Der Streit beginnt im Schlafzimmer, wo Karin sich schminkt, und geht auf der Treppe weiter, im Wohnzimmer und der Küche, und dann wieder im Schlafzimmer. Wenn sie so streiten, bin immer ich der Grund. Ich weiß es, obwohl ich nur einzelne Wörter aufschnappe und nie meinen Namen höre. Ich gehe zu Clara, sie sitzt in ihrem Zimmer auf dem Boden, umgeben von Plastikponys.

Ihre Eltern stehen nun unten an der Treppe, die Worte dringen bis zu uns hinauf, wütend und unterdrückt. Die Ponys hüpfen im Zimmer umher und schütteln ihre roten Mähnen. Clara summt laut vor sich hin.

Es kommt, wie es kommen muss. Die Babysitterin hat wegen Liebeskummer abgesagt, und Karins Mutter hat gerade eine Thromboseoperation gehabt. Wenn sie die tausend Kronen für die Eintrittskarten nicht zum Fenster hinauswerfen und heute Abend ins Theater wollen, muss ich auf Clara aufpassen.

Michael wird vorgeschickt. Ich höre es an den Schritten, sie sind schwerer als Karins, aber dennoch geschmeidig. Jeden Sonntag läuft er lange Touren im Wald und kommt in eng anliegenden, durchgeschwitzten Acrylklamotten zurück.

Er legt den Arm kameradschaftlich um meine Schulter, wie er es schon öfter versucht hat, zieht ihn aber wieder zurück. Er hat mich bei dem Streit verteidigt.

»Ist es in Ordnung?«, fragt er, wohl wissend, dass ich alles gehört habe. »Auf dem Küchentisch liegt Geld. Ihr könnt euch Pizza bestellen. Hol dir ein Bier aus dem Kühlschrank, wenn du willst.« Ich nicke, Michael zögert und geht schließlich die Treppe hinunter.

»Na, Clara«, sage ich zu meiner Schwester. »Sollen wir die Bude anzünden, wenn deine Alten weg sind?«

Sie schaut von ihren Ponys auf, lächelt.

»Was ist eine Bude?«, fragt sie.

Ich gehe mit ihr zur Haustür, damit sie ihren Eltern winken kann.

Karin trägt ein dunkles Kleid aus glänzendem Stoff und eine Perlenkette, die zu ihren Ohrringen passt. Michael trägt einen Anzug, aber keinen Schlips.

»Hast du die Eintrittskarten?«, fragt er.

»Hast du die Autoschlüssel?«, fragt sie.

Karin lächelt uns nervös an. »Lasst das Telefon einfach klingeln. Der Anrufbeantworter ist an.«

Michael schickt mir einen vertrauensvollen Blick.

Dann eilen sie hinaus zu dem dunkelblauen Kombi. Karin klemmt ihr Kleid in der Autotür ein, öffnet sie und schlägt sie wieder zu. Die Scheinwerfer leuchten auf, und sie sind weg.

Ich nehme meine Schwester mit in die Küche. Die Pizzareklame ist am Kühlschrank mit einem Magneten befestigt, einem Heiligenbild, das von einer Reise nach Rom mitgebracht wurde.

»Man kann doch keine Ananas auf Pizza legen. Willst du vielleicht noch Äpfel und Birnen drauf, oder eine Banane? Eine große Bananenpizza? Eine Affenpizza?« Clara stemmt die Arme in die Seiten, wie ihre Mutter, sie gibt nicht nach.

»Ich will eine Prinzessinnenpizza.«

Als es an der Tür klingelt, läuft sie hinaus und hüpft auf und ab. Für sie ist es immer noch unglaublich, dass man ein paar Zahlen in den Telefonhörer spricht und die Pizza wie von selbst kommt.

Beim Essen schauen wir einen Zeichentrickfilm, den Clara schon mindestens zwanzig Mal gesehen hat. Als er zu Ende ist, sehen wir uns den Anfang von Der Exorzist an, bis Clara sich nicht mehr traut, hinter dem Kissen hervorzugucken. Ich zeige ihr, wo ihre Eltern die Süßigkeiten verstecken, die guten mit den vielen Farbstoffen und E-Nummern.

Nachdem sie sich vollgestopft hat, gehe ich mit ihr ins Badezimmer.

»Alle müssen Zähne putzen«, sage ich. Sie schüttelt den Kopf, will den Mund nicht aufmachen.

»Hast du schon mal eine Prinzessin mit schwarzen Zähnen gesehen?«

»Ja, eine Negerprinzessin.«

»Die haben doch keine … Jetzt mach schon, sonst pinkle ich dich voll.«

Sie sieht mich an, kichert und nimmt die Zahnbürste.

Ich helfe ihr in den Schlafanzug.

Dann lese ich ihr Der kleine Prinz vor, aber für ihren Geschmack gibt es darin zu wenige Prinzessinnen, also entscheiden wir uns für drei Bilderbücher. »Ich kann nicht schlafen«, sagt sie, als ich die letzte Seite umgeblättert habe. Sie sieht mich mit großen Augen an.

»Soll ich noch ein Buch vorlesen?«

»Ich kann nicht schlafen.« Sie lächelt, weiß genau, dass es meine Aufgabe ist, etwas dagegen zu tun. Ich schaue auf die Uhr, noch Stunden, bis Karin und Michael zurückkommen.

Ich hebe sie aus dem Bett und ziehe ihr einen warmen Pullover, eine Hose und eine Winterjacke über den Schlafanzug.

Draußen ist es kalt und dunkel, sie drückt sich fest an mich, und wir gehen langsam die Straße entlang.

Ein paar Häuser weiter bleibt sie stehen und zeigt auf ein großes, weiß verputztes Haus. Ich kenne das Spiel.

Ich frage: »Bist du sicher, dass du das hören willst?«

Sie nickt.

»Und du versprichst, es niemandem zu erzählen?«

Sie nickt.

»Also. Die, die da wohnen, sind vor einigen Jahren mit einem Raumschiff hier gelandet. Sie sind knallgrün, verkleiden sich aber als echte Menschen. Eigentlich wollten sie nach Kopenhagen, aber sie haben die Karte falsch gelesen. Ihr Raumschiff steht in der Garage, sie arbeiten jedes Wochenende daran, weil sie wieder heimwollen.«

Wir gehen weiter, und nach einer kurzen Pause zeigt sie wieder auf ein Haus.

»Die da. Bist du ganz sicher, dass du es wissen willst?«

Sie drückt meine Hand.

»Okay, aber ich hab dich gewarnt.« Clara schaut mich neugierig an.

»Die Geschichte ist ziemlich eklig. Aber du bist ja ein großes Mädchen. Also … Letztes Weihnachten konnten sie keine Ente für das Festmahl bekommen. Sie war überall ausverkauft. Da haben sie den Hund des Nachbarn gegessen. Mit Karamellkartoffeln und Rotkohl. Am nächsten Tag haben sie die Knochen abgenagt. Jetzt hoffen sie, dass niemand es herausfindet.«

Wir gehen weiter, und Clara zeigt auf weitere Häuser.

Ich will gerade den Schlüssel aus dem Schloss ziehen, als das Telefon klingelt. Clara ist schneller als ich. Sie reicht mir den Hörer, als ich ins Zimmer komme.

Die Frau am anderen Ende sagt, sie sei meine Großmutter. Sie spricht jedes Wort überdeutlich aus, als könnte ich sie sonst nicht verstehen.

Sie sagt, sie habe schon oft angerufen, aber nie Glück gehabt.

Clara schaut mich fragend an, ich winke ihr, sie soll auf den Flur gehen und ihre Jacke ausziehen. Die Frau am Telefon sagt, sie müsse mich sehen, es sei wichtig. Als Clara zurückkommt, stehe ich noch immer mit dem Hörer in der Hand da.

»Stimmt was nicht?«, fragt sie.

Ich schüttle den Kopf.

Ich liege neben Clara und blicke auf ihre geschlossenen Augen. Ihre Hände greifen nach etwas, das es nicht gibt.

Später sitze ich auf dem Sofa und warte auf Karin und Michael.

Ich kann mich kaum aufs Fernsehen konzentrieren.

Dann höre ich den Schlüssel in der Tür, beide lachen, sie haben ein paar Gläser Wein intus und sind sicher erleichtert, dass keine Autos mit Blaulicht auf dem Dach vor der Tür stehen. Karin fragt, ob jemand angerufen habe. Ich schüttle den Kopf.

Wie keiner sonst / ebook
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