Hey, Türke, ich geh pinkeln. Wehe, du rührst meine Süßigkeiten an.« Kasper grinst. »Ihr Türken seid doch schlimmer als Zigeuner.«

Ein paar Mal pro Woche verlässt Kasper seinen Platz am Regal, aber er geht nie in Richtung Toilette. Wenn der Abteilungsleiter vorbeikommt, sage ich, dass er wohl ein Magenproblem habe. Kein Wunder, bei dem vielen Kaffee, sagt der Abteilungsleiter, lacht und geht weiter.

Zehn Minuten später kommt Kasper gehetzt zurück, und wir arbeiten Rücken an Rücken weiter.

Die Hälfte der Schicht ist vorbei, als das Rollband stehen bleibt.

»Nicht schon wieder«, höre ich.

»Scheiße.«

»Das bedeutet Überstunden«, sagt jemand ein paar Regale weiter. Die Leute kommen aus ihren Verschlägen.

»Falscher Alarm«, ruft einer am anderen Ende der Halle. Die Bänder starten wieder, alle atmen erleichtert auf.

Kasper und ich tauschen unsere Kassetten und arbeiten weiter.

Eine Stunde vor Schichtende spüre ich Kaspers Hand auf meinem Arm. Ich nehme den Kopfhörer ab.

»Hey, Türke«, sagt er. »Kannst du mir einen Gefallen tun?«

Ich nicke.

Kasper schaut sich um und zieht einen braunen DIN-A4-Umschlag unter dem Pullover hervor.

»Nimm den mit, wenn du rausgehst.«

Ich stecke den Umschlag unter den Pullover.

»Willst du nicht wissen, warum?«

Ich schüttle den Kopf.

Wir stehen in der Schlange vor dem Ausgang. Der Wächter sitzt in seinem Glaskäfig, er hat noch nicht den Knopf gedrückt, der uns freilässt.

»Was ist denn da vorne los, zum Teufel?«, ruft jemand weit hinten.

»Wach auf, Mann!«

Plötzlich kommen zwei Sicherheitsleute in dunkelblauen Pullovern und mit Funkgeräten am Gürtel. Sie gehen durch die Reihen der Postbediensteten.

»Was ist denn jetzt los?«

Sie bleiben vor Kasper stehen, sagen, dies sei nur eine Stichprobe, und fordern ihn auf, mitzukommen.

»Wollt ihr nicht lieber den Türken filzen?« Kasper nickt in meine Richtung, aber sie lächeln nicht. Kasper folgt ihnen, kurz darauf summt das Schloss.

Ich versuche, nicht zu schnell zu gehen.

Kaspers Brief füllt den ganzen Pullover aus, die spitzen Ecken stechen durch die Maschen.

Ich gehe in den Bären. Eigentlich heißt die Kneipe »Bjørns Bodega«, aber niemand nennt sie so. Postangestellte bekommen dort Rabatt. Ein Schnaps und ein Bier netzen den trockenen Hals, spülen den Geschmack von Papierleim von der Zunge und helfen beim Einschlafen.

Es ist Ende des Monats, die Bar ist fast leer, in der Ecke sitzt ein Stammgast und beugt sich über ein halbes Brötchen und ein Gammel Dansk. Er hat früher auch bei der Post gearbeitet.

Ich bestelle ein Bier und blättere in der Morgenzeitung. Roy Orbison ist so heruntergedreht, dass er nur als Kratzen in den Lautsprechern wahrnehmbar ist. Das zweite Bier steht vor mir, als Kasper hereinkommt.

»Du hättest ihre Gesichter sehen sollen«, sagt er. »Sie waren so enttäuscht, die Armen.« Kasper lacht und kauft uns Bier und Schnaps.

»Du hättest wirklich ihre Gesichter sehen sollen«, sagt er. Er führt das Schnapsglas zum Mund, seine Hand zittert.

Ich ziehe den Brief unter dem Pullover hervor.

»Mach ihn auf«, sagt er.

Auf dem Umschlag steht kein Absender. Innen liegen vier fotokopierte Seiten. Das Papier ist zerknittert, als wäre es nass geworden, der Text ist kompliziert. Ich lese die ersten Zeilen.

»Richard III.«, sage ich.

»Ich wusste gar nicht, dass ihr Türken lesen könnt.«

Er trinkt einen Schluck Bier und zündet sich eine Zigarette an.

»Pass auf mit den Blättern, sie sind in Acid getaucht.«

Kasper steckt sie zurück in den Umschlag.

»Ich bekomme sie aus Amsterdam. Ohne Absender und an eine Adresse, die es nicht gibt. Dann landen sie wieder im Verteilerzentrum. In der Kiste mit toten Briefen.«

»Gar nicht so dumm. Ja, tote Briefe, wohin damit? Aber diesmal muss etwas schiefgelaufen sein.«

Kasper bestellt mehr zu trinken. Er steckt Münzen in die Jukebox, während der Barkeeper einschenkt.

»Komm morgen bei mir vorbei«, sagt er und leert sein Schnapsglas. »Ich habe etwas für dich.« Er schreibt seine Adresse auf einen Bierdeckel.

Beim Aufwachen spüre ich den Schnaps noch im Hinterkopf.

Ich trinke ein Glas Wasser und esse einen Apfel. Dann gehe ich für Elsebeth einkaufen.

Petra steht im Kiosk, und als sie mich sieht, dreht sie sich um und holt die Zigarettenmarke, die ich immer kaufe. Sie fragt, ob ich noch etwas möchte.

Ich bleibe etwas zu lange stehen, schüttle den Kopf und lege das Geld auf die Theke.

Wie keiner sonst / ebook
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