Meine Armbanduhr liegt auf dem Nachttisch. Kinder werden geboren und lernen Klavier spielen, ehe der Sekundenzeiger sich ein Mal bewegt.

Dann bleibt die Uhr ganz stehen, ich muss sie schütteln, um die Zeit anzustoßen.

Seit anderthalb Jahren rauche ich täglich.

Nur wenn ich rauche, passen die verdammten viereckigen Klötzchen in die dreieckigen Löcher. Mein Mund ist trocken, ich spüre Zigarettenpapier zwischen Zeige- und Mittelfinger. Ich ziehe mich an. Das Haus ist still. Ich gehe ins Erdgeschoss und öffne Türen. Vorsichtig, weil ich weiß, dass meine Großmutter in einem der Zimmer schläft. Ich werfe einen Blick in jedes Zimmer und schließe die Türen wieder. Das Büro meines Großvaters sieht fast so aus, wie ich es mir vorgestellt habe. Der Schreibtisch ist aus dunklem Holz, ich habe mit einer Schreibmaschine gerechnet, aber stattdessen liegen ein Stift und ein Stapel Papier auf ihm. Das Papier ist gelblich und so dick, dass man es nie in einen Kopierer stecken würde.

Die Bücherregale sind aus dem gleichen dunklen Holz wie der Schreibtisch. Dort stehen ein paar ledergebundene Klassiker, der Rest besteht aus theologischen Werken. Drei Bücher ragen ein Stück hervor. Ich ziehe sie heraus und finde eine halb volle Flasche Schnaps dahinter. Ich schraube sie auf und setze sie an. Die klare Flüssigkeit schmeckt nach Spiritus, noch ein paar Schlucke, und die Wärme breitet sich im Körper aus. Ich nehme die Flasche mit an den Schreibtisch und durchsuche die Schubladen.

Die erste ist voller beschriebener gelber Blätter. Es sind Hunderte, jedes einzelne ist datiert und mit Stichworten und Zahlen vollgekritzelt, ich kann die Handschrift kaum entziffern. Ich vermute Bibelstellen hinter den Zahlen und schlage sie nach, aber es sind zu viele, um einen Zusammenhang herzustellen.

In der nächsten Schublade liegt eine alte Zigarrenkiste ohne Etikett. Sie ist voller Geldscheine. Eine Bank auf einer Insel, auf der niemand Kreditkarten annimmt.

Die letzte Schublade ist fast leer. In der hinteren Ecke liegen ein Stapel Fotos und ein Schlüssel.

Ich blättere die Fotos durch. Das erste zeigt den Pfarrhof, das zweite die Kirche. Dann ein Bild meines Vaters im Talar, kurzhaarig und ohne Bart steht er vor der Kirche und lächelt. Wieder muss ich mir ins Gedächtnis rufen, dass es mein Großvater sein muss. Vielleicht an seinem ersten Tag als Pastor, ein junger Mann, der sich vorgenommen hat, ernst zu sein, und nicht weiß, wohin mit seinen Händen.

Auf den letzten Bildern ist ein kleiner Junge. Sie sind schwarz-weiß, aber ich glaube, sein Haar ist rötlich. Der Junge baut eine Sandburg. Der Junge zieht einen Schlitten über einen verschneiten Feldweg. Mein Vater als kleiner Junge, diesmal bin ich mir sicher. Ich lege die Fotos zurück und nehme den Schlüssel an mich. Er ist groß und mit einer kurzen Schnur an einem abgegriffenen Stück Holz befestigt. Ich trinke einen letzten Schluck aus der Flasche, stelle sie zurück und schiebe die Bücher davor.

Gerade will ich die Tür öffnen, als ich die Stimme meiner Tante höre. Sie spricht in das Telefon, das im Flur steht. Ich lösche das Licht und lausche.

»Ich hoffe, es ist bald überstanden«, flüstert sie in den Hörer. »Ich halte es nicht mehr lange aus. Kannst du nicht rüberkommen?«

Dann hört sie der Stimme am anderen Ende zu.

»Ja, ich weiß«, sagt sie. »Ist schon gut. Ich komme bald heim. Ich kann nicht mehr, aber bald haben wir es hinter uns.«

Wie keiner sonst / ebook
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