Freunde besuchen einander«, sagt der Junge im Hof. »Heute sollst du sehen, wo ich wohne.«
Er nimmt meine Hand, und ich folge ihm.
Wir gehen die Treppe hinauf, meine Hand schwitzt in seiner. Er trägt den Schlüssel an einer Lederschnur um den Hals und lässt mich erst los, als er aufschließt.
Die Küche ist groß, unsere ganze Wohnung würde mehrmals reinpassen. Die Schranktüren glänzen, alles liegt sauber und ordentlich an seinem Platz. Trotzdem riecht es ein wenig muffig, als wären die Bewohner verreist und hätten Essen im Kühlschrank vergessen.
Die Wohnung ist still, wir sind allein. Der Junge zieht mich über den Flur in ein hellblaues Zimmer, das nach Parfüm riecht. An einer Wand hängt ein großer Spiegel, in dessen Rahmen viele Fotos von jungen Menschen stecken.
Der Junge wühlt in der Kommode, wirft BHs und Höschen auf den Boden. Am Boden der Schublade findet er einen Zeitungsartikel. Er breitet ihn auf dem Bett aus, damit ich ihn sehen kann. »Sommermädchen« steht unter dem Bild einer nackten Frau, die in die Kamera lächelt. Sie hält einen Wasserball und streckt die Arme in die Luft, als wolle sie ihn gerade werfen.
»Meine Schwester«, sagt der Junge. »Sie hat viele Haare auf der Möse, damit man die Ritze nicht sieht.«
Er nimmt wieder meine Hand und zerrt mich ins Wohnzimmer.
Der Teppich ist dunkelrot und so dick, dass die Füße darin einsinken. An der Wand steht ein großes Ledersofa zwischen zwei Porzellanvasen mit chinesischen Schriftzeichen und goldenen Drachen. Der Fernseher ist riesengroß, schwarz und glänzend.
Er tritt gegen den Fernsehwagen, dass das Gestell wackelt.
»Sollen wir ihn zertrümmern? Du bestimmst. Sollen wir ihn zertrümmern?«
Ich antworte nicht, er packt mich am Arm und zieht mich zurück in die Küche.
Dort klettert er auf den Esstisch. Eine Schranktür ist mit einem kleinen Vorhängeschloss verriegelt.
Er bittet mich, ein Messer aus der Schublade zu holen, ich reiche ihm ein Buttermesser. Er steckt es zwischen Tür und Schrank und bewegt es hin und her. Zuerst gibt die Tür nur ein kleines Stück nach, sie knirscht, ein Holzsplitter bricht ab und landet auf dem Küchentisch.
Der Junge schiebt die Haare hinter die Ohren und hebelt kräftiger. Mit einem lauten Knall springt die Tür auf, ein Stück Holz bleibt hinter dem Vorhängeschloss stecken.
Ich muss ausweichen, um nicht von Weingummi- und Lakritztüten getroffen zu werden. Der Junge stellt sich auf die Zehenspitzen und fegt den Schrank mit dem Messer leer. Es regnet Schokolade, Gummibärchen, Bonbons und Karamell.
Wir sitzen auf dem Boden, umgeben von Süßigkeiten. Der Junge reißt Packungen auf, Lakritzkugeln rollen durch die Küche.
»Iss!«, sagt er.
Ich tue, was er sagt, esse, bis mir die Zunge schwillt und wehtut – sauer, salzig, süß, meine Zähne sind wie aus Holz.
»Neger«, ruft der Junge und zeigt auf meine Finger, die braun vor Schokolade sind.
»Werden deine Eltern nicht sauer sein?«, frage ich, den Mund voller Gummibärchen.
»Natürlich werden sie sauer sein. Iss weiter!« Er wirft ein Lakritz in die Luft und fängt es mit dem Mund.
Auf der Treppe muss ich mich an die Wand stützen, auf dem Hof kotze ich in bunten Farben. Als mein Vater heimkommt, liege ich im Bett und halte mir den Bauch. Ich drehe den Rücken zur Tür und stelle mich schlafend.