Ich wache auf, weil es an der Wohnungstür klopft. Fast im selben Moment steht mein Vater in der Tür zu meinem Zimmer. »Zieh dich an«, sagt er. Als ich ins Wohnzimmer komme, ist die Liege umgekippt, mein Vater zerrt einen Pullover über den Kopf, er geht zum Esstisch und fegt die Umschläge und das Geld mit dem Unterarm in eine Plastiktüte. Ein paar Münzen fallen zu Boden, er liest sie nicht auf. »Vergiss die Winterjacke nicht«, ruft er, so leise er kann.

Er rafft alle greifbaren Kleider zusammen und stopft sie in den Koffer, der auf dem Boden liegt. Ich schaffe es gerade noch, ein paar Comichefte hineinzuwerfen, bevor er ihn zuschlägt.

Mein Vater will gerade die Tür zur Hintertreppe öffnen, als wir Saras Stimme hören. »Aufstehen«, ruft sie. Mein Vater bleibt stehen, geht rückwärts ins Zimmer und stellt den Koffer ab. Er öffnet ihr die Tür. Sara ist noch nie bei uns gewesen, aber einmal gingen wir an der Wohnung vorbei. Mein Vater zeigte auf die Fenster und sagte »da wohnen wir«, aber er machte den Mund schnell wieder zu, und ich konnte sehen, dass er seine Worte bereute. Und jetzt steht Sara in unserem Wohnzimmer und tritt auf der Stelle. Ihre Augen sind weit aufgerissen, die Zigarette in ihrem Mund ist nicht angezündet und verbogen. »Hier, lies«, sagt sie und gibt meinem Vater eine zerknitterte Zeitung.

Er überfliegt die Seite und nimmt Sara fest in die Arme. »Das ist ja großartig«, sagt er. »Wirklich großartig.« Er gibt ihr Feuer, ich setze mich mit der Zeitung an den Tisch. Die Kritik ist schwierig zu lesen, mit vielen Wörtern, die ich nicht verstehe.

Ich erkenne Saras Namen und buchstabiere mich durch den Abschnitt:

Sie porträtiert Olga mit der größten Authentizität, die ich je in dieser Rolle gesehen habe. Dass der Regisseur sie als Triebfeder der Inszenierung benutzt, ist nahezu genial.

Ich lese weiter, sehe Sara und meinem Vater an, dass es eine gute Kritik ist, dass sie nicht zerrissen wurden, wie Kim es vorhergesagt hat. Ich erkenne seinen Namen und lese weiter, Wort für Wort versuche ich zu verstehen, was dort steht.

Den lebensmüden Landarzt als waschechten Alkoholiker zu interpretieren, ist ebenfalls ein mutiger Schritt. Selten hat man Alkoholismus so realistisch dargestellt gesehen, von den zitternden Händen bis zu der verlangsamten, angestrengt überdeutlichen Diktion. Nichts ist überspielt, nichts ist überflüssig. Wenn der Arzt Tee trinkt, kann man erahnen, wie wenig Tee und wie viel Wodka in seiner Tasse ist. Jedes Mal, wenn er sie abstellt, drückt man ihm die Daumen, dass er den Tisch trifft.

»Was ist denn hier passiert?«, fragt Sara und schaut sich in der Wohnung um. Sie reibt sich die Augen, verbrennt sich beinahe an der Zigarette.

»Ist bei euch jemand eingebrochen?« Sie betrachtet die liegengebliebenen Kleider, den Haferbrei, den ich heute Nacht auf dem Tisch vergessen habe und der sich nun über den Boden ergießt, und die Milch, die zwischen die Dielen läuft.

»Brandübung«, sagt mein Vater.

Nach der Abendvorstellung werden wir aus dem Beleuchtungsraum gezogen, wir haben keine Wahl, natürlich müssen wir mit.

Das Bier steht bereit, der Wirt grinst. An der Wand hängt die Zeitungskritik.

An diesem Abend läutet die Glocke oft. Kim zaubert nicht nur für mich, sondern für die ganze Kneipe. Margrethe singt ein Lied, zuerst will sie nicht, aber sie lässt sich überreden. Das Lied ist etwas schlüpfrig, und alle lachen.

Heute Abend ist das Fest der Schauspieler, sagt mein Vater und hilft mir in die Jacke. Auf dem Heimweg hören wir sie noch lange rufen und lachen.

Wie keiner sonst / ebook
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