Ich höre die Party, als ich um die Ecke gehe.
Der Bass ist so laut, dass die Scheiben zittern. Vor dem Haus lehnen etliche Fahrräder an der Hecke.
Ich gehe durch den Vorgarten, ein Junge aus meiner Klasse kommt hinter dem Haus hervor, mit nacktem Oberkörper und zerkratzter Brust. Er stolpert über den Gartenschlauch, fängt sich auf und verschwindet wieder im Garten.
Ein Mädchen sitzt auf der Treppe und weint, sie trägt die Jacke verkehrt herum, eine Freundin tröstet sie. Im Korridor liegen viele Jacken und Plastiktüten voll Bier. Der Boden wackelt, im Wohnzimmer hüpfen die Gäste auf und ab, rote und blaue Lampen blinken im Takt.
Ich trinke ein Glas Punsch, der nach Wodka und Ananas schmeckt, und suche Christian. Er sitzt auf dem Sofa und lehnt sich über ein Mädchen, eine Hand auf ihrer Schulter, die andere irgendwo zwischen ihren Beinen.
Ich packe ihn am Kragen und ziehe ihn vom Sofa. Zuerst sieht es aus, als wolle er zuschlagen, aber dann kommt er mit mir.
»Weißt du, wie alt Amanda ist?«, fragt er, als wir draußen stehen.
»Du meinst Amalie?«
»Ja, Amalie. Die ist doch schon fünfzehn, oder?«
»Das kann dir doch scheißegal sein.«
»Nicht ganz.«
»Hast du was für mich?«
»Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst. Du hast doch gesagt …«
»Hast du was?«
»Du hättest ein paar Stunden früher kommen sollen. Jetzt ist alles verkauft.«
»Du bist ein Idiot, Christian.«
»Ich weiß, das war nicht okay. Aber ich hätte locker noch zehn Gramm mehr verticken können.«
Er zieht zwei Bier aus einer Plastiktüte, öffnet sie mit dem Feuerzeug und gibt mir eins.
»Montag hab ich ganz sicher was übrig.«
Er prostet mir zu und verschwindet wieder im Wohnzimmer.
Ich trinke einen Schluck, will gerade in dem Haufen auf dem Boden nach meiner Jacke suchen, als eine Stimme hinter mir ertönt.
»Ich hoffe, mein Bier schmeckt.« Ich drehe mich um, es ist Camilla aus meiner Klasse.
»Entschuldigung«, sage ich.
Sie grinst. »Macht nichts, ist überhaupt nicht meins.« Sie geht an mir vorbei und bleibt in der Tür stehen.
»Willst du nen Joint mit mir teilen?«
Ich folge ihr. Camilla reicht mir bis an die Brust, sie hat blondes, verfilztes Haar, das sie nie kämmt. Ich frage mich, wo sie die Militärstiefel in Kindergröße gefunden hat. Wir gehen durch die Küche, wo Schüsseln mit Minifrikadellen als Aschenbecher missbraucht und den dicksten Karotten Kondome übergestülpt wurden. Camilla öffnet die Tür zur überdachten Terrasse, und wir setzen uns auf die Gartentreppe. Hier gibt es keinen Swimmingpool, aber einen kleinen Teich und Bambusbüsche. Camilla zieht den Joint aus der Innentasche, er steckt in einer durchsichtigen Plastikhülse.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du auf solche Partys gehst«, sage ich, während sie den Joint anzündet.
»Mir war langweilig, da wollte ich unseren Klassenkameraden eine letzte Chance geben. Das hab ich natürlich längst bereut.«
Sie gibt mir den Joint, ich nehme einen Zug, das Hasch ist besser und stärker als Christians.
Camilla nimmt eine Decke von einem Gartenstuhl und breitet sie über unsere Knie. Wenn sie raucht, sieht man die kleine Spinne, die auf ihren Handrücken tätowiert ist. Seit über fünf Jahren gehe ich mit ihr in eine Klasse, aber ich kenne sie kaum. Im Unterricht macht sie den Mund nur auf, wenn sie gezwungen wird. Ich weiß, dass sie in einer Punkband Bass spielt. Einmal hat sie den anderen Mädchen die Blasen an ihren Fingern gezeigt. Sie empfahlen ihr eine Handcreme, und Camilla verstummte wieder.
»Du bist ja schon stoned«, sagt sie. Sie hat bemerkt, dass ich sie ansehe. »Das ging aber schnell.«
Ich starre in den Garten, auf die Schaukel, die im Wind schwingt. Auf dem Rasen liegt ein Dreirad, am Zaun steht ein rot angemaltes Spielhaus. Ich muss kichern, vielleicht bin ich wirklich schon stoned.
»Ist das Victors Party?«, frage ich.
Sie nickt und sieht mich verständnislos an.
»Er holt sich da drüben im Spielhaus einen runter.«
»Jetzt gerade?«
»Nein, aber einmal täglich.«
»Und das soll ich dir glauben?«
»Das hat er mir an der Skateboardrampe erzählt. Nach fünf Bier und ein paar Joints. Es ist sein großes Geheimnis.«
»… das du mit ins Grab nehmen wirst.«
»Ich kann ihn nicht ausstehen.«
»Kann ich gut verstehen.«
Wieder starre ich sie an, die kleine Lücke zwischen ihren Schneidezähnen ist mir nie aufgefallen.
Sie drückt den Joint aus und schnipst ihn in hohem Bogen in den Teich.
»Bleib sitzen«, sagt sie. »Ich hole Bier.«
Ich bin fast sicher, dass sie nicht zurückkommt, will nur ein paar Minuten hierbleiben und dann heimgehen und unterwegs in irgendeine Hecke pissen. Gerade will ich aufstehen, da geht die Küchentür auf. Camilla schlägt zwei Flaschen aneinander.
»Warum bist du heute Abend gekommen?«, frage ich, als sie unter die Decke kriecht.
»Du glaubst nicht, dass ich den anderen eine Chance geben wollte?«
»Nee.« Ich fühle ihr Knie an meinem.
»Heute ist so ne Art Gedenktag. Ich weiß nicht, wie alt meine kleine Schwester geworden wäre. Sie war eine Mongo und hatte einen Herzfehler. Morgen fahren meine Eltern übers Wochenende weg, und heute zünden sie im ganzen Haus Kerzen an und reden kaum ein Wort.«
Wir holen abwechselnd mehr Bier aus den Tüten im Korridor, bleiben auf der Treppe sitzen und reden über unsere Klassenkameraden. Über die Lehrer. Dann reden wir lange über Musik. Drinnen erreicht das Fest seinen Höhepunkt, Sachen werden zertrümmert, und Gäste schreien.
Am frühen Morgen gehen wir durch das Eigenheimviertel, wo ein tödlicher Virus alles Leben ausgelöscht hat. Bald werden die ersten Bewohner aus den Garagen kommen und zum Bäcker fahren. Welche der zwei Bäckereien im Viertel besser ist, wird auf Dinnerpartys rege diskutiert.
»Ich hab gehört, dass sie dich rauswerfen wollen«, sagt Camilla, heiser von Zigaretten und Bier.
»Ja, wenn ich mich nicht entschuldige.«
»Wirst du das tun?«
»Weiß ich noch nicht.«
Die Vögel beginnen zu zwitschern, die Sonne geht auf.
»Hier wohne ich«, sagt sie. Wie stehen vor einer großen Villa. »Gut, dass du mitgekommen bist, dann findest du morgen wieder hierher.«