DISKURS LXXVI

Darin Hardouin sehr diskret Kenntnis von einem Geheimnis nimmt.

Die Ärmste wurde sofort in die Lage versetzt, sich vom angesammelten Ballast zu befreien. Bäuchlings auf den Steinen liegend, entleerte sie ihre Eingeweide unter heftigem Zittern, das sie von Kopf bis Fuß schüttelte, vom eiskalten Meerwasser. Wir benutzten alle trocken gebliebenen Kleidungsstücke, um sie zuzudecken. Zum Glück war das brennende Pech im Eimer von selbst erloschen, wir konnten uns also |494|auf diejenige konzentrieren, die unsere Fürsorge und beide Fackeln in ihrer Nähe benötigte. Natürlich mussten wir den falschen Barbello entkleiden, und so, Barbara, sollte dich noch jemand entdecken, diesmal gegen deinen Willen.

Nachdem wir die Binden, die ihren Busen verschnürten, abgenommen hatten (die Perücke war zum Glück fest am Kopf geblieben), heuchelten zwei von uns Überraschung, während die des dritten echt war. Doch Barbara war bei Bewusstsein, und niemand hatte den Mut, in Worte zu fassen, was er gesehen hatte. Stattdessen taten wir, als hätten wir in der Dunkelheit nichts gesehen oder als wären gewisse Rundungen und geheime Orte ihres Körpers (der glänzende schwarze Diamant, den sie ihren Geliebten darbot, oder die generösen Brüste, die Kemal unter den Fenstern der Torre Vecchia so lustvoll genossen hatte) unter der Jacke verborgen geblieben. Jetzt hatten alle sie erkannt, doch nur ich wusste, wer sie war.

Bevor an den Heimweg zu denken war, mussten wir warten, bis das Leben in die Augen dieses Doppelwesens zurückkehrte, der Brechreiz aufhörte und der Schüttelfrost sich abschwächte. Die beißende Kälte der Nacht gebot es eigentlich, eilig ins Warme zu gelangen, einstweilen verzichteten wir auf unsere Kleider, um den falschen Kastraten zu wärmen.

»Der Sack, mein Sack«, jammerte er mit schwacher Stimme.

»Hier ist er, das gewachste Leinen hat dem Wasser standgehalten, nur innen ist er ein wenig feucht«, verkündete Hardouin und reichte ihr den Sack, dessen Inhalt er rasch betastet hatte, um zu prüfen, ob Wasser eingedrungen war.

Ich ärgerte mich über die verpasste Gelegenheit. Wäre ich geistesgegenwärtiger gewesen, hätte ich mir den Sack aneignen können und mit eigenen Augen gesehen, was ich zuvor nur hatte betasten können.

»Was ist darin? Lederwaren?«, fragte der Buchhändler neugierig.

»Ja … für Kleider«, hauchte Barbara und wurde noch blasser, wie mir schien.

»Die unglücklichen Ereignisse der letzten Tage war dem Material sicher nicht zuträglich«, bemerkte Hardouin zögernd.

»Ja, leider«, seufzte die Sängerin mit letzter Kraft.

Verflixt, fluchte ich enttäuscht in mich hinein, dann hatte ich also richtig geraten: Dieser dumme Sack enthielt nur Lederlappen, die |495|vom Meerwasser ausgetrocknet waren. Vielleicht war es Material für eine Jacke oder eine Weste, wahrscheinlich ein bescheidenes Geschenk ihres Vaters für jemanden in Paris oder wer weiß was sonst noch. Vielleicht hatten die Strozzi und ihr Vater wenig Geld. Wie auch immer, ich tappte erneut im Dunkeln.

Sie hängte sich den Sack unter großen Mühen um die Schulter, schien aber nicht imstande, zu gehen. Wir beschlossen, sie abwechselnd zu tragen, und falls nötig auszuruhen, auch um den Preis, erst bei Tag wieder im Basislager anzukommen.

In Wirklichkeit lief alles viel besser als erwartet. Unterwegs gewann die Arme langsam ihre Kräfte zurück, und nach einer Weile verweigerte sie unsere Hilfe sogar und wollte wenigstens auf dem ebenen Stück des Wegs auf eigenen Füßen stehen. Natürlich war ihr nicht entgangen, dass nun auch Hardouin sie entdeckt hatte – wir hatten ihr ja die nassen Brustbinden abnehmen müssen.

Etwas hatten wir immerhin erreicht: wenn das Pech getrocknet war, würde das Boot benutzbar sein. Vorerst lag es wohlverwahrt und geschützt in der kleinen Höhle, in der wir die Nacht als Schiffbrüchige verbracht hatten. Auf dem Rückweg zum Haus der drei Bärtigen hatte keiner Lust zum Reden, wahrscheinlich überwog, zumindest bei Hardouin und Barbara, der Wunsch, sich voll Zuversicht auf den Tagesanbruch zu konzentrieren, wenn wir mit dem Boot aufs Meer fahren würden und, vorausgesetzt die Witterung blieb ruhig, die Flucht nach Livorno wagen können. Die Ruder waren zum Glück noch mit denselben Seilen an den Dollen festgezurrt, die sie auch bei unserem Schiffbruch im Boot gehalten hatten.

Während des langsamen, vorsichtigen Rückwegs hatte Hardouin Gelegenheit, seine Betrachtung abzuschließen.

Das Mysterium der Zeit
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