|259|DISKURS XXXVII

Darin ein Freundschaftsbund entsteht und der erste Erkundungsgang ins Innere der Insel unternommen wird.

»Wisst Ihr was?«, schloss der Statthalter von Ali Ferrarese. »Ihr würdet einen großen Korsaren abgeben. Diese Kerle da oben im Turm sind gerade gut genug, um sie als Geiseln mit Gold aufwiegen zu lassen, ebenso wie ihr slawonischer Mönch. Aber einen wie Euch nähme ich gerne an Bord! Ihr würdet blitzschnell Karriere machen.«

»Wie kommst du denn auf diese Idee? Hoffentlich nicht, weil du mich mit deinem Occhialì vergleichst!«, lachte ich überrascht. Es war verrückt, jemandem wie mir einen solchen Vorschlag zu machen, der seit Ewigkeiten einem Hauptmann der Cavalieri von Santo Stefano diente, der grimmigsten Gegner der Barbaresken. »Außerdem hast du auf dem Rettungsboot vor allen gesagt, dass du wieder Christ werden willst.«

»Ihr habt recht, das hatte ich vergessen, haha!«

Ich konnte seiner Heiterkeit nicht widerstehen. Dieser Spaziergang hatte mir Hoffnung und gute Laune zurückgegeben.

»Gehen wir zur Festung zurück?«, fragte er mich plötzlich wieder mit ernster Miene.

»Ja, lass uns zurückgehen.«

Am Fuß der Torre Vecchia angekommen, blieben wir gleichzeitig stehen. Zum ersten Mal suchten und fanden sich unsere Blicke. Es waren nur wenige Sekunden. Dann traten wir über die Schwelle.

Wir trafen die anderen endlich wach und von der langen Ruhe erfrischt an. Bald darauf machten wir uns alle gemeinsam auf die Suche nach der geheimnisvollen Stadt Amauroto, wenn sie wirklich so hieß. Jeder sammelte seine wenigen Habseligkeiten zusammen, denn wenn alles gutging, würden wir nie mehr in die Torre Vecchia zurückkehren.

Doch inzwischen hatte es leider wieder zu regnen begonnen. Wir schützten uns mit einigen alten Säcken, indem wir sie, so gut es ging, gefaltet über Kopf und Schultern legten.

Kaum waren wir vor die Befestigungsmauern getreten, fanden wir uns in einem wahren Schlammbad wieder. Über den Platz vor der Festung |260|strömte das Regenwasser in Bächen, die das Vorankommen fast unmöglich machten. Wir mussten im Zickzack über tiefe Pfützen springen, um endlich wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Guyetus und Schoppe traten jeder zwei-, dreimal in einen der kleinen Seen, versanken bis zum Knöchel und stießen ungehörige Flüche aus.

Über den nach rechts führenden Pfad stieg man wieder zu der Stelle hinauf, von wo wir gestern Morgen zur Torre Vecchia gelangt waren. Zur Linken fiel der immer an den Klippen entlanglaufende Weg langsam in Richtung Nordspitze der Insel ab.

Zwischen beiden begann, direkt vor der Festung, ein dritter Pfad, der auf die entgegengesetzte, der Küste von Livorno zugewandte Inselseite führte. Diesen Weg musste man nehmen, hatte das Mädchen gesagt, um in ihre phantastische Stadt zu gelangen.

»Wenn wir zügig ausschreiten, sind wir in einer halben Stunde am Ziel, wette ich«, sagte Barbello zuversichtlich.

Um nicht allzu nass zu werden, gingen wir unter den Bäumen und Büschen, die den Pfad säumten.

Das Vorankommen war beschwerlich, doch wir mussten uns beeilen, um nicht mitten im Wald vom frühen Einbruch der Dunkelheit überrascht zu werden. Schoppe, der nicht unbeholfen erscheinen wollte, machte fortwährend Sprünge, sodass sein Gesicht schon nach wenigen Metern puterrot war. Gefragt, ob er umkehren wolle, gab er brummend wirre Beschwerden von sich: Der Pfad sei zu glitschig und niemand habe ihn gewarnt, dass dies kein Spaziergang, sondern ein militärischer Marsch werden würde, ob man denn nicht langsamer gehen könne? Wir blieben ein paar Mal stehen, damit er Luft holen konnte, sodass die Mittagszeit vorüberging und wir noch weit davon entfernt waren, die Stadt zu erblicken. Es endete damit, dass der kräftige Statthalter sich den alten teutschen Gelehrten auf den Rücken lud. Damit erlaubte er der Gesellschaft, schneller zu gehen und das Murren des Verehrungswürdigen nicht mehr hören zu müssen.

»Wie ein zweiter Anchises, den sein liebevoller Sohn auf dem Rücken aus dem brennenden Troja rettete!«, tönte der Verehrungswürdige begeistert über seine neue Position.

»Was ist das denn für eine Geschichte?«, brummte Kemal misstrauisch.

»Vergil, Aeneis, Dummkopf«, sagte Schoppe und versetzte dem |261|zweiten Aeneas einen Klaps auf den Kopf wie einem schlecht vorbereiteten Schüler.

»Barbaresken verschleppen Kemal bevor Schule zu Ende, haha!«, lachte Mustafa. Er spielte auf Kemals Entführung durch die Piraten als kleiner Junge an.

»Halt den Mund, sonst bring ich dich um!«, knurrte der Statthalter.

Guyetus stützte sich auf Mustafa. Naudé wurde von seinem Ledersack beschwert, den er unter dem Mantel trug, sodass er ihm das Aussehen eines Buckeligen verlieh, aber als ein bewährter Veteran der Bücherjagd durch halb Europa schlug er sich recht wacker. Auch Barbello hatte seinen Sack zum Schutz vor dem Regen unter den Mantel gesteckt.

Der Regen hatte zwar nachgelassen, tropfte jedoch unablässig auf unsere von den alten Säcken kaum geschützten Rücken. Wir gingen eine gute Strecke, bis wir plötzlich den Weg versperrt fanden. Ein paar große Bäume waren dem Wüten des Windes zu stark ausgesetzt gewesen und quer über den Weg gestürzt, um nun eine unüberwindliche Mauer zu bilden, die auch einen kräftigen jungen Reisenden aufgehalten hätte, von unserem versprengten Häuflein Schiffbrüchiger ganz zu schweigen.

»Verflucht, was jetzt?«, schimpfte Guyetus, der schon nach Luft rang und dem auf Kemals Rücken hockenden Schoppe neidische Blicke zuwarf.

Es war unmöglich, abzuschätzen, wie weit wir noch von der Stadt entfernt waren – die Sicht wurde durch Regen und Nebel behindert, außerdem von der dichten Vegetation. Unterdessen hatten Wind und Regen wieder zugenommen. Wenn wir in diesem Sturm länger stehenblieben, würden wir bald durchtränkt sein wie nasse Schwämme.

»Ir, ir, müssen von hier weg«, mahnte Mustafa.

Der Statthalter dagegen lenkte unsere Aufmerksamkeit nach rechts. Halb versteckt von der waldigen Macchia war dort ein kleines weißes Gebäude zu erkennen.

»Dort hinten steht ein Haus, vielleicht das des Mädchens«, sagte der Korsar.

Um zu dem Haus zu kommen, musste man den Weg verlassen und sich mitten durchs Gebüsch schlagen. Schlimmer noch, das Haus lag sehr viel höher als der Weg, auf dem wir standen, man musste also |262|über ansteigendes Gelände gehen. Mit einem Wort, wir mussten umkehren.

Nachdem wir all unseren Mut zusammengenommen und die klammfeuchten Säcke auf unseren Rücken zurechtgerückt hatten, wagten wir uns in den kalten, sumpfigen Wald hinein.

Das Mysterium der Zeit
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