Mein Vater sitzt am Lichtpult. Er schaut auf die Uhr und legt die Hand auf die Knöpfe.

Der Saal unter uns ist wie immer halb leer. Die Leute haben längst fertig gehustet, aber der Vorhang ist noch nicht aufgegangen.

Mein Vater schaut wieder auf die Uhr und bittet mich, nach unten zu gehen und nachzusehen, was los sei.

Ich laufe durch die schmalen Gänge neben dem Saal, die das Publikum nie sieht. Mein Vater nennt sie die Adern des Theaters. Die Enge und die abblätternde Farbe erinnern mich an den Stripclub.

Vor den Garderoben stehen Schauspieler und Bühnenarbeiter und flüstern miteinander.

Eine Tür geht auf, der Theaterdirektor kommt heraus.

»Was sollen wir tun?«, fragt er.

»Warum musstest du auch …«

Kims Arme hängen schlaff herab.

»Soll ich mit ihr reden, vielleicht …«

»Ich glaube, du hast schon zu viel gesagt.«

»Das weiß doch jeder, dass sie sich durch alle Betten geschlafen hat, um die Filmrollen zu kriegen. Das war doch völlig normal damals.«

Der Direktor ist kurz vorm Platzen, doch dann seufzt er resigniert und kramt in den Taschen nach einer Zigarette. Eine Rauchwolke hängt unter der niedrigen Decke.

Sara geht vor mir in die Hocke. Sie legt die Hände auf meine Schultern und flüstert mir ins Ohr. Ich sehe sie an, sie nickt und gibt mir einen sanften Schubs. Ich gehe zur Tür, die Schauspieler verstummen, ich spüre ihre Blicke. Noch ein Schritt, und ich habe die Hand auf der Klinke. Noch einmal sehe ich Sara an, sie lächelt und nickt. Ich gehe hinein und schließe die Tür hinter mir.

Margrethe dreht sich um und will eine Haarbürste nach mir werfen, hält aber mitten in der Bewegung ein. Sie ist rot im Gesicht, als hätte sie die Luft angehalten. Schwarze Striche laufen an ihren Wangen herab. Sie lässt sich in den Stuhl am Schminktisch fallen.

Ich setze mich neben sie.

»Das ist doch nur Theater«, sage ich, wie Sara mich gebeten hat. Margrethe sieht mich verwundert an, dann lacht sie. Sie lacht, bis sie hustet, und dann lacht sie noch mehr.

»Ja, mein kleiner Freund, es ist nur Theater.« Sie schaut in den Spiegel und zündet sich eine Zigarette an.

»Na, was meinst du, sollen wir gehen?«

Ich nicke. »Nur Theater«, wiederholt sie für sich und legt ihr Schminkzeug zurecht.

»Die anderen sind Arschlöcher.« Sie wischt die verlaufene Schminke ab. Ihre Hände arbeiten wie von selbst. »Wie die meisten Schauspieler, da kann man nichts machen.« Sie taucht ein Stück Watte in einen Topf, entfernt Schicht für Schicht, zeigt kurz nackte Haut, bevor sie die nächste Schicht aufträgt. Sie träufelt eine bläuliche Flüssigkeit in ihre Augen und blinzelt ein paar Mal. Dann lächelt sie ihr Spiegelbild an und dreht sich zu mir um. In der kurzen Zeit hat sie ein völlig neues Gesicht bekommen, ohne eine Spur von Tränen.

Ich sitze in der dritten Reihe, Margrethe wollte mich gern im Saal sehen.

Bei den ersten Malen hat mein Vater um eine Eintrittskarte für mich gebeten, inzwischen wissen wir, dass dies nicht nötig ist.

Der erste Akt ist langweilig und dauert ewig. Die Schauspieler lächeln, trinken Tee und schauen über ein Feld, das irgendwo vor der Bühne liegt. Am Ende streiten sie ein bisschen, gebrauchen aber immer noch schöne und kluge Worte, obwohl sie wild gestikulieren.

Sara heißt Olga in dem Stück. Das Rampenlicht betont sie von Mal zu Mal besser.

In der Pause trinke ich Zitronenlimonade, ich brauche mich nicht an der Bar anzustellen.

»Ist der kleine Junge da allein im Theater?«, fragt jemand, und ich tue, als hätte ich nichts gehört.

Nach der Pause sind die Wände dunkelgrau und schmuddelig. Jetzt haben sie alles verloren. Der Tisch in der Mitte ist versaut, der Boden sieht aus, als wären tausend dreckige Stiefel darübergetrampelt. Die Familie wohnt jetzt in einem Keller. Die Schauspieler sehen arm und traurig aus, aber ich glaube ihnen nicht, sie verstecken zu viele Kilo unter den weiten Kostümen. Sara ist die Einzige, die aussieht, als hätte sie schon einmal hungern müssen. Wenn sie auf dem schäbigen Bett sitzt und leise schluchzt, will ich auf die Bühne klettern und sie in die Arme nehmen.

Ich trinke Saft, mein Vater spielt Billard, und alle Schauspieler kommen zu mir und klopfen mir auf die Schulter. Kim und Margrethe sitzen am Ende des Tisches, nach der Vorstellung sind sie Arm in Arm die Straße entlanggegangen. Jetzt sehen sie aus wie alte Freunde. Kim sagt etwas, das Margrethe zum Lachen bringt. Sie hält die Hand vor den Mund, er breitet ein Kartenspiel vor ihr aus.

»Das hast du prima gemacht heute«, sagt Sara zu mir. »Schauspieler trinken viel, wenn es gut gelaufen ist«, sagt sie. »Dann feiern sie. Aber wenn sie vor leeren Sälen spielen, wie wir jetzt, dann trinken sie noch mehr und schimpfen und schreien einander an.«

Mit einem lauten »Klack« stößt mein Vater eine Billardkugel an, die eine andere trifft. Sara schaut an die Decke, ich folge ihrem Blick.

»Ich hätte in einem Schuhladen arbeiten sollen«, sagt sie. »Schnürsenkel verkaufen und den Leuten auf die Schuhspitzen drücken, wenn sie nicht sicher sind, ob die Schuhe passen.«

Sie schüttelt sich, lächelt und schaut meinen Vater von hinten an. Er lehnt sich über den Billardtisch und stößt eine weitere Kugel an, ich höre, wie sie an die Bande prallt, und bin fast sicher, dass er sie einlocht.

»Glaubst du, er wird gewinnen?«, fragt Sara.

»Ja«, antworte ich.

Wie keiner sonst / ebook
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