Petra schrubbt meine Nägel mit einem groben Schwamm, Farbflocken verschwinden im Abfluss.

»Du darfst mich gern malen«, sagt sie. »Sogar nackt. Ich verspreche, dass ich still sitzen werde.«

Ich habe versucht, ihr zu erklären, dass ich nichts Gegenständliches male, keine Menschen, Tiere oder Teekannen.

Sie schrubbt weiter, diesmal fester.

Vielleicht hat sie die Skizzen gesehen, die ich von Kotek angefertigt habe, als das Tier krank war.

Wir folgen dem Kanal.

»Wohin gehen wir?«, frage ich.

»Das ist eine Überraschung«, sagt Petra. Letzte Nacht hat sie mir eine Überraschung versprochen, sie wollte nichts verraten.

Fünfzig Meter weiter öffnet sie die Tür zu einer kleinen Galerie, ein umgebauter Fahrradladen. Eine Frau in den Dreißigern läuft mit einem Notizblock umher, ein junger Mann sitzt vor einem Laptop. Sein Haar ist akkurat zerzaust, er trägt eine Lederschnur um den Hals, die Ärmel seines T-Shirts sind abgeschnitten, damit man seine Tätowierungen sehen kann. Wenn wir Fragen haben, sollen wir uns ruhig an ihn wenden. Dann konzentriert er sich wieder auf den Bildschirm.

Petra nimmt für jeden von uns einen Katalog.

Es gibt drei Räume in der Galerie, in allen ertönt leise elektronische Musik aus Lautsprechern.

Wir gehen von Bild zu Bild. Petra bestimmt, welche wir uns anschauen. Sie neigt den Kopf und fragt, was ich von dem Bild halte. Sie sagt, dass ihr die Farben gefielen.

Der Katalog ist auf Dänisch und Englisch. Der Maler ist nur wenige Jahre älter, als ich mich ausgebe. Trotzdem hat er schon Ausstellungen in London, Wien und Tokio gehabt. Obwohl er auf eine der besten Schulen gegangen ist, wird sein Stil als wild, frei und unverkopft beschrieben.

Er sei mutig, steht dort. Breite Pinselstriche, ohne Furcht vor Konsequenzen.

Der Künstler sagt, er freue sich, in einer kleinen Galerie auszustellen, wo man so dicht an die Bilder herankomme, dass man die Farbe rieche. Er vergleicht es mit Konzerten in kleinen Clubs. Dahinter steht in Klammern, dass er auch in einer Rockband Gitarre spiele.

Stimmt etwas nicht, fragt Petra, als wir die Galerie verlassen.

Ich schüttle den Kopf.

»Sicher?«

»Ja.«

Sie nimmt meine Hand.

»War das eine schlechte Idee, die Ausstellung zu besuchen?«

Wir trinken Kaffee in einem der Cafés am Kanal. Es ist immer noch kalt, aber die Sonne scheint. Wir ziehen die Jacken fest zu und setzen uns nach draußen, wärmen die Hände an den Tassen.

»Ich habe noch eine Überraschung für dich«, sagt Petra. »Ein kleines Geschenk. Oder nenne es, wie du willst.«

Sie schiebt einen Schlüssel über den Tisch. Er ist silbern und sieht neu aus.

»Es ist nur ein Schlüssel«, sagt sie rasch, »damit du mich nicht wecken musst, wenn du nachts vorbeikommst.«

Nach der Arbeit gehe ich über die Brücke und lege mich in Petras Bett, das noch warm ist. Ich schlafe, bis ihre Schicht zu Ende ist. Sie bringt Brot von der Bäckerei im Supermarkt. Es ist trocken, aber sie bekommt es umsonst. Sie hält zwei Hörnchen an ihre Stirn, jetzt sei sie ein Stier. Auf Polnisch heißt Stier byk.

Wir gehen in eine Bar, aber ihre Augen tränen vom Rauch. Als wir die Brücke überqueren, ertappt sie mich dabei, wie ich sie ansehe. Ihre Hände und ihr Körper sind so weiß, dass sie fast in der Dunkelheit leuchtet.

»Ich bin kein Albino«, sagt sie.

»Nein.«

»Albinos haben rote Augen.«

»Wie Vampire.«

»Nein«, sagt sie. »Nicht wie Vampire. Aber vielleicht Werwölfe.«

Kurz vorm Einschlafen höre ich wieder dasselbe Schluchzen wie neulich. Ich taste nach dem Schalter und mache das Licht an. Petra sitzt auf der Bettkante und hält die Hände vors Gesicht. Tränen laufen ihre Arme hinab und sammeln sich unter den Ellbogen.

Sie sieht mich an, dann verbirgt sie wieder ihr Gesicht.

»Du wirst mich verlassen«, sagt sie. Ich lege den Arm um ihre Schulter, aber sie reagiert nicht.

»Nein«, sage ich.

»Vielleicht nicht jetzt, aber bald.«

Ich sinke zurück in den Schlaf.

Wie keiner sonst / ebook
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