|21|DISKURS I

Darin in einem Brief von einer ersten Reise nach Paris auf der Suche nach Ruhm und Ehren erzählt wird und vermöge dieser Schilderung die Vorboten der Geschichte auftreten.

An den Erlauchten Hauptmann Girolamo Sozzifanti, Cavaliere des Ordens Santo Stefano

Exzellenz,

Euch stets in untertäniger und glühender Liebe als Secretarius ergeben, erfülle ich mit diesem Schreiben Eure Bitte um einen wahrheitsgetreuen, peinlich genauen Bericht der Reise, welche der Signorino Atto Melani, der mir als Mündel anvertraut ist, im November des Jahres 1644 von Rom nach Paris unternahm, woselbst er von Seiner Eminenz Kardinal Mazarin, dem Regierenden Minister von Frankreich, und von der Königin, Eurer Cousine, erwartet wurde.

Euren Instruktionen folgend, werde ich jede einzelne Begebenheit, wie ich sie selbst oder von anderen erfahren, getreulich verzeichnen. Dies geschieht Eurem Wunsch gemäß, regelmäßig Kunde über Signorino Atto zu erhalten.

Nachdem wir wohlbehalten und gesund hier in Marseille angekommen sind, werden wir die Reise nach Paris zu Lande fortsetzen. Im Augenblick kann ich nur sagen, dass dieses letzte Stück der Fahrt eine gute Weile dauern wird, denn wir fanden die Straßen in einem verheerenden Zustand. Auch bieten die Wirtshäuser von Frankreich dürftiges und schlechtes Essen, was den Signorino Atto für die Mühen einer so langen Reise gar nicht gut disponiert. Dennoch kann Eure hochverehrte Exzellenz auf meinen unermüdlichen Willen zählen, die Aufgabe, die Ihr mir so großzügig übertragen, in der allerbesten Weise zu erfüllen.

Am vergangenen 22. November sind Signorino Atto und ich also von Rom nach Florenz gereist, um den Tenor Jacopo Melani, Attos älteren |22|Bruder, und die Sopranistin Francesca Costa, genannt La Checca, abzuholen, da sie zusammen mit anderen Musikern und Schauspielern auf Befehl Kardinal Mazarins in Paris erwartetet werden, um an musikalischen und poetischen Darbietungen teilzunehmen. In Livorno angekommen, haben wir uns auf einer Handelsgaleere eingeschifft, deren Ziel Genua war, wo wir Station machen sollten, um dann nach Marseille weiterzureisen und von dort aus in der Kutsche nach Paris zu gelangen. Auf der nämlichen Galeere befanden sich noch andere Literaten und Musiker. Der Kapitän wunderte sich, dass der Mangel an Platz und Bequemlichkeit die gute Stimmung unter den Reisenden nicht beeinträchtigte. Ihr friedliches Beisammensein, erklärte ich ihm persönlich, verdanke sich der Tatsache, dass die meisten einander schon kannten, da sie zusammen in der musikalischen Komödie des Giulio Strozzi La Finta Pazza aufgetreten waren. Dieses Schauspiel hat vor über drei Jahren im Teatro Novissimo von Venedig einen unerhörten Erfolg gefeiert und soll jetzt in Paris am Königshof als großzügige Hommage Ihrer durchlauchtigsten Hoheit, des Großherzogs der Toskana, an die Königin von Frankreich, Eure Cousine, und an Kardinal Mazarin, ihren Regierenden Minister, aufgeführt werden.

Während der Reise stand uns Monsignore Alessandro Fabri, Secretarius von Kardinal Mazarin, zur Seite. Er kam soeben vom Konklave zurück, bei dem Innozenz X. Pamphili zum Nachfolger des verstorbenen Papstes Urban VIII. Barberini gewählt wurde. Monsignore Fabri ist ein überaus liebenswürdiger Mensch, er hat uns in allen Dingen geholfen und keinen unserer Wünsche unerfüllt gelassen.

Ich kann außerdem berichten, dass alle Passagiere, die der Erwähnung wert sind (ausgenommen also die Mannschaft, die Händler, die ihre Waren auf dem Schiff transportierten, und die schmutzige Schar der an die Ruder geketteten Galeerensträflinge), ein fortwährendes Loblied auf die Regierung Seiner durchlauchtigsten Hoheit, des Großherzogs de’ Medici, sangen, welcher fürwahr der weiseste, achtbarste und reinste aller Herrscher ist. Sie haben sämtlich beteuert, dass Seine durchlauchtigste Hoheit, wie schon Seine Vorgänger aus dem Hause Medici, bei Seinen Untertanen Gottesfurcht, ehrbare Sitten und einen rechtschaffenen Lebenswandel trefflich fördert und darob den höchsten Lobpreis verdient.

|23|Ich muss hinzufügen, dass Signorino Atto in Wahrheit zunächst sehr ungern aus Rom wegging, wo er seine Kunst verfeinern konnte, da er dort dank der Lektionen des Maestro Luigi Rossi, seiner Gemahlin Costanza, einer Harfenistin und Sängerin, sowie des umjubelten, bekanntesten Kastraten von Rom, des berühmten Marcantonio Pasqualini, genannt Malagigi, die deliziösesten Raffinessen des Gesangs erlernte.

In Rom hat Signorino Atto es sich angelegen sein lassen, das Beste seines Könnens zu geben, vorzüglich bei seinem letzten Konzert im Palazzo Barberini, der Residenz der Neffen des verstorbenen Papstes. Es war dies ein denkwürdiger Abend in Gegenwart vieler Nobilitäten und Purpurträger. Sogar den Signori Malagigi und Rossi traten, als sie Atto zum letzten Mal vor seiner großen Reise singen hörten, Tränen der Freude über die Fortschritte ihres Schülers in die Augen, und ich kann Eure Exzellenz versichern, dass unser junger Kastrat in den Ohren der römischen Fürsten eine unauslöschliche Erinnerung an sich hinterlassen hat, was den Ruhm des durchlauchtigsten Geschlechts der Medici gewisslich mehren wird.

Der erste Tag der Seereise von Livorno nach Genua ward von einem sehr starken Ostwind getrübt, welcher uns sofort vom Kurs abbrachte, sodass wir noch vor Anbruch des Abends bei der Insel Gorgona vor Anker gehen mussten, der kleinsten Insel des Archipels, die wie alle Inseln im Meer der Toskana zum Hoheitsgebiet Ihrer durchlauchtigsten Hoheit, des Großherzogs Ferdinando, gehört.

Während der ersten Nacht, die wir am Ankerplatz von Gorgona verbringen mussten, habe ich, Euren Anweisungen folgend, sorgsam darauf geachtet, dass Signorino Atto gebührend ruhte und weder von fremden Menschen noch von enervierenden Gedanken gestört wurde, und tatsächlich hat er vortrefflich geschlafen.

Am nächsten Tag ging die Rudermannschaft der sogenannten Bereitwilligen (in Wahrheit ein höchst unpassender Name für diese unflätigen Tagelöhner) mit Krügen auf die Insel, um Wasservorräte zu holen. Leider wurde einer der Passagiere, welche mit den Ruderern an Land gegangen waren, um sich die Beine zu vertreten, von einer Schlange gebissen. Da die medizinische Ausstattung unseres Schiffes recht kärglich war, empfahl der an Bord weilende Wundarzt, den Verletzten in Gorgona zu lassen, wo er eine Behandlung erhalten und der |24|nötigen Ruhe für seine Genesung pflegen könne. Sobald er die kurze Seereise antreten könne, solle er in die Toskana zurückgebracht werden. Signorino Atto, in Gesangsübungen zu Ehren Ihrer durchlauchtigsten Hoheit vertieft, gewahrte den Zwischenfall zwar mit Interesse, ließ sich aber glücklicherweise dadurch nicht allzu sehr verstören.

Die restliche Fahrt verlief ohne große Hindernisse, dank des sich bessernden Wetters und des günstigen Windes, der uns Verzögerungen ersparte. Signorino Atto vertrieb sich die Zeit, indem er sich bei seinen Gesangsübungen auf einer kleinen Gitarre begleitete, Karten spielte und einige Arien für Solostimme schrieb, welche er Ihrer durchlauchtigsten Hoheit so bald wie möglich schicken wird (noch wagt er es nicht, da er sich seiner Schöpfungen nicht sicher ist). Bei alledem hat er auch die Lektüre der Bücher, die ich zu seiner Belehrung und Erbauung mit mir führte, nicht verschmäht.

Kurzum, ich kann bestätigen, dass Euer Schützling sich während der gesamten Reise ausnehmend gut betragen hat, und niemals habe ich ihn ungehörige Dinge sagen oder tun sehen. Ebenso ist er all meinen Empfehlungen gefolgt, sodass man sagen darf, kein junger Mensch seines Alters könnte ein löblicheres Verhalten zeigen.

Der Signorino ist eine aufrichtige Seele, dankbar nimmt er alles an, was ihm der Wille Gottes auf seinem Weg zuträgt, und ist mit größter Freude zur Reise nach Frankreich bereit. Der durchlauchtigste Großherzog und sein Bruder, unser Erhabener Fürst und Herrscher, können mit ihrem jungen Günstling und Eurem Schutzbefohlenen höchst zufrieden sein und darauf vertrauen, dass er ihnen weiterhin treu ergeben und den Interessen des Großherzogtums nützlich sein wird.

Gott möge uns die erhabene Kunst der Kastraten erhalten, da sie der Welt die himmlischsten Stimmen schenken, welche das menschliche Ohr zu hören vermag! Allein ihr engelsgleiches Antlitz entzündet in allen Herzen die Sehnsucht, in die unbekannten, verborgenen Räume der göttlichen Gnade vorzudringen und dort für immer zu verweilen. Dergestalt dienen sie Euer durchlauchtigsten Hoheit mit ihrer ganzen Kunst und ihren mannigfaltigen Tugenden! Wurden sie denn nicht nach dem Gebot des Evangelisten zu Eunuchen des Himmelreichs gemacht?

Das Mysterium der Zeit
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