Das Haus hinter mir ist dunkel. Ich blieb im Bett, bis ich ganz sicher war, dass alle schlafen. Nun gehe ich den Feldweg zur Kirche hinab, den Schlüssel aus dem Büro meines Großvaters in der Tasche. Das Tor zum Kirchhof quietscht, der Kies knirscht unter meinen Füßen.
Der Schlüssel passt nicht in die große Flügeltür, und ich gehe um die Kirche herum. An der Seite ist eine rote Holztür, in die der Schlüssel passt. Die Sakristei ist kalt und dunkel, das Licht blinkt ein paarmal, bevor es angeht. Ein Tisch an der Wand, eine Kaffeemaschine und ein Schrank, in dem der Talar hängt, mehr ist nicht in dem Raum. Ich betrete die Kirche und taste nach dem Lichtschalter. Ein paar schläfrige Glühbirnen erleuchten den Raum.
Die Wände sind weiß gekalkt. Auf der ganzen Insel habe ich nicht genug Menschen gesehen, um die Hälfte der abgewetzten Kirchenbänke zu füllen. Ich gehe den Mittelgang hinab.
Der gekreuzigte Jesus gleicht dem Kruzifix in meinem Zimmer. Dieselben Augen folgen mir, wie eine Überwachungskamera in einem Kaufhaus.
Ich steige auf die Kanzel und blicke über die leeren Reihen. Hier haben einmal mein Urgroßvater und mein Großvater gestanden, Sonntag für Sonntag.
»Hey«, rufe ich in den Raum.
»Zum Teufel!«, rufe ich, aber ich bekomme keine Antwort. Meine Stimme hallt von den Wänden und klingt lange nach. Ich lege mich im Mittelgang auf den Rücken, spüre die kalten Fliesen unter mir. Von hier kann ich Jesus in die Augen sehen. Aber er blinzelt nicht, so lange ich ihn auch anstarre.
Sein Blick verfolgt mich, als ich die Kirche verlasse.
Nach wenigen Metern auf dem Feldweg fallen die ersten Tropfen, noch ein paar Meter, und der Regen wird stärker, wird zu tausend Zeigefingern, die mir auf Kopf und Schultern trommeln und meine Stiefel durchnässen. Dann kommt der Wind, als wäre der Regen nur ein Vorspiel gewesen.
Es ist der Sturm, den der Ladenbesitzer erwähnte und über den die Fischer redeten, als sie uns Essen brachten. Die letzten Meter lege ich geduckt zurück, der Wind wirft mich um, aber ich stütze mich ab und stehe wieder auf.
Total durchnässt komme ich in meinem Zimmer an. Ich liege im Bett, draußen wird der Sturm immer stärker. Er rüttelt an Dach und Fenstern. Aus seinen Fingern werden Fäuste, die Scheiben klirren.
In den Taschen meiner alten Jacke finde ich Camillas Joint. Ich schraube das Plastikröhrchen auf und halte es unter die Nase. Der süßliche Geruch bringt mich zurück in Camillas Zimmer.
Sie schläft in einem verwaschenen T-Shirt mit einem Totenkopf auf der Brust. In wenigen Tagen werde ich im Büro des Direktors stehen. Ich werde seine Frist nicht einhalten, aber ich werde ihm von den trüben Augen meines Großvaters erzählen, und er wird mich lieben, weil ich ihn nicht zwinge, das zu sein, was er am meisten hasst.
Camillas Bett wird auch noch da sein. Nach dem Sommer will ich aufs Gymnasium. Ich will einen Plattenspieler, einen Stapel LPs und gutes Hasch kaufen. Mit diesen Gedanken schlafe ich ein.