Kasper wartet auf der Straße, ich folge ihm in den Keller. Dort steht eine frische Leinwand auf der Staffelei bereit. Beim letzten Mal habe ich die schwarze Farbe fast verbraucht, aber heute liegt eine frische Tube bereit. Ich frage, woher Kasper sie hat, aber er sieht nicht von seinem Pot auf und schüttelt nur den Kopf. Das Thema ist tabu, es spielt keine Rolle.
Kasper dreht Joints, ich male.
Als ich von der Leinwand aufschaue, schläft er im Sessel, den Mund leicht geöffnet. Ich nehme weiße Farbe und male seinen Umriss.
Er wacht halb auf, sieht mich mit einem Auge an. »Du malst doch nicht etwa mich?« Ich schüttle den Kopf.
»Du musst unbedingt einen Freund von mir kennenlernen«, murmelt er und schläft wieder ein.
Wir sind irgendwo in Vesterbro, vielleicht Frederiksberg, Kasper geht voran.
»Natürlich heißt er nicht wirklich Karlsson, aber er hat sicher nichts dagegen, wenn du ihn so nennst.«
Wir gehen in ein Lebensmittelgeschäft, ich soll etwas mitbringen. Kasper sagt, dass Karlsson Kirschwein und Tabak mag, also kaufe ich beides.
Wir gehen in ein Treppenhaus ohne Sprechanlage und steigen bis zum obersten Absatz. An der einzigen Tür hängt kein Namensschild.
Kasper stemmt die Schulter dagegen und rüttelt am Griff, bis es klickt und die Tür aufgeht. Wir folgen einem schmalen Gang zwischen Dachböden hindurch. Am Ende führt eine kurze Leiter zu einer Dachluke.
Kasper steigt auf die Leiter und öffnet die Luke, Licht dringt durch den Spalt. »Das ist ziemlich kompliziert«, sagt er aus dem Mundwinkel. Er hält einen kleinen Schlüssel zwischen den Lippen.
»Kann ich dir helfen?«
Er schüttelt den Kopf, steckt die Hand durch den Spalt und zieht eine Kette mit einem Vorhängeschloss nach innen.
Wir steigen auf ein Dach mit prächtiger Aussicht über Kopenhagen. Dreißig Meter vor uns stehen ein kleiner Schuppen und ein Liegestuhl.
Ich will hinübergehen, aber Kasper hält mich fest.
»Warte, wenn wir einfach mit der Tür ins Haus fallen, kann wer weiß was passieren.«
Kasper sammelt eine Handvoll Kieselsteinchen auf und wirft einzelne auf das Dach des Schuppens.
»Weiß er nicht, dass wir kommen?«
»Ja, schon. Aber er hat es nicht so mit Datum und Uhrzeit.«
Ein paar Kieselsteine später geht die Tür auf. Ein Mann mit Vollbart tritt hinaus. Er trägt eine Windjacke über zwei Pullovern, die Kapuze ist über die Ohren gezogen. Er ist etwa Mitte zwanzig, aber seine Haut ist rot und wettergegerbt. Er umarmt Kasper und drückt meine Hand.
»Wir bringen Geschenke«, sagt Kasper. Ich halte die Tüte hoch. Der Mann schaut hinein und nickt zufrieden. Dann zeigt er uns die Aussicht: den chinesischen Turm im Tivoli, den Turm des Zoologischen Gartens, den Rundetårn. An klaren Tagen könne man bis nach Schweden sehen, sagt er.
Er zeigt uns die Dachrinne, die er selbst repariert hat. Spät in der Nacht sei er mit einer Taschenlampe hinuntergeklettert und beinahe abgestürzt, aber wenn sie undicht geblieben wäre, hätten sie jemanden hier hinaufgeschickt.
Den Liegestuhl hat er auch selbst geflickt. Dort liegt er im Sommer, mit Gurkenscheiben auf den Augen. Im Winter packt er sich warm ein, sitzt vor seiner Hütte und trinkt Kaffee aus der Thermoskanne.
Dann zeigt er uns die Hütte. »Mein Heim«, sagt er und deutet auf die Isomatte und den Schlafsack in der Ecke, den Gaskocher und die Küchenutensilien, die an Haken an der Wand hängen. Wir setzen uns an einen kleinen Klapptisch, Kasper und ich bekommen die einzigen Stühle, Karlsson setzt sich auf einen Bierkasten. Er öffnet den Kirschwein, und wir trinken aus angeschlagenen Tassen.
»Ich habe Versicherungswesen studiert«, erklärt er. »Ich hatte eine Freundin, habe das Leben genossen. Als ich mit dem Studium fertig war, stand eigentlich nichts im Weg, Kinder zu bekommen.«
Kasper dreht den ersten Joint, er kennt die Geschichte wohl auswendig.
»Als ich eines Tages heimkam, hatte sie alle meine Sachen gepackt. Sie sagte, ich würde sie traurig machen, und dass dies ihre Wohnung sei. Das hatte ich fast vergessen gehabt.«
Er wischt sich Kirschwein von den Lippen.
»Ich ging durch die Straßen, es war Winter. Mein Portemonnaie hatte ich in der Wohnung vergessen, aber ich wollte nicht zurück. Da dachte ich plötzlich an die Nachmittage, die ich als Kind auf dem Dach verbracht hatte. Mein Onkel war Hausmeister und hat mich immer mit hier hinaufgenommen. Wir tranken Kakao und spielten Schwarzer Peter. Auf dem Dachboden fand ich einen Schraubenzieher, und das Schloss war leicht aufzukriegen.«
Es wird dunkel, Karlsson zündet zwei Petroleumlampen an. Er brät Kartoffeln und Würstchen auf dem Gaskocher.
»Die ersten Wochen habe ich nur von altem Brot vom Bäcker gelebt, aber dann wurde mir schwindlig. Ich brauchte ein bisschen Fleisch.«
Karlsson verteilt das Essen.
»Mit den letzten Krümeln fing ich eine Taube. Wie im Zeichentrickfilm, die Taube folgt der Krümelspur bis unter einen Karton, und dann zieht man an der Schnur.«
Kasper beißt von der Wurst ab und stochert mit der Gabel in den Kartoffeln. Als wir fertig sind, kratzt Karlsson die Reste zusammen und stellt sie draußen kalt. Dann setzt er sich wieder auf den Bierkasten, schenkt mehr Kirschwein aus und dreht sich eine Zigarette.
»Ich habe sogar eine Möwe gegessen«, sagt er leise. »Ich war sehr hungrig. Zuerst wollte ich sie fortjagen, aber sie war hartnäckig, und schließlich stand sie unter der Kiste und pickte. Du willst nicht wirklich Möwe essen.«
Ich nicke, glaube ihm.
»Ich stand hier oben, knabberte die Knochen ab und überlegte, ob ich springen sollte. Aber ich wollte es nicht auf leeren Magen tun. Erst wollte ich einen ordentlichen Hotdog mit allem drauf, und am Imbiss ohne Bezahlen davonrennen. An der Würstchenbude traf ich dann Kasper.«
»Wir sind zusammen zur Schule gegangen.« Kasper zündet sich noch einen Joint an.
»Er hat mir Geld geliehen. Ich brauche nicht viel, ich will bloß keine Möwen mehr essen.«
»Das war, bevor ich die Idee mit dem Acid hatte.«
»Ich verkaufe es«, sagt Karlsson. »Den alten Hippies ist es egal, wie ich aussehe. Und sie haben genug Geld, für gute Qualität zu bezahlen.«
»Die billigen Pillen aus Deutschland sind Schrott. Oft nur Kalk und Codein, manchmal auch Rattengift«, sagt Kasper.
»Wir verkaufen nur gutes Acid. Echtes LSD, wie damals bei den Mamas and Papas. Die hatten es immer gläserweise dabei.«
Als wir die dritte Flasche Kirschwein geleert haben, muss ich pinkeln. Ich halte es schon lange ein, weil Karlsson nicht aufhört zu reden.
»Da draußen steht ein Eimer«, sagt er.
»Piss nicht einfach vom Dach. Auch wenn die Versuchung groß ist, lass es bitte sein.«