Als wir im Hotel einzogen, standen etliche Plastiktüten an den Wänden. Ich spielte auf dem Boden, die Kleiderbügel aus dem Schrank waren Schiffe, die um die Wette über den Teppich segelten. Mein Vater sagte: »Sei vorsichtig mit der da«, und zeigte auf eine der Tüten. »Ich glaube, das ist die mit dem Porzellan.«
Ich wache auf, weil die Tür zufällt. Mein Vater ist früh aufgestanden, und wieder steht eine Tüte weniger an der Wand. Langsam leert sich das Zimmer. Er bringt ein Comicheft für mich und einen Stapel Zeitungen.
Wir essen belegte Brote und krümeln Röstzwiebeln ins Bett.
»Ich dachte, wir würden etwas mehr für die Sachen bekommen«, sagt er.
Jetzt habe ich viel Platz zum Spielen.
Die Wände sind dunkelrot, die Lampen hinter buntem Glas oder Plastikpalmen versteckt. Draußen scheint die Sonne, aber hier drinnen könnte es Mitternacht sein.
Mein Vater hilft mir auf den Barhocker, meine Füße baumeln hoch über dem Boden.
»Du musst nicht stark sein für diesen Job«, sagt der Mann hinter der Bar. »Das Letzte, was ich brauche, ist noch so ein dummer Muskelprotz voller Steroide. Von denen gibt es genug.«
Alle Stühle liegen mit den Beinen nach oben auf den Tischen. Am hinteren Ende des Raumes ist eine kleine Bühne.
»Du weißt ja gar nicht, wie viele ich schon feuern musste. Manche schon nach einem Tag. Alles Männer mit viel Muskeln und wenig Hirn – und noch kleineren Schwänzen.«
Er sieht mich erschrocken an. »Oh, Entschuldigung. Aber was solls, wir sind ja unter Männern, stimmts?«
Er schenkt mir ein Glas Orangensaft ein.
»Sicher, dass du keinen Wodka dazu möchtest?« Er lacht und will noch mehr sagen, als die Tür aufgeht und wir Schritte hören. Zwei Männer taumeln zwischen den Vorhängen durch. Sie lallen und stützen sich gegenseitig.
Der Mann hinter der Bar legt den Spüllappen beiseite.
»Das nenne ich eine Gesellenprüfung. Kannst du das übernehmen?«
Mein Vater nickt, nimmt einen Zug von der Zigarette und lässt sie im Aschenbecher liegen. Er steigt vom Barhocker und geht auf die Männer zu.
»Meine Herren, ich muss Sie enttäuschen«, sagt er. »Wir haben leider noch nicht geöffnet.«
»Die Tür ist auf, dann müsst ihr auch geöffnet haben.« Der Mann steht breitbeinig vor meinem Vater und streckt die Brust heraus.
»Tut mir leid.« Mein Vater geht weiter auf sie zu, mit ausgebreiteten Armen, wie ein Torwart, der zur Parade bereit ist.
»Wenn Sie um diese Uhrzeit schon nackte Damen sehen möchten, müssen Sie runter in die Istedgade. Da lassen sie auch alle Hüllen fallen.«
Der Mann bleibt stehen, als mein Vater sich nur noch einen Meter vor ihm befindet. Dann lässt er die Schultern sinken. Beide folgen meinem Vater, er hält ihnen den Vorhang auf.
»Kommen Sie morgen wieder«, höre ich ihn sagen. »Dann sind Sie mehr als willkommen.« Die Tür fällt hinter ihnen zu.
Mein Vater nimmt die Zigarette aus dem Aschenbecher, der Mann hinter der Bar grinst. »Unglaublich. Das war gut.«
Er nimmt das Glas meines Vaters und schüttet den Inhalt in die Spüle. »Du bist wie geboren für diesen Job. Ich glaube, ich kann endlich mal Urlaub machen.«
Er holt eine neue Flasche aus dem Regal, stellt zwei kleine Gläser auf die Theke und füllt sie bis zum Rand. Es sieht aus wie Apfelmost.
»Du wirst nicht glauben, was das Zeug hier kostet. Ein Glas, und die Flasche ist bezahlt.« Sie stoßen an.
»Kannst du dir eine andere Frisur machen?«, fragt der Mann. »Vielleicht die Haare mit ein bisschen Creme zurückkämmen?«
Mein Vater nickt.
»Dann hast du gerade Arbeit gefunden.« Sie reichen sich die Hände. »Ich besorge dir einen dunklen Anzug, da brauchst du dich nicht drum zu kümmern.«
Am ersten Abend gehe ich mit meinem Vater zur Arbeit. Er duftet nach Seife und trägt seinen neuen Anzug.
Einer der anderen Türsteher steht schon vor dem Stripclub, ein großer Schwarzer mit Glatze, die im Laternenlicht glänzt. Er füllt seinen Anzug voll aus, eine falsche Bewegung, und der Stoff würde aufreißen.
»Ich passe auf deinen Vater auf«, sagt er und hebt mich hoch, dass ich in der Luft hänge. »Keine Angst, ich passe gut auf ihn auf.«
Ich sitze auf der Fensterbank unseres Hotelzimmers und schaue hinaus auf die Straße. Von meinem Vater kann ich nur eine Schulter sehen, manchmal auch den ganzen Rücken, wenn er ein paar Schritte nach draußen geht. Die Leute kommen und gehen, Taxis halten vor dem Stripclub, und Männer steigen aus. Mein Vater hält ihnen die Tür auf. Andere kommen in dicken Mänteln allein über die Straße, manche werden eingelassen, andere müssen weitergehen.
Ein junges Paar mit Rucksäcken berät sich unter meinem Fenster. Sie stehen lange vor dem Hotel, schauen auf die Nummer über der Tür und auf den Zettel, den das Mädchen in der Hand hält. Ich höre nicht, was sie sagen, die Worte gehen im Straßenlärm unter. Der junge Mann schüttelt den Kopf, und sie gehen weiter.
Ich behalte meinen Vater im Auge. Wenn er verschwindet, beginne ich zu zählen. Achtzehn, neunzehn … Bei vierundzwanzig lehne ich mich weit aus dem Fenster, sehe ihn noch immer nicht. Bei zweiunddreißig taucht sein Ellbogen auf, dann mehr. Er hält einen Mann an der Schulter, mit der anderen Hand fasst er ihn am Handgelenk. Draußen richtet er den Schlips des Mannes, klopft ihm auf die Schulter und schickt ihn auf den Weg.
Das junge Paar kommt zurück, diesmal geht der Mann ein paar Meter voraus. Die Rucksäcke sehen aus, als wären sie in der Zwischenzeit schwerer geworden. Wortlos betreten sie das Hotel.
Dann sehe ich wieder meinen Vater. Solange ich ihn im Auge behalte, kann ihm nichts geschehen.