DISKURS LII

Darin eine lebhafte heimliche Zusammenkunft stattfindet und man entdeckt, dass man unhöflich war. Es folgt ein unwürdiges Schachern, um sich die Dienste des jungen Atto Melani und seines guten Gedächtnisses zu sichern.

»Endlich! Habt ihr es jetzt begriffen, ihr Schwachköpfe? Mit diesen drei bärtigen Idioten haben wir nur Zeit verloren!«, fasste der deutsche Gelehrte zornig zusammen.

Eloquent und bündig hatte Schoppe uns aufgeklärt, was er von unseren drei Gästen und von den Fähigkeiten seiner Kollegen hielt.

|368|Zu sechst (die vier Gelehrten, du und ich) hatten wir uns eilig im Hühnerstall verkrochen, um den Ohren der drei Gesellen zu entgehen. Malagigi und Barbello sorgten im Verein mit den Korsaren dafür, sie abzulenken. Sie wurden direkt in den Keller geführt, wo aus den Vorräten etwas zum Kochen zusammengekratzt werden sollte.

»Du, Gabriel«, fuhr Schoppe fort, »hast Medizin studiert und bist nicht einmal promoviert, klar, dass du das irre Gerede von Campanella nicht erkannt hast. Aber du, Guyetus«, und er breitete verzweifelt die Arme aus, »bist du nun ein Philologe, der Texte studiert, vergleicht und Schlüsse daraus zieht oder nicht? Wie konntest du nicht bemerken, dass die drei langbärtigen Bauern uns das Buch dieses Geistersehers Campanella auftischten?«

Guyetus war wie vom Donner gerührt.

»Ich ahnte es ja, dieser misstrauische Jesuit Petavius hatte recht. Nur ein Idiot wie ich und ein Wahnsinniger wie du«, bellte er, zu Schoppe gewandt, »konnten sich derart einwickeln lassen. Und das in unserem Alter … Ach, wozu habe ich gelebt?«

Dann drehte er seinem Ankläger den Rücken zu, Unverständliches, vielleicht auch Unsägliches in sich hinein brummend, und machte dazu eine vulgäre Handbewegung, die vielleicht gegen Schoppe, vielleicht gegen das widrige Schicksal gerichtet war, das ihn in hohem Alter hierhergeführt und unter tausenderlei Gefahren dazu verdammt hatte, eine Blamage nach der anderen einzustecken.

»Stimmt. Du hast recht«, räumte Naudé widerwillig ein, ohne auf die üblichen Bosheiten des Deutschen zu achten, »was die drei Bärtigen erzählt haben, stammt aus dem Sonnenstaat von Campanella.«

Uns beiden, die wir dieses Buch nur vom Hörensagen kannten, erklärte Schoppe rasch, dass es sich um das Werk von Tommaso Campanella handle, eines vor wenigen Jahren verstorbenen italienischen Mönchs, der auf der Grundlage seiner gewagten philosophischen Theorien eine Idealgesellschaft entworfen habe.

»Von wegen Taprobana, Republik und Feste mit Musik!« Schoppe war dunkelrot vor Zorn. »Taprobana heißt die ideale Stadt, die in Campanellas irren Phantastereien die perfekte Regierung besitzt: Gemeinschaftseigentum, Aufteilung der Reichtümer, strenge Gesetze und so weiter. Wahrscheinlich gibt es auf der anderen Seite der Klippen gar nichts. Die beiden Landmänner, die den Mund aufmachen können, haben schlicht und einfach die Beschreibung des Sonnenstaats |369|nachgeplappert. Und zwar so ausführlich, dass ich wette, sie haben das Buch hier auf Gorgona zur Hand.«

Das war eine weitere Niederlage für die Gelehrten: Bevor der erste der drei Bärtigen aus der Deckung gekommen war und den Namen Taprobana erwähnt hatte, hatte keiner bemerkt, wie sehr ihre Beschreibung der von Campanella imaginierten Stadt glich.

»Dann vielleicht auch der Bericht von Nummer Drei …?«, fragte Guyetus nachdenklich.

»Das Mädchen sagte, die Insel heiße Nusquama«, warf ich ein, »und die Stadt Amauroto …«

»Amauroto?!«, fuhr das ganze gelehrte Grüppchen zusammen wie von tausend Skorpionen gestochen. »Wann hat sie denn gesagt, dass die Stadt Amauroto heißt?«

»Signori, Ihr habt die arme Frau nicht gehört, weil Ihr zu sehr mit Monsire Naudés Insularium beschäftigt wart …« erklärte ich, verlegen berührt von den scharfen Blicken, die sich auf mich richteten.

»Und mit dieser Information rückt Ihr erst jetzt heraus?«, wetterte Schoppe. »Hätten wir das damals gehört, hätten wir sofort erkannt, dass es sich um Utopia handelt, die imaginäre Insel, über die der große Thomas Morus im vergangenen Jahrhundert einen Traktat verfasste. Auf diese Insel verlegte er seine ideale Stadt, die Amauroto hieß! Hättet Ihr uns das sogleich berichtet, wäre uns alles klar gewesen!«

»Natürlich!«, schäumte auch Naudé, die Augen verdrehend, als wäre meine Nachlässigkeit ein Dolchstoß in den Rücken.

»Wahrhaftig!«, echote Guyetus kopfschüttelnd und blickte mich verächtlich an.

Vernichtend waren die bösen Blicke, die die vier auf mich warfen. Zu groß war die Versuchung, mir, dem armen Secretarius, die ganze Schuld für ihr klägliches Versagen in die Schuhe zu schieben.

»Nusquama«, buchstabierte Hardouin nachdenklich. »Diesen Namen haben wir von der Irren vernommen. Doch keiner von uns hat daran gedacht, dass er vom lateinischen nusquam herrührt, was bedeutet ›an keinem Ort‹. Und wie heißt ›kein Ort‹ auf Griechisch? ›U topòs‹

»Also Utopie«, schloss Schoppe, nervös mit den Fingern auf ein Brett im Hühnerstall trommelnd.

»Genau. Dabei fällt mir ein, leider zu spät, dass Nusquama der ursprünglich von Morus für seinen Traktat vorgesehene Titel war …«, flüsterte Guyetus, abermals von seiner Unfähigkeit niedergedrückt.

|370|Unterdessen schritt Naudé nachdenklich durch den Hühnerstall. »Im Bericht von Nummer Drei stimmt tatsächlich alles mit Thomas Morus’ Beschreibung überein. Die gemeinschaftlichen Speiseräume, die Lager für die Ernteerträge, die zwischen allen geteilt werden, die kostenlosen Krankenhäuser, Gold und Silber, die nichts wert sind … Alles Phantasien aus der berühmten Beschreibung von Utopia. Ach, warum habe ich das nur nicht früher bemerkt?«

»Und es gibt noch mehr«, sagte Schoppe. »Habt Ihr den Roman Gargantua und Pantagruel von Rabelais gelesen?«

»Selbstverständlich«, sagte Naudé, als Franzose ein Landsmann des berühmten François Rabelais, eines Mönchs mit bewegter Vita, der den geistlichen Stand verließ, eine Witwe schwängerte, Arzt wurde und mehrere gelehrte und sehr kuriose Bücher schrieb.

»Nun, Gabriel, wenn du an die Abtei denkst, die uns diese drei Hühnerdiebe beschrieben haben, fällt dir da nichts ein?«, fragte Schoppe herausfordernd.

Der Bibliothekar des Kardinals überlegte kurz, hob die Augen zum Himmel und schlug dann verzweifelt die Hände vors Gesicht:

»Himmel! Auch die Abtei! Sie ist ein Plagiat von Rabelais’ Abtei von Thelema! Der sechseckige Grundriss, die sechs Stockwerke, die Türme, die Zimmer voller Spiegel, das Leben ohne Regeln … Jemand muss diesen drei Hinterwäldlern ein Exemplar des Gargantua mit den Kapiteln über die Abtei in die Hand gedrückt haben.«

»Worum geht es da?«, fragte ich.

»Es ist die Beschreibung einer großen imaginären Abtei«, antwortete Schoppe, während er Naudés Beschämung mit kaum verhohlener Befriedigung zur Kenntnis nahm, »wo Rabelais’ Ideal einer freien Gemeinschaft von Männern und Frauen verwirklicht wird, die das Schöne, Wahre und Gute pflegen. Mehr oder weniger wie unsere drei Krauter erzählt haben.«

»Natürlich hat es so etwas nie gegeben«, murrte Naudé, noch immer empört die Fäuste ballend. »Die Abtei entspringt nur der Phantasie von Rabelais, aber uns haben sie sie als eine echte Abtei hier auf Gorgona untergejubelt. Was für ein Idiot ich bin! Wie konnte ich diesen Trug nicht bemerken?«

»Vergebt uns, lieber Freund«, sagte Hardouin und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Wir haben Euch ungerecht behandelt. Irren ist menschlich, anderen die Schuld geben noch mehr, stimmt’s?«, fragte |371|er seine gelehrten Kameraden, die verlegen die Augen senkten. »Wir hatten bereits alles Notwendige gehört, um zu erkennen, dass die Verrückte aus Thomas Morus’ Utopia zitierte. Ebenso haben wir nichts bemerkt, bis unser verehrungswürdiger Schoppe in dem Namen Taprobana die von Campanella beschriebene Idealstadt erkannte.«

»Wirklich sonderbar«, warfst du ein, »diese Geschichte vom Gold und Silber, das nichts wert ist und durch Eisen ersetzt wird, gibt es sowohl in Plutarchs Bericht über Sparta als auch in Thomas Morus’ Utopia oder Nusquama. Und bei allen dreien, auch in Campanellas Taprobana gibt es das gemeinsame Essen, die Kontrolle über das Privatleben der Bürger …«

Naudé, Schoppe und Guyetus wechselten einen deprimierten Blick. Nusquama, die Insel von Thomas Morus, hatte den drei Gelehrten bei unserer Diskussion über Lykurg als Beweis gedient, dass auch sein Sparta, trotz aller Unwahrscheinlichkeiten, wirklich existiert hatte. Deine unschuldige, aber gnadenlose Feststellung fiel wie ein Grabstein auf ihre gelehrten Ausführungen: Abermals gab es nicht den geringsten Beweis, dass das von vielen antiken und modernen Historikern gelobte Sparta des Lykurg mehr war als ein Phantasiegebilde. Sicher war nur, dass Campanella und Morus sich von Erzählungen über das mythische Sparta inspirieren ließen. Da unsere gelehrten Gefährten im Unglück kein Wort mehr zur Verteidigung Spartas wagen wollten, wurde deine Feststellung mit tiefem Schweigen quittiert.

So standen wir nun ohne Sparta und Lykurg, ohne Nusquama und Taprobana da, vor allem aber ohne eine Stadt, von der aus wir Gorgona verlassen konnten.

»Eines würde ich noch gerne wissen«, unterbrach ich das Schweigen. »In welches Jahrhundert fällt eigentlich das von Plutarch beschriebene Sparta Lykurgs?«

Naudé, Schoppe und Guyetus blickten sich zögernd an.

»Das weiß man nicht. Plutarch selbst sagt, dass man nichts Gewisses über Lykurg weiß«, antworteten sie fast einstimmig.

»Aber seine Gesetze und seine Regierung beschreibt er, als hätten sie wirklich existiert«, wandte ich ein.

»Ja, und andere Historiker stimmen mit ihm überein«, antwortete Hardouin mit einem strengen Blick auf die anderen drei, die stumm zu Boden starrten, offenbar wenig geneigt, die unbequeme Wahrheit zu bestätigen.

|372|»Dann verstehe ich immer weniger«, drängte ich. »Wenn man über Lykurg nichts Gewisses weiß und seine Gesetze für unsere Ohren zumindest ungewöhnlich klingen, könnte er dann nicht auch eine reine Phantasie sein? Und ich frage mich: Wenn es nicht diese Gesetze und diese Regierung waren, was hat es dann gegeben? Etwas anderes oder gar nichts? Muss im letzteren Fall die Zeit Lykurgs, so wie Plutarch sie erzählt, aus der Geschichte des alten Griechenland gestrichen werden?«

»Das müsste man diesen Betrüger Scaliger fragen!«, krächzte Schoppe.

»Ach, was geht uns die Zeit an«, schnitt Guyetus ihm verärgert das Wort ab, »uns beschäftigen hier und jetzt ganz andere Fragen!«

»Genau«, bekräftigte Naudé, »wir könnten kurz davor sein, Philos Ptetès zu fassen zu kriegen. Vielleicht sogar in ein paar Minuten.«

»Minuten?«, fragtest du, nachdem du deine Blicke lange über uns alle hattest schweifen lassen, um, wie mir schien, die stumme Sprache der Körper zu studieren, statt auf das Gesagte zu achten.

»Gewiss doch. Dass alle, die hier auf der Insel leben, mit phantastischen Erzählungen von Thomas Morus, Campanella oder Rabelais vollgestopft sind, ist ein deutliches Zeichen: Wer hat ihnen diese Bücher gegeben, wenn nicht Philos Ptetès selbst? Er war ein Literat und sehr belesen, das steht fest. Die Soldateska des Großherzogs der Toskana, die manchmal auf der Insel stationiert ist, oder diejenigen, die hier Wasservorräte holen, waren es bestimmt nicht. Das bestätigt uns, dass der Mönch, wer immer es ist, hier gelebt und Spuren hinterlassen hat. Die drei Schlauberger, deren Namen wir übrigens nicht einmal kennen, wissen zweifellos viel mehr als sie uns weismachen wollen.«

»Ihr habt recht!«, pflichtete ich bei. »Könnte das versteckte Zitat aus Campanellas Sonnenstaat nicht sogar ein Köder sein, den der Mönch ausgelegt hat?«

»Ein Köder?« Guyetus fuhr zusammen.

»Meint Ihr einen Köder, um herauszufinden, wer von uns geeignet ist?«, fragte Naudé, dessen Gesicht sich rot färbte.

»Genau das«, bestätigte ich.

»Geeignet wozu?« Guyetus tat, als hätte er nicht verstanden, obwohl er nur allzu gut wusste, was ich meinte, und schon die ersten Zeichen einer Übelkeit zeigte.

»Die kostbaren Handschriften zu bekommen, das Erbe des großen |373|Poggio Bracciolini, von denen Philos Ptetès in dem Brief an Euch berichtet, Signori«, erklärte ich höflich.

»Ich muss doch sehr bitten! Was für eine absonderliche Idee ist Euch da gekommen! So benimmt man sich nicht unter Gelehrten!«, trällerte Schoppe mit einem krampfhaften Lächeln, insgeheim erschreckt von der Möglichkeit, meine Vermutung könne einen wahren Kern haben.

»Eure Ignoranz erstaunt mich! Was für eine Art Secretarius seid Ihr?«, beschimpfte auch Guyetus mich böse.

»Wir sind keine Schüler, die abgefragt werden müssen!«, kreischte Naudé mit beunruhigten Seitenblicken auf seine Kollegen.

Ach, armer Secretarius! An diesem schwarzen Tag hatte ich mich bei meinen Reisegefährten gründlich unbeliebt gemacht. Erst hatte mein Unwohlsein die Rettung durch das unvermutet vorüberfahrende Schiff vereitelt, dann hatten sie mir vorgeworfen, ihnen nicht rechtzeitig mitgeteilt zu haben, dass die Stadt auf Nusquama Amauroto genannt wurde, und jetzt verstimmte ich sie mit meiner Vermutung, dass Philos Ptetès prüfender Blick auf ihnen ruhen könnte.

Naudé war besonders wütend auf mich. Nachdem er dich und mich unter dem Vorwand der Jagd anhand seiner kostbaren Schatzkarte auf die Suche nach dem Mönch mitgeschleift und uns durch Erpressung zu Komplizen seiner Pläne gemacht hatte, fühlte er sich jetzt verraten: Ausgerechnet ich hatte seine größte Angst ausgesprochen, nämlich Philos Ptetès nicht als Erster zu erreichen, sondern ihn mit dem Philologen Guyetus und vor allem mit dem verhassten Schoppe teilen zu müssen, die beide, im Gegensatz zu ihm, Adressaten des Briefes waren.

»Vergessen wir die phantasievolle Hypothese unseres Secretarius«, schlug Naudé vor. »Habt Ihr diese sonderbaren Koinzidenzen bemerkt? Sowohl der Hinkende als auch Ptetès wurden von einer Schlange gebissen, beide sind häufig auf der Piana dei Morti. Außerdem trägt einer der beiden Bauersleute eine große Tasche über der Schulter, was an die vier großen Taschen erinnert, die Ihr bei Philos Ptetès saht, als er vor zwei Jahren auf der Insel ausgesetzt wurde. Es gibt drei Möglichkeiten: Entweder Philos Ptetès ist der Hinkende. Oder er ist einer der beiden anderen. Die dritte: Er ist auf der Insel an einem Ort versteckt, den die drei uns noch nicht genannt haben.«

»Wie wollt Ihr herausfinden, welche der drei Möglichkeiten der Wahrheit entspricht?«, fragte Hardouin.

|374|»Ihr beiden!«, rief Guyetus aus, wobei er aufsprang und drohend wie eine Pistole den Zeigefinger auf uns richtete, »Ihr seid die einzigen, die Philos Ptetès ins Gesicht gesehen haben! Wie kommt es, dass Ihr ihn nicht erkannt habt?«

»Versteht doch«, versuchte ich ihn zu beschwichtigen, »es ist viel Zeit vergangen. Und wir haben sein Gesicht damals nicht genau betrachtet. Für uns war er ein beliebiger Passagier! Habe ich recht, Signorino Atto?«

»Natürlich«, bestätigtest du, gepeinigt von der Vorstellung, die flüchtige Erscheinung wiedererkennen zu müssen, der fast alle von uns hinterherjagten.

»Der Junge hat in seinem zarten Alter sicherlich ein besseres Gedächtnis als wir alle zusammen«, erklärte Hardouin.

»Also los!« Mit einem Schlag auf den Rücken trieb Schoppe dich an wie eine junge Stute, die sich weigert, die Kutsche zu ziehen. »Welcher der drei könnte es sein?«

Ausweichend erklärtest du, der Mönch, den wir vor zwei Jahren gesehen hatten, habe einen Bart gehabt wie alle drei Bauern, und weil zwei Jahre eine lange Zeit seien, könntest du weder beschwören, dass Philos Ptetès unter den dreien sei, noch dass er es nicht sei. Das hätte jedem eingeleuchtet, nur unseren drei gierigen Gelehrten nicht. Unterdessen zog Naudé mich am Jackenärmel beiseite.

»Signor Secretarius, ich mache nie viele Worte. Seine Eminenz Kardinal Mazarin hat schier unbegrenzte Möglichkeiten, mehr muss ich nicht sagen. Ich will das Alleinrecht. Ihr könnt es dem jungen Atto selbst sagen: eine Pension auf Lebenszeit vom französischen König und eine Sinekure in einer schönen Diözese der Bretagne oder Provence. Wenn der Kardinal ein gutes Wort einlegt, kann die Bestätigung aus Rom schon in weniger als drei Monaten da sein. Einverstanden?«

»Ihr bietet Signorino Atto also eine Belohnung«, versuchte ich zusammenzufassen, »wenn er Euch und nur Euch verrät, wer von den dreien Philos Ptetès ist. Bei allem Respekt, Monsire Naudé, Ihr werdet verstehen, dass ich nicht …«

Mazarins Bibliothekar ließ mir keine Zeit, den Satz zu beenden, er hatte sich schon auf dem Absatz umgedreht und war zu den anderen zurückgekehrt, die derweil hektisch versuchten, dir, armer Atto, nützliche Informationen über das Aussehen des wertvollsten Menschen auf ganz Gorgona zu entlocken.

|375|Als ich näher kam, eilte mir Schoppe mit hochrotem Gesicht und weit aufgerissenen Augen entgegen.

»Was auch immer Gabriel Naudé Euch gesagt hat, glaubt ihm nicht«, warnte er mich. Er nahm mich am Arm und zischte mir hastig ins Ohr: »Dieser Verbrecher besitzt keinen Heller und kann nur leere Versprechungen machen. Heute Morgen habe ich einen Blick in sein Ausgabenbuch geworfen, als er pinkeln war. Ich halte mein Wort: wenn Euer Signorino Atto mir die Premiere am Wiedererkennen dieses slawonischen Mönchs gewährt, schreibe ich ihm einen Wechselbrief aus, der in Paris, Rom, Florenz, oder wo er will, einlösbar ist. Die Höhe können wir gemeinsam festlegen, wichtig ist, dass wir uns als wahre Ehrenmänner absprechen. Ich habe ausgezeichnete Kontakte zum Kaiser, ich kann ein paar Freunde einschalten …«

Dieses Mal beendete ich die Unterhaltung brüsk, denn ich hatte bemerkt, dass Guyetus dich von der Gruppe weggezogen hatte und dir etwas ins Ohr flüsterte: sicherlich weitere haltlose Versprechen, um vor den anderen ein entscheidendes Wort über deine Erinnerungen zu hören.

»Signorino Atto!«, rief ich mit der ganzen Autorität, die mir in meiner Stellung als Secretarius eines Hauptmanns des Großherzogs gewährt war.

Du entschuldigtest dich mit höflicher Bestimmtheit bei den Gelehrten und folgtest mir ins Freie. Ich führte dich in den großen Hof und dann in die Kapelle, wo wir vor indiskreten Ohren geschützt waren. Du stelltest keine Fragen, denn du hattest verstanden. In dem engen, kahlen Kirchlein blieben wir vor einem Fenster stehen, dem seit wer weiß wie vielen Jahren die Scheiben fehlten. Vor uns erstreckte sich das grenzenlose Panorama des Meeres und des Himmels.

»Niemandes Gedächtnis ist unfehlbar. Ihr wisst nichts, ich weiß nichts«, instruierte ich dich. »Angesichts der Versprechen sagt Ihr allen ja und glaubt niemandem. Ich werde die Sache regeln und mir die eine oder andere allgemein gehaltene Zusage schriftlich geben lassen. Niemand verdient Euer Wort und auch das meine nicht.«

»Das weiß ich«, antwortetest du zustimmend, und deine Züge entspannten sich endlich. »Ihr habt ja gesehen, dass ich Euch gehorche und immer in allem gehorchen werde. Habe ich nicht auch auf dieser kurzen Reise Eure Lehren beherzigt?«

|376|Die feine Anspielung wurde von einem leisen Lächeln begleitet, das blitzartig alles erhellte und offenlegte.

Nachdem du meine Strafpredigt über das traurige Los der Kastraten, die Frauen lieben und wiedergeliebt werden, sowie über das, was deine Herren von dir erwarten, über dich hattest ergehen lassen, warst du mir zunächst verärgert aus dem Weg gegangen. Dann aber folgte das Schachmatt: als Begleiter des Kastraten Barbello hattest du mir Gehorsam vorgeheuchelt. Gut! Konnte ich dir sagen, dass ich deinen vorgetäuschten Gehorsam entlarvt hatte und zwar auf die untrüglichste und verbotenste Weise?

Durch eine Laune des Schicksals war aus deinem Lehrer fast dein Rivale in der Liebe geworden. Doch mich deinen Rivalen zu nennen, war, recht bedacht, übertrieben und grotesk: Wenn es wirklich so wäre, hätte ich nur verlieren können, du hattest die Jugend mit ihrer Freiheit auf deiner Seite, ich nur die quälenden Zweifel eines Familienvaters, der unerwartet in die Untiefen verbotener Triebe geworfen wurde. Das war dein Element, nicht das deines Secretarius. Ich hatte ganz andere Dinge im Kopf, und einstweilen musste ich so tun, als wüsste ich nichts. Du ahntest ja nicht, dass die Ereignisse dich überholt hatten, dass Barbello sich mir durch ihren Körper erklärt hatte. Ich schwamm zwischen Skylla und Charybdis und hatte nicht einmal einen Namen für das fleischliche Geheimnis, das sich dir jede Nacht und mir an einem Morgen als Frau offenbarte. Wer war Barbello? Ich hatte keine Minute Zeit mehr, es herauszufinden oder auch nur darüber nachzudenken. Ob es dieser venezianische Singvogel war, Margherita Costa, die Schwester der Checca? Sie sollte sich mit uns einschiffen, wurde aber im Hafen von Livorno nicht gesehen, und es hieß, sie sei schon mit einer anderen Galeere der französischen Kriegsmarine abgereist. Ihre Schwester kannte ich gut, die berühmte Sopranistin, eine recht großgewachsene, gertenschlanke Frau, blaue Augen, feine blonde Haare und sehr fleischige Lippen. Schwer vorstellbar, dass Barbello, ein kleines, rundliches Geschöpf mit schmalen Lippen, dunklen Augen und Locken, ihre Schwester sein sollte.

Schon bald schob ich diese Überlegungen beiseite. Viel wichtiger war, was in dir heranreifte: die bewährte Doppelzüngigkeit, die Gabe, etwas zu sagen und es nicht zu sagen, die Kühnheit, mit der du mir im Grund bedeutet hattest: rede du nur, ich tue, was ich will, weil ich dich hereinlege.

|377|Schon jetzt erwartete ich besorgt den Morgen, an dem du in demselben Bett, in dem du als verschlossener, widerspenstiger, zum Gehorsam verpflichteter Jüngling eingeschlafen warst, als erwachsener Mann erwachen würdest, der wählt, beschließt und befiehlt. Ein herrlicher oder schrecklicher Morgen?

Das Mysterium der Zeit
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