Ich sitze auf der Ladefläche. Wir fahren an der Haltestelle vorbei und weiter hinaus, bis wir die Einzigen auf der Straße sind, bis die Straße holprig wird und Schotter unter den Reifen knirscht. Mein Vater hält an, damit ich pinkeln kann, dann fahren wir weiter, bis wir an ein altes, verrostetes Tor kommen. Dahinter beginnt ein Weg, an dessen Rändern hohe Bäume stehen. Mein Vater schließt das Tor hinter uns. Das Laub der Bäume ist so dicht, dass es einem grünen Zaun gleicht. Wir fahren, bis ich die Straße nicht mehr sehen kann. Dann kommen wir zwischen den Bäumen hervor. Das Haus vor uns sieht aus wie aus einem Cowboyfilm, es hat mehrere Etagen und ist aus breiten Brettern gebaut. Es könnte einem reichen Rinderfarmer gehören.
»Du solltest wissen, dass die Dame, die hier wohnt«, sagt mein Vater, als er das Fahrrad an einen Baum lehnt, »ein bisschen anders aussieht.«
Ich weiß nie, wie er seine Jobs bekommt, irgendwann hat er sie einfach. Genau wie diesen.
Wir gehen die Stufen zur Terrasse hinauf, die Bretter knarren unter unseren Füßen. Als wir vor der Haustür stehen, streicht mein Vater sein langes Haar zurück, wischt sich den Mund ab und mustert mich eindringlich. Dann nickt er. Er klopft drei Mal an und öffnet die Tür. Wir gehen durch eine große Halle in ein Zimmer mit Spitzengardinen und Porzellanfiguren. Mein Vater legt die Hand auf meine Schulter, und wir warten einen Augenblick, bis die alte Dame aus der dunkelsten Ecke des Zimmers hervortritt. Ihr Gesicht ist irgendwie falsch, wie verzerrt, mitten auf der Stirn sitzen zwei Menschenaugen. Ich muss fast weinen, spüre aber die feste Hand meines Vaters auf der Schulter. Ich schaue nicht weg, hoffe, dass er stolz auf mich ist. »Hallo«, sagt die Dame und beugt sich zu mir. Ich habe Angst, dass sie meine Hand nehmen will. Ich glaube, man hört mein Herz schlagen, es muss einen Höllenlärm machen in dieser stillen Stube, weit weg von allen Autos und den anderen Menschen.
Dann dreht sie sich um, es ist eine Erleichterung, nur ihren Rücken zu sehen. Wir folgen ihr auf die Terrasse.
»Hier habe ich als Kind gespielt«, sagt sie. Wir schauen über eine ungepflegte Wiese, an deren Rand dichte Büsche und Bäume stehen.
»Ich kannte den Garten am allerbesten. Bevor er zugewachsen ist, natürlich.«
Ich höre einen schabenden Laut, wahrscheinlich kratzt sie sich.
»Ich möchte, dass du mir einen Weg baust. Es muss kein schöner Weg sein. Nicht alles Schöne ist auch gut. Ich will nur spazieren gehen, ohne mir den Hals zu brechen. Glaubst du, du kriegst das hin?«
»Natürlich.« Mein Vater klopft ihr auf die Schulter. »Aber es wird eine Weile dauern.«
Am Schatten der alten Dame kann ich erkennen, dass sie nickt.
»Und es wird kein gerader Weg. Er soll sich winden wie die alten Bäume.«
Wieder nickt der Schatten.
»Deshalb habe ich dich gerufen.«
Die alte Dame ist wieder hineingegangen, und ich folge meinem Vater rund um das Haus. Ich stolpere über die dicken, gelben Grasbüschel. Mein Vater öffnet den Gartenschuppen, und wir hören, wie viele kleine Tiere vor dem Licht flüchten. An der Wand hängt Werkzeug. Mein Vater nimmt eine Motorsäge vom Haken und fährt mit den Fingern über das Gehäuse.
»Deutsches Fabrikat«, sagt er. »Über fünfzig Jahre alt. Das Beste, was es gibt.« Er poliert das Markenzeichen mit dem Ärmel, ein Bär mit großen Klauen und gefletschten Zähnen.
»Niemand stellt heute noch so ein Werkzeug her. Allein die Säge ist so viel wert wie ein moderner Kleinwagen.«
Er schraubt den Tankdeckel auf, zieht eine kleine Flasche aus der Tasche und schüttet den Inhalt in den Tank.
»Wollen wir wetten, dass sie startet?« Er zieht an der Schnur, die Säge hustet und springt an.
Mein Vater ist der Einzige im Restaurant ohne Anzug, ich bin der Einzige in kurzen Hosen. Der Kellner sieht uns merkwürdig an, bis wir das Teuerste von der Karte bestellen. Zwischen Vorspeise und Hauptgericht zählt mein Vater die Scheine. »Unser Vorschuss«, flüstert er und trinkt seinen Rotwein aus. Dann bestellt er noch eine Limonade für mich.
»Du darfst nie sparen«, sagt er. »Na ja, außer, wenn du etwas sehr gern haben möchtest. Ein Fahrrad zum Beispiel. Auf ein Fahrrad kannst du sparen. Aber Geld ist nichts zum Aufheben. Leute, die Geld verstecken, werden unglücklich. Gib es aus, es kommt schon wieder.«
Einmal hatte ich ein Fahrrad. Ich denke daran zurück, während ich aus einer klitzekleinen Schale Suppe esse, in der eine Art Pilz schwimmt, die ich noch nie gesehen habe. Ich hatte ein Fahrrad, aber dann mussten wir weiter in eine andere Stadt. Wir putzten es, ölten die Gangschaltung und pumpten die Reifen auf. Dann stellten wir es ohne Schloss an eine Kreuzung.
Nachts träume ich von der alten Dame. Sie öffnet den Mund, und ein Käfer krabbelt zwischen ihren Lippen hervor. Er beschnuppert die Welt, wackelt mit den Fühlern, dann stößt er sich von ihren Zähnen ab. Er schwebt einen Augenblick in der Luft, dann öffnet sich der dunkle Panzer, und die Flügel kommen zum Vorschein. Hinter ihm folgen noch mehr Käfer. Sie schwirren um ihren Kopf. Ihre Augen sitzen tief in der Stirn, zwei schwarze Knöpfe. Ich weiß nicht, ob sie weint oder lacht, ich glaube, sie versucht zu lachen.