Wir sitzen in dem Auto, das mein Vater auf einem Hof mit knurrenden, schmutzigen Hunden ausgeliehen hat.
Auf dem Rücksitz und im Kofferraum liegt alles, was wir haben.
»Wird Zeit, dass wir wieder nach Kopenhagen kommen«, sagt mein Vater. »Du bist in Kopenhagen geboren, wusstest du das?«
Er kurbelt die Scheibe herunter, es rasselt und knirscht in dem alten, weißen Kombi, als würde er jeden Moment auseinanderfallen. Dann zieht mein Vater eine selbstgedrehte Zigarette aus der Brusttasche seiner Jeansjacke.
Er trommelt mit den Fingern aufs Lenkrad, bläst Rauch aus dem Mundwinkel, pult einen Tabakkrümel von der Unterlippe.
Wenn wir umziehen, ist er immer gutgelaunt und lacht viel.
Wir kommen an hohen Betongebäuden vorbei, rechts und links von uns fahren Autos. Dann hört die Autobahn auf, und die Häuser werden niedriger. Wir könnten überall sein. An solchen Orten mit Supermärkten und Friseursalons haben wir schon oft gewohnt.
Ich schließe die Augen und schlafe fast ein, wir sind seit heute Morgen unterwegs. Unter den Augenlidern sehe ich erst weiße Ringe, dann blinkende Lichter. Ich glaube, ich bin kurz eingenickt, vielleicht auch länger.
Die Stimme meines Vaters holt mich zurück ins Auto. »Wir sind da«, sagt er, und ich öffne die Augen.
Wir halten an einer roten Ampel. Mein Vater gibt Gas, das Auto faucht und blubbert. Er tut dies, damit der Motor nicht ausgeht, das hat er mir heute Morgen erklärt.
Ich schaue durch die schmutzigen Scheiben und entdecke die Stadt. So etwas habe ich noch nie gesehen.
Ich klammere mich an den Sicherheitsgurt. Er sitzt stramm auf meiner Brust, ich drücke den Daumen so fest gegen seine scharfe Kante, dass es schmerzt. Draußen ist alles voller Menschen, die kreuz und quer laufen. So viele Geräusche, so viel Lärm. Hupen und die kreischenden Bremsen eines Busses, der neben uns hält.
Als mein Vater auf die Kreuzung fährt, stockt mir der Atem.
Unglaublich, dass wir keinen Radfahrer überfahren und mit keinem anderen Auto zusammenstoßen.
Ich lege die Hand auf das kühle Fenster und spüre das Brummen der Stadt. Sie knurrt wie ein wütender Hund.
Ich kurbele die Scheibe herunter, öffne den Mund und strecke die Zunge heraus. Die Stadt schmeckt nach Abgasen und faulen Äpfeln.
Mein Vater parkt, und wir gehen durch das Tor in den Hof. Über kaputte Platten, vorbei an einem Holzschuppen, dem ein paar Bretter fehlen und dessen Dach fast einbricht. Das Haus ist aus rotem Backstein. Mein Vater geht eine Treppe hinunter und klopft an die Kellertür.
»Hoffentlich sind wir hier richtig«, sagt er und lächelt. Wir warten, mein Vater will gerade noch einmal anklopfen, als die Tür aufgeht. Der Mann ist groß und viel älter als mein Vater. Nur ein paar graue Haarbüschel stehen von seiner Glatze ab. Er trägt einen braunen Kittel über schmutzigen Arbeitshosen. Dünne Adern laufen wie blaue und rote Flüsse über seine Wangen, bis in ein Nasenloch hinein. Er sieht aus wie eine Landkarte, das will ich meinem Vater sagen, aber ich traue mich nicht.
»Wird auch Zeit«, sagt der Mann, wischt sich die Hände am Kittel ab und hinterlässt dunkle Ölspuren.
Wir laufen hinter dem Hausmeister über den Hof. Der Schlüsselbund an seinem Gürtel ist der größte, den ich je gesehen habe. Er rasselt so laut, dass wir ihm mit geschlossenen Augen folgen könnten. Wir gehen an rostigen Fahrrädern und Holzverschlägen vorbei.
Auf der Treppe füllt der Mann die volle Breite aus, es wäre unmöglich, an ihm vorbeizukommen. Es riecht nach Mäusedreck und Frikadellen. Er weist auf eine Tür, von der grüne Farbe abblättert. »Die Toilette«, sagt er. »Ihr teilt sie mit dem alten Nielsen aus der Wohnung unter euch. Keine Angst, der ist in Ordnung.« Wir gehen weiter hinauf.
»Hier, wenn ihr die Wohnung noch haben wollt.«
Er sucht den richtigen Schlüssel und schließt auf.
Die Wohnung sieht aus, als wäre sie irgendwo abgeschnitten worden. Ein Stück Haus, das keiner gebrauchen konnte.
Mein Vater lächelt, als sähe er hier seine Traumwohnung. Eine kleine Küche mit Fenstern zum Innenhof, gerade genug Platz für einen schmalen Tisch, zwei Stühle und eine Holzpritsche an der Wand. Wenn wir essen, werden wir in die Wohnungen gegenüber gucken können. Mein Vater liest meine Gedanken und zeigt auf die dunklen Fenster auf der anderen Seite des Hofes.
»Das Zimmer ist da drinnen«, sagt der Hausmeister, zieht den Bauch ein und quetscht sich an dem schmalen Tisch vorbei. Er öffnet die Tür zum einzigen anderen Raum der Wohnung, dem Zimmer, das mein Vater mir versprochen hat. Mein eigenes. Es ist klein und hat nur ein Fenster, das so hoch liegt, dass man nicht hinausschauen kann. Bestimmt war es einmal die Besenkammer, als die Wohnung noch zum Rest der Etage gehörte. Ein vergessener Ort mit Stapeln von vergilbtem Papier und Regalen voll eingemachter Äpfel und Pflaumen. Nun steht dort ein Bett, in dem ich heute Nacht schlafen soll. Es riecht trocken und staubig.
Der Hausmeister klingt plötzlich nicht mehr so sicher, er sagt: »Ehrlich gesagt habe ich die Wohnung ein bisschen größer in Erinnerung. Es ist noch eine andere frei, wenn ihr wollt …«
»Die hier ist prima«, sagt mein Vater. »Wir werden uns wohlfühlen.«
Wir folgen dem Hausmeister zurück in die Werkstatt. Der Boden ist mit Ölflecken bedeckt, auf dem Arbeitstisch am Fenster liegt Werkzeug verstreut. An einer Wand hängen Schlüssel. Massenweise Schlüssel, mindestens einer für jede Wohnung. Nachts, wenn alle schlafen, schleicht er sich in die Wohnungen, geht an die Kühlschränke und probiert von allen Essensresten. Ein wenig Hühnchen hier, ein Stück Hackbraten da. Deshalb ist er so fett.
»Und ihr zahlt bar?«, fragt er. Mein Vater nickt.
Sie schütteln sich die Hände. Das macht mich jedes Mal stolz, denn ich weiß, dass mein Vater einen festen Händedruck hat, das sagen die Leute immer.
Mein Vater und ich schleppen die Sachen aus dem Auto hinauf. Mein Vater nimmt die schweren Dinge: alte Koffer, die fast platzen, gefüllt mit seinen Büchern. Ich trage die Plastiktüten mit den Bettbezügen und Handtüchern. Als Letztes nimmt mein Vater die Holzkiste mit den Schallplatten, trägt sie vorsichtig und stellt sie auf den Küchentisch. Den Plattenspieler kann ich nirgendwo entdecken. Ich frage nicht danach.
Zum Abendessen gibt es Speck und Eier. Gekauft auf dem Hof, bei dem wir das Auto geliehen haben. »Das wird gut«, sagt mein Vater, als der Speck in der Pfanne zischt. Sein Blick sagt mir, dass er nicht nur das Essen meint. »Ja, das wird gut.«
Die Tür zu meinem neuen Zimmer lässt sich nicht ganz schließen. Immer, wenn wir es versuchen, knirscht sie und springt wieder auf. Das Haus muss sich bewegt haben, seit es gebaut wurde, es hat sich gestreckt und gewunden, hat gegähnt und gehustet. Durch den Türspalt kann ich meinen Vater sehen, seine Füße ragen über die Pritsche hinaus, ein Zeh ist blau, weil er ihn letzte Woche gestoßen hat.
Ich höre seinen schweren Atem. Ich schlafe immer zu Geräuschen ein. Oft ist es Verkehrslärm. Das Auto auf dem Feldweg vor dem Fenster. Die Autos auf der Autobahn. Der Wind in den Baumkronen, in einer Wohnung hoch über der Erde. Wenn er laut heulte, schloss ich die Augen und sah, wie die Bäume sich bogen.
Als wir dicht am Meer wohnten, schlief ich zum Rauschen der Wellen ein. Länger und länger spülten sie über den Strand, über das dicke, gelbe Gras und durch die Büsche, bis sie mein Zimmer erreichten und mich mitnahmen.
Ich in meinem neuen Bett, und die fremden Geräusche der Stadt.