Eines Morgens sagt mein Vater, die Sommerferien seien nun vorbei, es sei Zeit für die Schule.

»Nun kommt die zweite Klasse. Du musst damit rechnen, dass es viel schwieriger wird.«

Ich bekomme ein neues Fach auf dem Stundenplan, Geschichte. Wir beginnen mit dem Zweiten Weltkrieg. Das sei die beste Zeit, um den Geschichtsunterricht zu beginnen, sagt mein Vater.

Wir haben keinen Tisch, deshalb liegen wir auf dem Bett. Wenn mein Vater erzählt, sehe ich über dem Hoteldach fauchende Messerschmitts, die Rauchfahnen hinter sich herziehen.

An der Wand sehe ich Tiger-Panzer über grüne Hügel rollen, sie sind riesengroß und pflügen das Gras um. Aus ihren Kanonen kommen gelbe Flammen.

Eine ganze Woche brauchen wir für Hitler. Wir gehen in die Bibliothek und sehen uns Fotos von Hitler an, der eine Rede hält. Hitler, der den Arm in die Höhe streckt und mit allen Fingern in den Himmel zeigt. Hitler, der einen Hirsch streichelt. Mein Vater blättert weiter. Verwirrende Bilder. Zuerst erkenne ich nicht, was es sein soll, es sieht aus wie schwarze Schatten, die miteinander verknäult sind. Das sind Menschen, sagt mein Vater. Erst da sehe ich Arme und Beine. Nackte Körper, dünn wie die Strichmännchen, die ich als Kleinkind gemalt habe. Ich muss weinen. Mein Vater holt mich auf der Straße vor der Bibliothek ein.

»Es hat einen Grund, warum ich dir das zeige«, sagt er und wischt meine Tränen ab.

»Wenn man die Welt sieht, wenn man sie wirklich sieht und nicht die Augen verschließt, wie der da drüben …« Mein Vater zeigt auf einen Mann auf der anderen Straßenseite. »Oder die mit der Einkaufstasche. Wenn man die Dinge sieht, wie sie sind. Dann trägt man auch Verantwortung. Dann ist man gezwungen, etwas zu tun.«

Mein Vater nimmt meine Hand, und wir gehen weiter. »Die Leute haben Hitler gesehen«, sagt er. »Sie haben seine Reden gehört. Er war ein fantastischer Redner. Kannst du dich an den Film mit ihm erinnern, den wir uns angeschaut haben?« Ich nicke, wir haben ihn auf einem kleinen Bildschirm zusammen mit dem Bibliothekar angeguckt. »Im Grunde sieht er lustig aus. Ein kleiner, zorniger Mann.« Ich musste lachen, als wir den Film sahen.

»Aber wenn die Menschen dort in der Masse standen, sahen sie Hoffnung. Sie liebten ihn. Auch wenn es hinterher keiner zugeben wollte.« Wir gehen zum Kiosk an der Ecke, und ich darf mir ein Eis aussuchen. Ich wähle ein großes, aber nach ein paar Bissen bekomme ich nichts mehr hinunter.

Wie keiner sonst / ebook
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