Mona steht auf der anderen Straßenseite und wartet auf eine Verkehrslücke. Wir sehen sie durch die großen Scheiben des Cafés. Sie versucht es, muss aber rasch wieder zurückweichen, weil der nächste Schub Autos kommt.

»Sie hat es nicht leicht gehabt«, sagt Ulrich.

Wieder läuft Mona los, rutscht fast auf dem Eis aus, fängt sich aber wieder.

»Du musst nett zu ihr sein«, sagt Ulrich.

Mona kommt herein und schüttelt Schneeflocken aus den Haaren.

In der letzten Woche war ich mit ihr in vielen Museen und Galerien, während Ulrich Journalisten und den Sammlern, die er dazu überredet hatte, meine Bilder zeigte.

Gestern waren wir auf der Museumsinsel und sahen Werke von Rodin, Cézanne und Degas. Heute wollen wir eine neue Galerie besuchen, die erst vor wenigen Monaten eröffnet hat und in aller Munde ist.

Am Eingang bekommt jeder Besucher eine Taschenlampe.

»Ich hoffe, du hast keine Angst vor Dunkelheit«, sagt Mona.

Die Wände der Galerie sind geschwärzt, die Fenster mit Blenden versehen, das Licht ist ausgeschaltet. Die Taschenlampen sind so schwach, dass man sie dicht an die Bilder halten muss, um Details zu erkennen.

»Als sie eröffneten, gab es auch Installationen, aber zu viele Besucher haben sich verletzt«, sagt Mona irgendwo rechts von mir.

Meine Taschenlampe erleuchtet ein Objekt, das wie ein Fahrradreifen aussieht, aber ebenso eine Schlange sein könnte, die sich selbst in den Schwanz beißt.

»Hi Mona«, hören wir im Dunkeln. Hinter uns steht ein Wärter, ganz in Schwarz gekleidet. »Viel Vergnügen.«

Wir gehen nebeneinander die Straße entlang.

»Als du ankamst, war dein Deutsch noch ein bisschen steif«, sagt Mona. »Es klang richtig klassisch, wie wenn wir in der Schule Goethe oder Schiller laut vorlesen mussten. Jetzt redest du schon fast wie ein Berliner.«

Die Luft ist frostig, im Schnee unter uns liegt festgetrampelter Weihnachtsschmuck.

»Du bist sehr still geworden, als ich dich nach deiner Kindheit gefragt habe. Aber da hatte ich ja auch ein Mikrofon in der Hand …«

»Ich hatte eine wunderbare Kindheit, die ich gegen nichts tauschen wollte.«

Ich weiß nicht, wohin wir gehen, aber ich gehe gern neben ihr. Sie bietet mir eine Zigarette an, eine Club, früher die teuerste Marke in Ostdeutschland, wie sie erzählt, und heute die allerbilligste. Ich kann sie kaum anzünden, der Wind bläst die Flamme immer wieder aus. Als ich aufschaue, sehe ich direkt in ihre Augen.

»Ich kann es kaum glauben, dass du nicht älter bist«, sagt sie, als hätte sie mich studiert.

»Ich bin nicht so alt, wie in meinem Pass steht.«

»So geht mir das auch manchmal …«

Wir gehen weiter dicht nebeneinander, ich spüre ihren Blick.

»Was hast du in der letzten Woche zu essen bekommen? Ihr habt euch von Dönern und Currywurst ernährt, richtig?«

»Alles andere wäre schade, wo ich doch gerade erst nach Berlin gekommen bin.«

Sie lacht.

»Du musst etwas Ordentliches in den Magen bekommen.«

Mona führt mich in ein indisches Restaurant, sie sagt, sie hätten das beste Tikka Masala Berlins. Es ist Nachmittag, und wir sind die einzigen Gäste. Auf den Tischen liegen rote Tücher, an der Wand neben uns hängt ein großes Bild des Taj Mahal. Aus den Lautsprechern kommt Bollywood-Pop, nur unterbrochen von dem Prince-Hit 1999, der mich in den Nächten mit Ulrich von den Cafés in die Kneipen verfolgt hat. Genau wie die unzähligen Zeitungsartikel über den Millennium-Bug, der die Zivilisation, wie wir sie kennen, zum Zusammenbruch bringen wird, weil die Computer die Jahreszahl 2000 nicht verstehen.

Monika spießt ein Stück Lamm auf die Gabel und reicht es über den Tisch, damit ich probieren kann.

»Du wirst es schon schaffen«, sagt sie, während ich kaue. »Egal, wie die Ausstellung läuft, du wirst es schaffen. Ich habe eher Angst um Ulrich, ich weiß nicht, was mit ihm passiert, wenn es ein Flop wird.«

»Ihr wart zusammen, nicht wahr?«, spekuliere ich.

»So würde ich das nicht nennen. Wir wussten beide, dass es eine wirklich schlechte Idee war.«

Nach dem Essen bringt Mona mich zum Bus. »Bis morgen«, sagt sie.

Die Wohnungstür steht offen. Im Wohnzimmer sehe ich eine glühende Zigarette. Ich schalte das Licht an.

Ulrich sitzt auf dem Sofa und starrt an die Decke.

»Es ist gut gelaufen«, sagt er. »Alle Journalisten haben deine Bilder gesehen.«

Er hebt seinen Mantel vom Boden auf.

»Ich muss was trinken.«

Wir gehen in eine Kneipe, in der schwarz gestrichene Wagenräder an den Wänden hängen.

Inzwischen weiß ich, wie Ulrich seine Rechnungen über das Viertel verteilt. Wieder muss er mit dem Besitzer diskutieren. An den ersten Tagen drehte er mir dabei den Rücken zu und sprach leise, nun versucht er nicht mehr, es zu verbergen. Grinsend kommt er mit zwei Gläsern Bier zurück.

»Ich musste ihm versprechen, dass du seine Kneipe malst. Mit ihm und seiner Frau davor. Natürlich nicht jetzt gleich.«

Er trinkt einen großen Schluck, dann wird sein Blick wieder nervös.

»Ich glaube, es ist gut gelaufen. Sie waren gutgelaunt. Aber sie verraten nie etwas, bevor die Zeitung gedruckt ist. Das mit dem Vertrag hat ihnen nicht geschmeckt.«

»Vertrag?«

»Sie mussten unterschreiben, dass vor dem ersten Januar nichts über die Ausstellung publiziert wird.«

Ich gehe auf die Toilette, und auf dem Rückweg lege ich ein paar Scheine auf die Theke, damit Ulrich nicht mehr mit dem Besitzer diskutieren muss.

»Mona hat es nicht leicht gehabt?«, frage ich, als ich wieder am Tisch sitze.

»Nein.« Ulrich zündet sich eine Zigarette an und vergisst die, die noch im Aschenbecher glimmt. »Ihr Freund war Maler. Er hatte Talent. Das hat er immer noch, aber er trinkt mehr, als er malt. Manchmal hat er sie angerufen, auch nachdem sie sich getrennt hatten. Ich sitze hier und habe zu viele Schlaftabletten genommen, hat er gesagt.«

Er schaut zum Kellner hinüber, der ihn zum ersten Mal anlächelt und ohne Widerspruch zwei neue Bier zapft.

»Sie hat eine Schwäche für die Hoffnungslosen«, sagt Ulrich und kratzt sich am Handrücken.

Wie keiner sonst / ebook
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