieb sie rasch auf uns zu. Die Piratenfahne zeigte drei Halbmonde, unter denen eine Zeichnung oder vielleicht ein arabischer Schriftzug prangte.

Die Galeere nahm volle Fahrt zur Flucht auf. Mehrmals ließ unser Galeerenaufseher die Peitsche knallen, dabei wechselte er heisere Schreie und frenetische Gesten mit dem Steuermann. Ein Offizier tauchte auf, atemlos, mit gerötetem Gesicht, und befahl allen Passagieren, in den Kielraum hinunterzusteigen.

»Abwerfen, wir müssen abwerfen!«, riefen einige Offiziere teils auf Französisch, teils auf Italienisch aus.

Sofort verwandelte sich die große Aufregung an Bord in ein Chaos. Denn dieser Ruf bedeutete, dass alle Waren und Gegenstände, die das Schiff beschwerten, ins Meer geworfen werden mussten, um das Schiff schneller zu machen. Und da keine Zeit zum Überlegen blieb, |90|warfen einige auf dem Deck stehende Matrosen bereits wahllos Gegenstände aller Art über Bord: ganze Stapel Kisten und Truhen, Bündel mit Brennholz, Wasserkrüge, Weinflaschen, Nahrungsvorräte und tausend andere Sachen, darunter gewiss auch wertvolle, die ich in der verzweifelten Konfusion jener Momente nicht mehr unterscheiden konnte. Wenn man uns gefangen nahm, würde ohnehin kein einziger Gegenstand mehr in den Händen seines rechtmäßigen Besitzers bleiben.

Nur die mit Wachstuch bedeckten riesigen Ballen, von denen große Mengen im Vorder- und Achterschiff lagen, wurden aus unerfindlichen Gründen an ihrem Platz gelassen.

Inmitten eines unbeschreiblichen Durcheinanders aus Schreien und fieberhaftem Hin und Her eilten alle in ihre Unterkünfte, um die kostbarsten Gegenstände in Sicherheit zu bringen, da sie fürchteten, ihre Habe würde früher oder später im Wasser landen.

Zuletzt stürzten wir alle miteinander die Leiter in den Kielraum hinunter und schlüpften mit den anderen unter Deck. Du eiltest sofort zu Rosina und legtest deinen Arm um ihre Taille, um ihr bei der Flucht zu helfen. Nur Schoppe schien sich um seine Sicherheit nicht zu bekümmern. Wir sahen ihn aufgeregt mit einem der französischen Offiziere diskutieren.

In dem engen Kielraum herrschte die hellste Aufregung. Unsere Angreifer waren keine einfachen Piraten, also wilde Seeräuber, die, wann immer sich die Gelegenheit bot, Schiffe unter jedweder Fahne angriffen, ohne die Gesetze auf See zu achten, und darum früher oder später alle von türkischen oder christlichen Kriegsschiffen, die für Ordnung sorgten, angegriffen und versenkt wurden. Nein, sie waren Korsaren, sie besaßen einen Kaperbrief, eine von einer anerkannten Macht ausgestellte Erlaubnis, Schiffe anzugreifen, auszuplündern, ihre Besatzung zu deportieren und nach eigenem Gutdünken mit ihr zu verfahren. In unserem Fall, der sehr häufig vorkam, war die anerkannte Macht eines der drei Reiche der Berberei, der muselmanischen Staaten, die dem Großtürken, also dem Sultan von Konstantinopel tributpflichtig waren.

Fast alle Passagiere hatten sich Geld, die wichtigsten Papiere und Wertgegenstände behelfsmäßig in die Hosen gestopft, da wir fürchten mussten, schon bald von den Korsaren ausgeplündert zu werden. Sodann beschloss ein jeder, seine Sachen in einer dunklen Nische zu verstecken. |91|Binnen kurzem entstand ein hektisches Hin und Her von einem Versteck zum anderen, ratlos irrten die Besitzer mit ihren prall mit Münzen gefüllten Täschchen, mit Papieren und Juwelen in dem dunklen Raum umher. Wie lange würde unsere Flucht dauern? Die Korsaren der Barbareskenstaaten, sagte Pasqualini, befolgen die Lehren Mohammeds, daher beschweren sie ihre Schiffe nicht mit Wein und Fleisch. »Sie begnügen sich mit Reis, Zwieback, Hülsenfrüchten, Butter, Oliven und Öl. Im Winter sind sie bei günstigen Winden unendlich viel schneller als jede Galeere.«

Sodann wurde lebhaft darüber diskutiert, ob das Schiff, das uns auf den Fersen war, Brigg, Dau, Dromone, Fusta, Galeasse, Karavelle, Kraweel, Nao, Schebecke oder Triere genannt wurde, und man einigte sich schließlich auf die Bezeichnung Karacke, ein rundes Schiff ohne Ruder, das ungefähr so groß war wie das, was uns verfolgte.

»Verfluchte Holländer«, zischte Naudé.

»Das sind Piraten, keine Holländer«, präzisierte Barbello, der sein Tuchsäckchen auf der Höhe des Bauches unter seinen Kleidern verbarg, ohne im Übrigen Zeichen der Angst zu zeigen, wie man sie bei einem Kastraten von niedriger Statur und schlaffer Konstitution erwartet hätte. Du wirktest bestürzt, versuchtest aber, äußerlich gelassen an der ungewöhnlichen Diskussion teilzunehmen.

»Ja, ja, ich weiß«, erwiderte Naudé ärgerlich, »aber es war ein Holländer, der den Korsaren der Barbareskenstaaten beigebracht hat, wie man die Karacken lenkt, Simon Danziker aus Dordrecht, der Verräter, den alle Kapitän Dämon nannten. Dieser Verfluchte war es, der die Barbaresken den Bau und die Lenkung von Segelschiffen gelehrt hat. Er besaß eine Flotte aus Schiffen mit je dreihundert Mann und sechzig Kanonen, hatte sich einen ganzen Palast in Algier gebaut, und der Bey von Tunesien war sein Freund. In Spanien haben seine Truppen einmal neunundzwanzig Schiffe auf einmal aufgebracht. Die Engländer hatten Befehl erlassen, ihn gefangen zu nehmen, lebendig oder tot.«

»Und dann?«, fragte Guyetus.

»Dann ist er zu den Christen zurückgekehrt, sein zweiter Verrat. Aber die Barbaresken haben ihn erwischt und ihm den Kopf abgeschnitten.«

In diesem Moment stieß Schoppe zu uns und brach in einen wütenden Schrei aus:

»Ein Brandschiff – wir sind auf einem Brandschiff, verflucht!«

Das Mysterium der Zeit
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