Wir feiern Heiligabend, als die Sonne hoch am Himmel steht. Wir sitzen auf dem Bett und essen Ente. Dazu gibt es Karamellkartoffeln und Rotkohl aus zwei Alu-Boxen.

Den Weihnachtsbaum hat mein Vater über die Hintertreppe hinaufgeschafft. Wir tanzen um ihn herum und singen Weihnachtslieder. Dann packe ich mein Geschenk aus vielen Lagen Weihnachtspapier aus. Es ist ein ferngesteuertes Boot. Morgen werden wir es fahren lassen.

Mein Vater deckt mich zu, er muss zur Arbeit. Ich frage, ob er nicht bleiben könne. Nur ein bisschen. Er soll mir noch einmal sagen, wo auf einem Schiff Backbord und Steuerbord sind, ich glaube, ich habe es vergessen.

Er sagt, dass an den Feiertagen besonders viele Männer kämen, um nackte Frauen zu sehen. Er weiß nicht, warum, vielleicht seien sie einsam. Aber sie gäben viel Trinkgeld. Er küsst mich auf die Stirn und schließt die Tür hinter sich.

Die nächsten Tage hat mein Vater frei, und wir lassen den ganzen Tag lang mein Boot fahren, machen nur eine Mittagspause oder gehen zwischendrin zum Kiosk, um neue Batterien zu kaufen. Ich lerne, wie ich das Boot gegen den Wind drehe, ohne dass es umkippt.

Als wir zurück ins Hotel kommen, läuft meine Nase, und meine Wangen brennen vor Kälte. Selbst im Schlaf sehe ich das Boot vor mir. Auf dem Deck stehe ich. Das Boot ist zwar nicht größer geworden, aber ich bin geschrumpft. Mit Vollgas fahre ich an einer Ente vorbei, und fast stoße ich gegen eine riesige Bierflasche, die im schwarz-grünen Wasser dümpelt.

Laute Rufe und hektische Schritte im Korridor wecken uns auf. Mein Vater und ich verlassen schnell das Zimmer, nur in T-Shirts und Unterhosen. Wir folgen dem Strom der Menschen. Im Treppenhaus sehen wir überrascht, dass alle nach oben anstatt nach unten laufen. Wir laufen hinterher, der zweite Stock ist voller Menschen. Alle reden durcheinander, mein Vater nimmt meine Hand, und wir drängeln uns durch. Die Tür zur 212 steht offen. Mein Vater bittet mich, draußen zu warten, und ich höre, wie eine Flasche an der Wand zerschmettert.

»Lasst mich in Ruhe«, ruft jemand von drinnen. Die Stimme ist seltsam heiser, aber ich bin sicher, dass es der Mann mit dem Anzug ist.

Mein Vater stellt sich in die Tür.

»Der da«, ruft die Stimme. »Ich will nur mit dem da reden.«

Mein Vater geht hinein, und ich verliere ihn aus den Augen. Die Leute schubsen mich herum und stellen sich auf Zehenspitzen, um besser sehen zu können. Ein Raunen geht um, Minuten vergehen, dann steht ein Mann mit orangefarbener Kleidung in der Tür. Er bittet die Leute, zur Seite zu treten, erst freundlich, dann bestimmt. Er trägt das Fußende einer Bahre. Die Leute quetschen sich an die Wände. Als die Bahre an mir vorbeigetragen wird, erkenne ich den Mann, er trägt das Jackett, aber keine Hose. Die Ärmel sind hochgekrempelt, die Arme verbunden. Mein Vater hält seine Hand, lässt ihn nicht los, obwohl kaum Platz im Korridor ist. Ich folge ihnen die Treppe hinunter. Sie schieben die Bahre in den Krankenwagen, schließen die Tür, und der Wagen fährt los. Mein Vater hält mich fest im Arm, der Krankenwagen verschwindet um die Ecke.

Wie keiner sonst / ebook
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