DISKURS LXII

Darin der Tod Mustafas, der die unverwechselbaren Spuren eines tragischen Unglücks trägt, Trauer, jedoch auch Misstrauen erregt.

Kaum hatte ich alles erzählt, umhüllte der beißende Geruch des Todes unsere ganze Gruppe wie ein Gespenst. Alle waren bei der Nachricht erblasst, wollten das bittere Schicksal nicht akzeptieren. Nicht nur aus |439|christlichem Mitleid für den armen zerlumpten Korsaren, nein, auch weil das Geschehen weiteres Unglück einzuleiten schien. Wenn das Fatum einen so erfahrenen Seemann treffen konnte, was mochte dann erst uns, vor allem den Alten der Gruppe, zustoßen? Waren wir nicht schon nur durch ein Wunder dem Überfall von Nummer Drei entronnen?

Der Statthalter von Ali wiederholte abermals, was ich, der ich am Unglücksort zugegen gewesen war, dem Rest der Gruppe sofort hatte erklären können: Mustafa, der auf der Klippe hockte, um vorüberfahrende Schiffe zu erspähen; das Zeichen (der Schal), das er absichtlich auf unserem Weg gelassen hatte, falls wir ihn suchen sollten; Kemal, der zornerfüllt nahte, der Streit, vielleicht eine Drohung, womöglich ein Stoß, auf jeden Fall ein Sturz, den keiner beabsichtigte, und der den Zwist auf tragische Weise besiegelte. Darauf führte ich Hardouin und Naudé an die Stelle, wo sie die Umstände zur Kenntnis nahmen, einschließlich einer Neuigkeit: Die Leiche wurde von den Wellen bewegt, sie hatten sich ihrer schon bemächtigt. Mustafa würde eine Seebestattung erhalten.

Hardouin und ich beteten an der Stelle ein Vaterunser, ein Ave Maria und ein Gloria und flehten den Allerhöchsten an, der Seele dieses armen Sünders gnädig zu sein. Unbeholfen imitierte uns Naudé, der aber nur irgendeinen lateinisierenden Unsinn vor sich hin brummte.

Als wir zur Gruppe zurückkehrten, fanden wir noch immer verstörte und leere Gesichter vor. Der Tod hatte uns einen Besuch abgestattet. Nachdem wir ihm beim Brand der Galeere, bei unserem Schiffbruch und schließlich bei dem Brand des Hauses von Nummer Drei glücklich entkommen waren, hielt er uns jetzt endlich in seinen schwarzen Klauen.

Am Boden sitzend, vergruben wir abwechselnd kummervoll das Gesicht in den Händen. Es war nicht leicht, sich mit dem plötzlichen Tod eines Menschen abzufinden, der, wiewohl ein schmutziger Korsar, doch mit uns am Tisch gesessen hatte, ein Schicksalsgefährte gewesen war.

Dann nahmen wir unsere Wanderung wieder auf, anscheinend in den Unglücksfall ergeben, doch leicht ließen sich tausenderlei stumme Fragen in den Blicken lesen, und man hörte, wie zwischen Naudé und Schoppe, Schoppe und Guyetus, Guyetus und Hardouin blitzschnell zweifelnde Bemerkungen ausgetauscht wurden, während Kemal weiter |440|vorn ging. Nicht einmal mit einem groben, gequälten Stammeln hatte er seiner Scham darüber Ausdruck verleihen können, dass er das grausamste aller Schicksale heraufbeschworen hatte

»Na? Er hat es absichtlich getan, oder?«, flüsterte Schoppe, an meine Seite eilend.

»Das lässt sich unmöglich beweisen«, gab ich zu. »Ich selbst wäre fast hinuntergestürzt, wie ich Euch schon erzählte. Dort oben am Saum der Klippe genügt ein kleiner Stoß und man fällt. Ich kam an, als es schon geschehen war.«

»In welcher Stimmung war er, als er entdeckt wurde?«

»Er lachte, aber nur mit dem halben Gesicht.«

»Was soll das heißen?«

»Meiner Meinung nach war es das Lachen eines Menschen, der den Verstand verloren hat«, erklärte ich. »Die andere Gesichtshälfte sah schaurig aus. So einen Ausdruck habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen.«

Schoppe und ich sahen uns einen Augenblick an.

»Er hat ihn umgebracht«, schloss er finster.

Das Mysterium der Zeit
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