Ein schabender Laut an der Tür weckt mich.
Wie eine Maus, die mit scharfen Nagezähnen an der Tür knabbert. Ich versuche, weiterzuschlafen, aber das Geräusch hört nicht auf. Ich rüttle an meinem Vater, bis er aufwacht, und stehe dicht hinter ihm, als er die Tür öffnet.
Draußen steht ein Mann mit einem Schlüssel in der Hand.
Es dauert eine Weile, bis ich den Mann mit dem Anzug und dem weißen Hemd aus dem Speisesaal wiedererkenne. Jetzt sieht er aus, als hätte er mit wilden Hunden gekämpft.
»Ich hab die Schnauze voll«, sagt der Mann. »Das kotzt mich alles so an.«
Er kratzt sich mit dem Schlüssel am Kopf. »Aber das ist mein Zimmer.«
»Welches?«
»212.«
»Das hier ist 112, Sie müssen eine Treppe weiter hoch.«
Der Mann schwankt kurz auf der Stelle. Dann geht er Richtung Treppe, aber nach ein paar Schritten stößt er gegen die Wand und bricht zusammen. Als er wieder auf die Beine gekommen ist, steckt er den Schlüssel ins nächstbeste Türschloss.
Mein Vater steigt in die Hose, zündet sich eine Zigarette an, raucht ein paar Züge und wirft sie in eine halb leere Kaffeetasse.
Auf dem Korridor versucht immer noch der Mann, die nächste Tür aufzuschließen, aber anstelle des Schlüssellochs trifft er nur die Wand. Mein Vater legt den Arm um ihn und führt ihn zur Treppe.
Auf der fünften Stufe lässt sich der Mann niedersinken und umklammert seine Knie.
»Wir könnten ihn in einen Teppich wickeln«, sagt mein Vater und lacht. Dann richtet er den Mann wieder auf und schiebt ihn vor sich her. Vor dem Zimmer Nummer 212 nimmt ihm mein Vater den Schlüssel aus der Hand und schließt auf. Im Zimmer sind überall Flaschen, große Flaschen, die Kinder gemacht und massenweise kleine Flaschen geboren haben. Zwischen ihnen liegen dicht beschriebene, zerknitterte Zettel. Mein Vater kippt das Fenster und hilft dem Mann ins Bett, er zieht ihm die Schuhe aus und wirft ihm die Decke über.
Am nächsten Tag wachen wir spät auf. Unter uns summt die Straße vor Autos und Menschen. Wir gehen zum Bäcker und kaufen Frühstück, das wir auf einer Bank an den Seen essen. Als wir satt sind, holt mein Vater eine Tüte mit altem Brot aus der Tasche, und wir füttern die Enten. Heute spielen wir »Schwäne abwerfen«, ein Spiel, das wir selbst erfunden haben, weil die Schwäne sich schöner finden als die anderen Vögel, und weil sie uns anzischen und mehr Brot verlangen. Wir bewerfen sie mit trockenem Baguette. Die meisten Punkte bekommt man, wenn man das Brot so wirft, dass es zwischen den Flügeln liegen bleibt.
Wir gehen zurück zum Hotel und sehen nach dem Mann in Zimmer 212. Die Tür steht offen, er sitzt auf dem Bett. Er hat Hemd und Schlips an, aber keine Hose. »Reiß dich zusammen«, sagt mein Vater, hebt seine Hose vom Boden auf und wirft sie ihm zu.
Er braucht zehn Minuten, um die Schuhe zu schnüren, tut aber, was mein Vater sagt. Ohne Protest putzt er die Zähne und spritzt sich Wasser ins Gesicht.
Mein Vater sieht im Schrank nach und wühlt im Koffer des Mannes. Er ist voller zerknüllter Zettel, genau wie der Boden des Zimmers.
»Hast du nichts anderes zum Anziehen?«
»Ich hatte, aber …«
»Nicht mehr?«
»Nein. Ich weiß nicht, wo es hingekommen ist.«
Wir gehen die Straße entlang, mein Vater muss den Mann mehrmals stützen und in die richtige Richtung lenken. Im Tageslicht sieht er noch schlimmer aus als gestern. Wir kommen zu einer kleinen Wäscherei, hinter der Theke sitzt ein Mann und telefoniert. Seine Hemdsärmel sind aufgekrempelt, auf dem Unterarm hat er eine Tätowierung, eine Frau im Bikini. Er sieht den Mann im schmutzigen Anzug und telefoniert weiter. Wahrscheinlich hofft er, dass wir ungeduldig werden und weiterziehen, aber wir bleiben stehen, bis er auflegt.
»Wie lange dauert ein Anzug?«, fragt mein Vater.
»Bis nächste Woche. Mindestens.« Mit den Augen sagt er: Bitte geht weiter.
Mein Vater lehnt sich über die Theke.
»Ich kenne diesen Herrn nicht besonders gut, wir wohnen nur im selben Hotel. Aber ich weiß, was es heißt, in der Scheiße zu stecken.«
Der Mann hinter der Theke kratzt sich an der Tätowierung.
»Der Herr hier arbeitet für eine Firma in Jütland. Er sollte einen wichtigen Kunden treffen und mit unterschriebenen Verträgen zurückkehren. Dann trifft er die falsche Frau und kriegt in einem Hinterhof eine übergezogen. Er hat alle wichtigen Papiere und fast alles Geld verloren. Nun hat er auch sein letztes Geld versoffen, um darüber hinwegzukommen.«
Der Mann im Anzug richtet sich auf. Er glaubt die Geschichte meines Vaters wohl selbst.
»Natürlich traut er sich so nicht heim nach Jütland. Und den Kunden kann er auch nicht treffen … Du siehst ja selbst, wie er aussieht.«
Der Mann hinter der Theke nickt. Plötzlich dauert es nur eine gute Stunde, den Anzug zu reinigen. Wir warten in der Wäscherei, ich sehe die nackten Knie des Mannes hinter einem Vorhang herausgucken. Als der Anzug fertig ist, soll mein Vater sein Geld steckenlassen. »Der geht aufs Haus.«
Wir kommen aus der Wäscherei, der Mann trägt seinen Anzug, das Hemd ist wieder weiß und frisch gebügelt. Er geht erhobenen Hauptes, der Anzug dampft in der kalten Luft.