DIALOG
Darin der gut gewürzte Braten genossen, ordentlich getrunken und obendrein mit vollem Mund eine Diskussion geführt wird, die scheinbar nur mit den Gesetzen im antiken Sparta zu tun hat, hinter der sich aber etwas ganz anderes verbirgt.
Es regnete inzwischen stark, doch der Anblick der nackten, sich mit dem Spieß drehenden vermeintlichen Hasen – sie waren mit Salami gefüllt |231|und wurden während des Bratens mit Wein begossen, wie Guyetus weise empfohlen hatte – ließ uns die Welt da draußen vergessen.
Auf allen Gesichtern leuchtete der Widerschein der zuckenden Flammen, welche die Vögel und Katzen wie in einem Schwerterduell mal mit der Spitze, mal mit der Klinge streiften, um uns Verpflegung und Genuss zu verschaffen.
»Wir haben nicht die leiseste Ahnung, was wir im schönen Paris singen werden, wenn wir je dort ankommen. Doch wenn sie uns Hasen wie diese servieren, werden wir Mund und Kehle jedenfalls für einen edlen Zweck gebrauchen!«, sagte Barbello, was ihm den amüsierten Applaus der ganzen Gruppe eintrug. Nur Schoppe, der weder Franzose noch von Mazarin engagiert war, reagierte mit einer gebrummten Bosheit über den falschen Katholizismus der Pariser.
»Ich habe in meinem Leben viele Dinge gesehen«, versetzte Malagigi, während er nachdenklich aus dem Fenster auf die Weiten des Meeres und des Himmels blickte. »Ich sah mächtige Mäzene, die sich wie Bettler in die Haare gerieten, großartige Theaterstücke, die erbärmlich misslangen, und miese Schmierenkomödianten, die sich an Ruhm und Reichtum berauschten. Ich sah jämmerliche Nichtskönner zu Unrecht aufsteigen und große Talente untergehen. Aber ein so bizarres Abenteuer wie dieses habe ich, auf mein Wort, noch nie erlebt.«
»Eines habe ich noch nicht verstanden«, sagte Barbello zu unseren gelehrten Gefährten gewandt. »Was findet Ihr so aufregend an diesen alten Papieren, die auf dieser Insel auftauchen? Der letzte Fund zum Beispiel scheint mir vollkommen bedeutungslos. Man begreift nicht einmal, wovon eigentlich die Rede ist.«
»Es geht um Lykurg, den großen Gesetzgeber Spartas«, antwortete Guyetus, im Tonfall Verachtung für die Unwissenheit des jungen Kastraten bekundend. »Plutarch hat sein Leben beschrieben. Eine der berühmtesten Biographien aller Zeiten, weil sie das Leben im antiken Sparta, dem ruhmreichen Gegner Athens, mit historischer Genauigkeit beschreibt. Auch Aelianus und vor allem der große Seneca berichten von Lykurg. Ich finde es erstaunlich, dass sein Name hier nicht bekannt ist, und dass es in unserer Gruppe mehr Talent gibt, Dinge zu entdecken, als sie zu verstehen.«
»Einen Moment! Von Talent kann keine Rede sein, ich habe das Blatt zufällig gefunden!«, fuhr Malagigi auf, während deine Augen forschend seinen Blick suchten.
|232|»Schon gut, etwas anderes wollte ich gar nicht sagen«, beeilte Guyetus sich mit fast übertriebener Höflichkeit zu versichern. »Aber gerade darum ist es ein seltsamer Zufall.«
Sodann erklärte er, dass Lykurg in der Republik Sparta Maßnahmen eingeführt hatte, deren Strenge sprichwörtlich geworden war. Er hatte zum Beispiel per Gesetz die strikte Gleichheit aller Güter und Rechte unter den Bürgern festgelegt und das gesamte Territorium auf alle Bürger verteilt, sodass jeder sich bei sparsamem Haushalten selbst ernähren konnte. Außerdem hatte er für unzählige Fragen genaueste, unerbittlich strenge Regeln eingeführt. Zum Beispiel hatte er vorgeschrieben, dass alle auf Kosten des Staates aßen, jedoch gemeinsam am selben Ort.
Das Sparta des Lykurg übertraf an Tugend und Reinheit der Sitten sogar die alten Römer. Es gab keinen Ehebruch unter seinen Bewohnern, ja, man wusste nicht einmal, was das war. Plutarch erzählt von einem Fremden, der nach Sparta kam und fragte, welche Strafe gegen Ehebrecher verhängt werde. Man antwortete ihm, jeder Schuldige müsse einen Stier kaufen, der so groß sei, dass er, auf dem Gipfel des Berges Taygetos stehend, aus dem Fluss Eurotas am Fuße des Berges trinken können müsse. »Aber einen so großen Stier gibt es nicht!«, soll der Fremde ausgerufen haben. Darauf sagte man ihm, es gebe ebenfalls keine ehebrecherischen Spartaner.
Derweil wurde unter Beifall und heißhungrigem Brummen das gut durchgebratene Fleischgericht serviert, als Tisch diente ein altes Brett, das auf zwei Stapeln Ziegelsteinen ruhte. Wir fanden alte Stühle und ein paar klapprige Schemel, um uns hinzusetzen, Schenkel, Flügel und Brüste mussten mit den Händen vom Spieß gerissen werden, aber der Duft der Brathühnchen (und der Katzen) machte dieses Mahl zu einem Bankett der olympischen Götter. Das Fenster im Erdgeschoss des über der höchsten Klippe aufragenden Turms öffnete sich auf das endlose Meer, ein Anblick, der fröhlich stimmte und den ohnehin kräftigen Appetit steigerte. Nachdem ein jeder sich bekreuzigt und ein Te Deum für diese auf so wunderbare Weise erlangte Speise gesprochen hatte, wurde endlich in das Fleisch gebissen.
»Mich dünkt, König David hätte besser in Sparta statt in Israel gelebt«, scherzte Malagigi mit halbvollem Mund. »Dort hätte er nie von Ehebruch gehört, und aus seiner Geschichte mit Bathseba wäre nichts geworden.«
|233|»Und mir scheint, die große Liebe Gottes zu den Juden hat nicht verhindern können, dass sie sich mit den ärgsten Sünden befleckten, während bei diesen Spartanern schon Lykurgs Gesetze ausreichten, ganz ohne Bündnisse und Abkommen, ich meine, Privilegien und Konzessionen«, setzte Barbello hinzu, während er versuchte, mit männlicher Geste ein großes Glas Wein in einem Zug hinunterzuschlucken, was ihm einen Hustenanfall eintrug. »Auf mich wirkt das wie eine Gotteslästerung«, schloss er, als er sich erholt hatte.
»Dieser Bericht stammt nicht von mir, sondern von Historikern und Philosophen, vor allem von dem großen Plutarch«, verteidigte sich Guyetus, einen Mundwinkel mit der Zunge säubernd. »Er erzählt noch ganz andere Dinge.«
Plutarch berichte nämlich, erklärte der Pariser Philologe unter emsigem Kauen, dass Lykurg, nachdem er das Land in Güter von gleicher Größe aufgeteilt und jedem Bürger das seine zugewiesen habe, den Spartanern befahl, zur Erntezeit das Korn ordentlich in Garben aufzuhäufen, die alle den von ihm vorgegebenen Maßen entsprechen, also einander exakt gleichen mussten. Außerdem sollten sie auf den Feldern in einem gesetzlich vorgeschriebenen Abstand voneinander aufgereiht werden. Als Lykurg eines Tages auf seinem Weg in die Stadt an den Feldern vorbeikam, lächelte er zufrieden, weil die Spartaner seine Gesetze so peinlich genau befolgten.
»Lykurg freute sich, aber eigentlich ist es lächerlich«, spottete Barbello, der bereits ein wenig zu tief ins Glas geschaut hatte. »Haben die Historiker uns auch überliefert, wie diese perfekten und immer gleichen Maße aussahen?«, fragte er und riss einen Flügel von einem der Hühner in der Mitte des Spießes.
»Ehrlich gesagt, nein«, sagte Gabriel Naudé ein wenig verstimmt, weil er feststellen musste, dass die Texte, mit denen Philologen und Literaten täglich Umgang pflegten, für uns Laien ein Quell des Staunens und sogar der Heiterkeit waren. »Tatsächlich habe ich mich über die Geschichte von der perfekten Aufteilung der Landgüter unter den Spartanern auch immer etwas gewundert«, gestand der Bibliothekar nach einer kurzen Pause. »Die Historiker sagen uns auch nicht, welche sicherlich präzisen und gerechten Lösungen Lykurg fand, um keinem Bürger Unrecht zu tun, wenn ein Feld abschüssig, holprig oder von Felsen und Wäldern unterbrochen wurde, während ein anderes eben und frei zugänglich war. Oder wenn es über den Feldern des einen öfter |234|hagelte, während ein anderer mehr Sonne hatte. Wie mag Lykurg die wechselnden Launen der Fortuna ausgeglichen haben, die es wagte, seinen überaus gerechten Plänen zu spotten? Hat er die Ernte zu gleichen Teilen an alle Spartaner verteilt? Und wenn einer weniger geerntet hatte, nicht weil er Pech hatte, sondern weil er faul war? Wird der Spartaner, dem ein Teil seiner üppigen Ernte genommen wurde, nicht gezürnt haben? Noch etwas Wein bitte.«
Während Naudé trank, herrschte Schweigen am Tisch. Der sanfte Hardouin ergriff das Wort.
»Für die Weisen ist es sonnenklar, dass Gleichheit die Grundlage wahrer Freundschaft ist, und dass das Mein und das Dein von allen Mündern und mehr noch aus allen Seelen verbannt werden muss, damit die Gütergemeinschaft sich Mutter der Einigkeit und des Friedens nennen darf. Etwas anderes ist die Republik. In ihr gibt es keine Gleichheit und wird es nie geben, da es hier nicht um zwei Freunde geht, die beschlossen haben, einander zu lieben, sondern um die Menschen insgesamt, die schwer davon zu überzeugen sind, sich ohne Ausnahme gegenseitig zu lieben. Denn unser gemeinsames Leben auf der Erde ist uns vom Schöpfer auferlegt, es ist keine freie Entscheidung.«
Unter den Gelehrten breitete sich Verlegenheit aus. Sie alle dachten an das berühmte, vollkommene, unerreichbare Sparta unter Lykurg zurück, das Lehrer und Professoren ihnen seit ihrer Kindheit als Vorbild der perfekten Regierung gepriesen hatten.
»Man muss sich wirklich fragen, wie Lykurg es geschafft hat, alle Spartaner an einem öffentlichen Ort zusammen speisen zu lassen«, hub Hardouin mit seiner gewohnten Gutmütigkeit wieder an. »Es fehlt jede Information darüber, wie so etwas mit den Einwohnern einer ganzen Stadt bewerkstelligt wurde. Wir wissen weder, wie dieser Ort aussah, noch wo er lag, um welche Uhrzeit und in welcher Ordnung gegessen wurde, wer und wie er die Einkäufe machte, wer kochte und wie gekocht wurde. Unwichtige Details? Vielleicht, aber Plutarch berichtet, dass dieses Gesetz sehr lange Zeit befolgt wurde, und dass sogar ein König von Sparta, Agis, von den Richtern bestraft wurde, weil er das Gesetz gebrochen hatte.«
»Ein König, der bestraft wird, weil er nicht im Refektorium zwischen seinen Untertanen gegessen hat?«, fragtest du. Es war das erste schwache Zeichen der Anteilnahme an einer Diskussion, die dich bis |235|jetzt gleichgültig gelassen hatte, weil du mit deinen eigenen, unergründlichen Überlegungen beschäftigt warst.
»So berichtet der große Plutarch«, antwortete Guyetus mit tonloser Stimme. »Als der König nach seinem Sieg über die Athener nach Sparta zurückgekehrt war, bat er um seine Ration, weil er allein mit seiner Gemahlin essen wollte, aber der Richter verweigerte sie ihm, und als der König ihm nicht gehorchte, ließ er ihn bestrafen. Lykurg war unbestechlich.«
»Unbestechliche Herrscher gibt es zwar, aber sie kosten etwas mehr«, spottete Malagigi, dessen humoristische Ader von der gelehrten Diatribe geweckt zu werden schien.
»Alles, was auf den ersten Blick unglaublich erscheint, ist nur Frucht der Unwissenheit«, erklärte Schoppe barsch, der vergessen hatte, dass er einen halb abgenagten Katzenschenkel in der Hand hielt, weil ihn die zunehmende Heiterkeit von Barbello und Malagigi nervös machte.
»Ach, meint Ihr?«, fragte Hardouin. »Wie erklärt Ihr dann, dass es den Historikern zufolge in Sparta verboten war, nachts mit Fackeln, Laternen oder jeglichem Licht herumzulaufen? Was geschah im Winter nach dem Abendessen, da die Bürger alle gemeinsam zu Tausenden am immer gleichen Ort aßen – wie kamen sie zurück in ihre Häuser? Warum um alles in der Welt durften sie ihren Weg nicht beleuchten? Heute ist es verboten, des Nachts ohne Licht zu gehen, und das versteht sich, weil man damit Räuber fernhält. Warum hätte damals das genaue Gegenteil gelten sollen? Das erklären Seneca und Plutarch nicht.«
»Eines muss auch ich einwenden«, räumte Naudé ein, der sich bereits den Kragen mit Hühnersoße befleckt hatte (die Katzen hatte er nicht angerührt). »Was wird aus Lykurgs seitenlang beschriebenem Bemühen, alles gleich und gerecht zu ordnen, wenn es um die Frauen geht? Von Gleichheit und Gemeinschaftlichkeit zwischen Frauen und Männern hört man bei Lykurg gar nichts. Waren die Frauen als Besitzende den Männern gleichgestellt oder nicht, aßen sie zusammen mit den Männern oder nicht?«
»Femine nix gleich mit homini! Dann todo lo mundo Chaos und Unordnung. Femine bringen Unglück auf Schiff«, rief Mustafa aus, den diese kühnen Überlegungen entsetzten.
»Halt den Mund, Idiot«, brachte ihn der Statthalter rüde zum Schweigen, »lass die anderen reden, sonst schneide ich dir eines Tages die Kehle durch.«
|236|»Was hat denn die Gleichheit damit zu tun!«, erboste sich Guyetus, ohne auf die beiden Korsaren zu achten. Vor Erregung fegte er mit einer unbedachten Bewegung die neben sich aufgehäuften, abgenagten Katzenknochen vom Tisch.
»Und was ist von den anderen Gesetzen Lykurgs zu halten?«, bemerkte Hardouin mit eiserner Ruhe. »Zum Beispiel jenem, nach dem Mädchen und Jungen sich öffentlich im Wettlauf, Ringkampf und Weitwurf ertüchtigen mussten, um den Körper zu stählen und die Geburtsschmerzen besser zu ertragen, doch stets alle unbekleidet? Oder die Pflicht, das Stehlen zu üben, um an Schläue und Geschicklichkeit zu gewinnen?« Die ungerührt vorgetragenen Gedanken des bretonischen Buchhändlers ließen sogar den groben Kemal schallend lachen, nachdem er bis jetzt geschwiegen hatte, eingeschüchtert vom Wissen unserer vier Literaten.
»Wo hast du diese brillanten Argumente ausgegraben?«, fragte Guyetus sarkastisch.
»Aus Büchern natürlich. Ich bin Buchhändler«, antwortete Hardouin seelenruhig.
»Ihr Buchhändler solltet nicht so viel lesen.«
Guyetus’ bissige Bemerkung offenbarte das tiefe Unbehagen des alten, angesehenen Philologen, der wohl erst jetzt erkannte, dass sein Reisegefährte sich keineswegs fürchtete, ihm zu widersprechen.
Barbello holte wieder zum Angriff aus: »Ich sage: Ist es möglich, dass Plutarch niemals die Feder vom Blatt gehoben und ein wenig an dem gezweifelt hat, was er da schrieb?« Der junge Kastrat klopfte mit seinem Glas, in Wirklichkeit eine der alten Tassen, die wir im Lagerraum gefunden hatten, auf den Tisch, um zu bedeuten, dass er noch mehr Wein wollte.
Hardouin lachte unter seinem Schnurrbart. Durch seinen beruflichen Umgang mit Büchern war er mit dem Wissen der Antiken genauso vertraut wie die anderen Gelehrten, doch ließ er sich weniger davon beeindrucken.
»Wenn die Gesetze des Lykurg so streng waren, warum wurden die Kinder dann zum Stehlen gezwungen?«, schloss sich Naudé vorsichtig an, weil er nicht verlacht werden wollte. »Gab es keine bessere Methode, ihre Geschicklichkeit zu erproben? Kräftige junge Männer, hört gut zu, waren per Gesetz verpflichtet, das aufgestapelte Feuerholz aus den Gärten der Bürger zu stehlen, die schwächeren Jungen mussten |237|dagegen Gemüse von den gedeckten Tischen stibitzen. Wäre es nicht logischer gewesen, diese Jungen, wenn sie schon unbedingt stehlen mussten, Holz aus den Wäldern und Gemüse aus den Gärten entwenden zu lassen? Zumal ein anderes Gesetz von Lykurg vorschrieb, dass sie nur ein einfaches Gewand tragen durften – wo sollten sie die Holzscheite oder das Gemüse verstecken? Plutarch führt sogar eine Geschichte an, nach der ein Junge einen kleinen Fuchs geraubt und unter seinem Gewand versteckt hatte. Das Tier verbiss sich in seinen Bauch, und weil er auf keinen Fall entdeckt werden wollte, starb der Junge auf entsetzliche Weise.«
»Die Antiken waren vornehm, die Römer waren die besten und die Spartaner noch hervorragender, jaja!«, spottete Pasqualini.
»Tja, und die Menschen sind heutzutage viel zu leichtgläubig«, spitzte Barbello den Gedanken zu. Das war taktlos, denn unsere gelehrten Reisegefährten glaubten den Antiken ja schon ein ganzes Leben lang.
»Und warum mussten sie Gemüse von gedeckten Tischen stehlen? Wollte Lykurg es schon gekocht haben?« Malagigi krümmte sich vor Lachen.
»Findet Ihr ein solches Leben schön?«, fragte Barbello.
»Schön ist, was gefällt«, tönte Guyetus.
»Wie hässlich es auch sein mag«, schloss Malagigi.
»Habt Ihr das mit dem Arbeitsverbot vergessen?«, fuhr Hardouin, mühsam ein Lachen unterdrückend, an seine gelehrten Kollegen gewandt, fort. »Davon berichtet nicht nur Plutarch, sondern auch Aelianus: Lykurg zwang alle, im größtmöglichen Müßiggang zu leben. Und was taten sie, wenn ein Schneider oder ein Schuster gebraucht wurde? Und ich frage weiter: War es auch verboten, Münzen zu prägen? Bekanntlich hatte Lykurg Gold und Silber verboten und stattdessen Münzen aus Eisen eingeführt, die übrigens sehr schwer und unhandlich waren, ja, wenn man eine stattliche Summe bei sich tragen wollte, berichtet Plutarch, brauchte man für all das Eisen einen Karren und zwei Ochsen. Ich frage noch einmal: Wer prägte diese Münzen?«
»Und wie brachte man sie zum Markt, um einzukaufen, wenn sie so schwer waren? Was gab es als Wechselgeld? Nägel? Hahaha!«, lachte Barbello mit seinem Frauenstimmchen.
»Wie haben die Spartaner dann jahrhundertelang so leben können? Haben sie immer auf der faulen Haut gelegen?«, fragtest du, erstaunt |238|über das Ausmaß an Widersinn, das sogar ein großer Philosoph wie Seneca und ein berühmter Historiker wie Plutarch verbreiten konnten.
»Und dann war da noch jenes Gesetz, dass beim Bau eines Hausdachs nur die Axt und für die Türen nur eine Säge benutzt werden durfte«, erinnerte Hardouin.
»Wirklich wahr: der Unterschied zwischen einem Genie und einem Idioten besteht darin, dass das Genie Grenzen kennt.« Pasqualini bezog sich offenbar auf Lykurgs grenzenlose Dummheit, die in diesen aberwitzigen Erfindungen zutage trat.
»Sicher haben viele Bürger Lykurg angefleht, ihnen den Gebrauch von Hammer, Zirkel und Winkel zu erlauben«, vermutete Malagigi, bemüht, seinen amüsierten Tonfall zu unterdrücken.
»Nun, wie die armen Spartaner mit all diesen Zwängen fertig geworden sind, berichtet Seneca nicht«, antwortete Hardouin mit einem ironischen Lächeln. »Es gab sogar ein Gesetz, nach dem die Betten der jungen Menschen nur aus dem Schilfrohr des Flusses Eurotas bestehen durften, ohne Stroh, um sie weicher zu machen. Und wenn der Bräutigam sich zur Braut legte, durfte er sie nicht berühren. Und dann diese Geschichte mit der lakonischen Sprechweise …«
Wenn die Kinder von Sparta sieben Jahre alt waren, erklärte der Bibliothekar, wurden sie den Familien weggenommen und vom Staat aufgezogen. Vor allem lehrte man sie, sich knapp auszudrücken, mit wenigen, aber klaren Worten. Darum heiße es lakonisch sprechen, nach Lakonien, der Gegend um Sparta.
»Mit wenig Worten viel sagen zu können, bekanntlich das Privileg einer Handvoll weiser Männer, das soll in Sparta also jedes Kind gekonnt haben«, schloss Hardouin. »Aber ist das glaubwürdig? Kinder, erst recht die kleinen Siebenjährigen, schwatzen immerzu munter drauflos, und darüber wundert sich keiner. Also frage ich mich: Wie wurden die Kinder zu diesem knappen, nüchternen Sprechen erzogen? Warum berichtet uns das niemand, auch Plutarch nicht?«
»Erlaubt mir die Frage«, warf Malagigi ein, eine vorwurfsvolle Miene aufsetzend. »Nehmt ihr Philologen denn alles für bare Münze, was euch nicht als Fälschung bewiesen wird? Müsste es nicht eher umgekehrt sein?«
Guyetus, Naudé und Schoppe schwiegen mit finsteren Mienen.
»Ich für meinen Teil«, hub Guyetus an, »fürchte kühne Thesen |239|durchaus nicht. Ich habe bewiesen, dass die erste von Horaz’ Oden falsch ist, wie auch vier Strophen der zweiten, und ich habe dem Aufruhr, den das ausgelöst hat, mutig die Stirn geboten. Aber im Fall Lykurg ist Vorsicht geboten. Wir haben es hier mit maßgeblichen Zeugnissen von Plutarch, Plinius, Seneca und Aelianus zu tun, hochkarätigsten Namen!«
»Es scheint mir keine besonders kühne These zu sein, zu behaupten, der unglaubwürdige Inhalt der Berichte über Lykurg sei der beste Beweis dafür, dass es alles Märchen sind«, spottete Barbello.
»Immer mit der Ruhe, wir wollen doch nicht im Ernst behaupten, die Ströme von Tinte, die über Lykurg vergossen wurden, seien allesamt Erfindungen?«, empörte sich Guyetus.
»Ströme von Tinte, was für ein Unsinn«, widersprach Hardouin, »das literarische Erbe der Antike ist gar nicht so groß, wie man glaubt. Der ganze Platon passt in ein Buch. Und nimmt man die gesamte griechische und lateinische Literatur so wie sie geschrieben wurde, also ohne die Kommentare und Fußnoten in den modernen Ausgaben, kann ein großer Bücherschrank sie fassen. Sechs oder sieben gelehrte, produktive Jesuitenpater der letzten hundert Jahre, Salmeròn, Vazquez, Suarez, Bellarmino, Cornelius a Lapide, Raynaudus und Petavius, haben allein ein ähnlich umfangreiches Werk hinterlassen.«
»Wirklich?«, staunten wir Profanen und sahen das Trio der Gelehrten an, die jedoch den Blick zu Boden senkten.
Dann rüttelte sich Schoppe auf und sagte:
»Ich schätze klare Worte. Ich räume ein, dass man nicht weiß, wann Lykurg gelebt hat und wann Sparta seine Gesetze erhielt, aber daran ist dieser Betrüger Scaliger mit dem Durcheinander seiner Universalen Chronologie schuld, nicht Plutarch!«
»Ach, hör doch auf, immer gegen den armen Scaliger zu wüten, Caspar!«, ereiferte sich Guyetus.
»Nun, wir werden gefragt, ob das, was Plutarch sagt, wahr sei«, fuhr Schoppe fort, als hätte er den Vorwurf nicht gehört, »ja, ob das Sparta des Lykurg, so wie es beschrieben wird, glaubwürdig sei. Also sage ich Euch: Wir haben heute dieses freundliche Mädchen kennengelernt, das uns die Ordnung in ihrer Stadt erklärt hat. Ist sie nicht dieselbe wie in Sparta? Aufteilung der Güter zu gleichen Teilen, eiserne Regeln für die Beziehungen zwischen den Bürgern, gemeinsames Essen in großen Mensen, wer sich nicht anpasst, wird verbannt, und so weiter. |240|Haben wir hier nicht die lebende, konkrete Verwirklichung von Gesetzen wie diejenigen des Lykurg? Und da wollt ihr noch mehr Beweise?«
Schoppes Einwand überraschte uns, und keiner wusste dem etwas zu entgegnen. Du, lieber Atto, unterbrachst das Schweigen:
»Verzeiht, Monsire Schoppe, Eure Überlegung ist wahrhaftig äußerst triftig. Ich habe jedoch noch eine andere Frage. Wenn auch nur einige dieser Gesetze wirklich existierten, warum haben die Spartaner sie akzeptiert? Konnten sie nicht aufbegehren? Und könnten nicht auch die Bewohner von Nusquama oder Gorgona, oder wie immer es heißen mag, sich wehren?«
Schoppe hatte nicht einmal Zeit zu antworten, Hardouin kam ihm zuvor:
»Ihr habt vollkommen recht, mein Freund.« Er stand vom Tisch auf und legte dir eine Hand auf die Schulter, um sich dann an das gelehrte Publikum aus den betrunkenen und trübsinnig gewordenen Naudé, Schoppe und Guyetus zu wenden: »Lykurg oder nicht Lykurg – welch höchste Raserei und teuflische Macht hat den Geist der Spartaner oder der Bewohner dieser Insel so infiziert, dass sie diese Gesetze eines Geisteskranken akzeptieren konnten?«
Hardouin fixierte seine drei Reisegefährten in Erwartung einer Antwort. Aus der Verlegenheit rettete sie ein gewaltiges Donnergrollen: Ein Gewitter war über uns hereingebrochen. Erst in diesem Moment gewahrten wir die wütenden Sturmböen und blendenden Blitze. Inzwischen waren auch der Spieß kahl, die Katzen und Hühnchen verspeist, der Wein geleert und die Mägen erneut ans Joch des Verlangens gespannt.
»Wer hat dieses Papier mit dem Petronius?«, fragte Guyetus, erregt aufspringend.
»Ich habe es«, sagte ich.