Ich esse Brötchen und trinke warmen Kakao im Bett.
Als ich mit dem Frühstück fertig bin, sagt mein Vater, dass ich mich schnell anziehen solle. Ich werde mein Geschenk bekommen.
Diesmal ziehe ich meinen Vater hinterher. Ich weiß zwar nicht, wohin wir wollen, aber es geht nicht schnell genug.
Vielleicht hat er sich das Feuerwehrauto zusammengespart. Das rote Feuerwehrauto aus Metall, mit echtem Blaulicht und echten Spritzen. Man muss nur einen Knopf auf dem Dach drücken. Der Spielzeugladen liegt an der Ecke, dort steht immer eine alte Dame hinter der Theke. Manchmal, wenn mein Vater etwas Kleingeld in der Tasche hat, gehen wir hinein und kaufen Flummis oder Aufkleber. Beim letzten Mal durfte ich das Feuerwehrauto aus dem Regal nehmen.
Oder ein Fahrrad, ein blaues Fahrrad mit Lederfransen am Lenker, die im Wind flattern, wenn man bergab fährt. Fast jeden Tag gehen wir am Fahrradladen vorbei, und jedes Mal hoffe ich, dass es noch nicht verkauft ist. Aber das können wir uns nicht leisten, das weiß ich. Also doch das Feuerwehrauto, das echt spritzen kann.
Eigentlich weiß ich, dass ich beides nicht brauche. Ich werde heute acht Jahre alt, was soll ich mit einem Feuerwehrauto? Es ist auch ziemlich teuer. Aber vielleicht hat mein Vater dafür gespart.
Oder er nimmt es einfach. Die alte Dame könnte ihn dabei ansehen, sie könnten über das Wetter reden oder über die steigenden Milch- und Butterpreise, und gleichzeitig würde er das Auto in den Rucksack stecken, ohne dass sie es merkt. Aber ich weiß, dass er niemals Sachen aus einem kleinen Laden mit einer alten Dame hinter der Theke nehmen würde.
Wir gehen am Spielzeugladen vorbei. Ist es wirklich das Fahrrad? Ich bin fast sicher, bis wir auch am Fahrradladen vorbeigehen.
An der Bushaltestelle fragt mein Vater, ob irgendetwas nicht stimme. Ich schüttle den Kopf.
Der Bus fährt in Richtung Stadtmitte. Es ist ein kalter Februartag, alle tragen Winterjacken oder Mäntel. Mit den Fingern schreibe ich eine Acht auf das beschlagene Fenster.
Mein Vater beugt sich zu mir.
»Heute bekommst du ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk.«
Ich sehe ihn an, versuche zu erraten, was er als Nächstes sagen wird.
»Heute wirst du einen Engel sehen«, sagt er.
Mein Vater führt mich an der Hand über den Strøget. Wir gehen in ein großes Kaufhaus und nehmen die Rolltreppe hinauf zur Cafeteria.
Dort müssen wir lange anstehen, um Kakao, Kaffee und einen Teller mit Gebäck zu bezahlen. Dann finden wir einen freien Tisch in der Ecke, auf dem noch Tassen und Kuchenteller von den vorigen Gästen stehen.
»Das ist ein guter Platz, um Engel zu sehen«, sagt mein Vater und rührt zwei Würfel Zucker in seinen Kaffee.
»Engel folgen den Menschen. Ich weiß nicht, warum, aber sie tun es. Hier sind massenweise Menschen, und außerdem kannst du dabei Kakao trinken.«
Ich schaue mich um, kann aber keinen einzigen Engel entdecken.
»Nein«, sagt mein Vater und lacht, dass der Kaffee überschwappt. »Engel sind keine kleinen, dicken Kinder mit Flügeln auf dem Rücken. Und auch keine großen Männer mit Schwertern, wie im Alten Testament. Engel sind ganz anders – anders als alles andere.«
Mein Vater zieht den Mantel aus und hängt ihn über den Stuhl. Er krempelt die Ärmel hoch und nimmt eine leere Kaffeetasse in die Hand. Dann sieht er mich an, und ich nicke.
»Diese Tasse hier können wir anfassen«, sagt er. »Und wenn wir sie auf den Boden werfen, geht sie kaputt.«
Mein Vater drückt mir die Tasse in die Hand.
»Aber es gibt auch Dinge, die du nicht anfassen kannst.«
Er nimmt den Teller mit dem Gebäck und versteckt ihn unter dem Tisch.
»Kannst du die Teilchen jetzt sehen?« Ich schüttle den Kopf. »Aber du weißt, dass sie hier sind, nicht wahr?«
Er bricht ein Stück ab und gibt es mir.
»Es gibt Dinge in der Welt, die du nicht berühren kannst. Die du nicht siehst, außer du weißt genau, was du suchst. Die meisten haben das vergessen. Oder sie trauen sich nicht, die Augen aufzumachen.«
Wir teilen das Gebäck, und als nur noch Krümel übrig sind, sagt er:
»Trink einen Schluck Kakao. Musst du Pipi? Nein? Gut, dann fangen wir an.«
Er schaut sich um, sucht etwas. Fixiert eine Stelle links vom Ausgang, nicht weit von der Kassiererin, wo Besteck und Servietten liegen.
»Sieh dorthin. Konzentrier dich.«
Mein Blick folgt seinem Finger, ich will ganz sicher sein, dass ich in die richtige Richtung gucke.
»Entspann die Augen«, sagt er. »Sieh hin, ohne etwas Bestimmtes anzuschauen. Wie im Museum.«
Ich sehe genau hin, versuche es wirklich.
»Darf ich blinzeln?« In meinen Augen steht Wasser.
»Natürlich darfst du blinzeln, aber schau weiter dorthin. Sieh, ohne zu sehen. Vergiss, wo wir sind. Vergiss die Kassiererin, vergiss das Geschirrklappern.«
Ich weiß nicht, wie lange wir dort sitzen. Alles, was ich höre, ist die Stimme meines Vaters.
»Suchet, so werdet ihr finden, steht in der Bibel. Aber das stimmt nicht. Wer zu viel sucht, findet überhaupt nichts. Wir suchen hier keine verlorenen Schlüssel. Sieh, ohne zu sehen.«
Ich starre, bis mir die Augen wehtun und die Beine einschlafen. Ich öffne den Mund, will meinen Vater fragen, ob wir nicht heimgehen können. Ob wir vielleicht ein andermal wiederkommen können.
Da geschieht es. Wenn ich nicht wüsste, wonach ich Ausschau halten soll, würde ich es kaum bemerken.
Es beginnt hellblau. Wie Rauch, der über den Köpfen der Leute hängt. Dann wird es größer, das Blau wird dunkler und weniger durchsichtig.
»Da«, flüstert mein Vater.
Das Blau bekommt Arme und Beine. Es ist mitten unter den Menschen, bleibt kurz an ihnen kleben, wenn sie vorbeigehen, lässt sie wieder los und nimmt eine Gestalt an, die nun auch einen Kopf hat. Ein Gesicht mit leerem Ausdruck, weder Frau noch Mann.
Dann ist es plötzlich weg. Besteck klimpert, die Kasse klingelt, und Hunderte von Wörtern schwirren durch die Luft. Der Lärm ist mit einem Mal zurück, und er ist umso lauter.
Mein Vater lächelt, er hat feuchte Augen.
»Ich wusste, dass du es sehen würdest. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
Er hebt mich vom Stuhl und nimmt mich fest in die Arme, meine Beine baumeln in der Luft.
Als wir über den Strøget zurückgehen, fühlt sich mein Kopf merkwürdig leicht an. Im Bus frage ich meinen Vater, ob ich wirklich einen Engel gesehen habe. In der Cafeteria war ich mir ganz sicher, aber nun bezweifle ich es.
»Wer weiß«, antwortet er. »Ich glaube schon. Aber wer weiß. Das Wichtigste ist, dass du etwas gesehen hast.«