Wie oben, so unten
Beginnen wir mit den
Planeten. Ein wichtiger Begriff für das Verständnis des
astrologischen Weltbildes ist »esoterisch«. Wörtlich übersetzt
heißt das: »Nach innen gerichtet«, man könnte auch sagen, das
innere Wesen der Dinge betreffend. Exoterisch dagegen heißt »nach
außen gerichtet«. Diese Begriffe stehen für zwei verschiedene
Sichtweisen der Wirklichkeit, die man am Beispiel von Sonne, Mond
und Planeten veranschaulichen kann. Was sind Sonne, Mond und
Planeten, was ist das Wesen der Sonne, das Wesen des Mondes?
Exoterisch gesehen sind Planeten, Sonne und Mond schlicht und
einfach Himmelskörper. Ein Wissenschaftler sagte einmal
triumphierend: »Früher glaubte man, die Sonne sei ein göttliches
Wesen, heute wissen wir, dass sie nur ein glühender Gasball ist.«
Was sagt nun die esoterische Sichtweise? Man studiert zum Beispiel
frühere Kulturen, in denen die Planeten mit Göttern und Göttinnen
assoziiert wurden, wie das antike Griechenland: Da wird der Planet
Mars mit dem Kriegsgott Ares in Verbindung gebracht, der Planet
Jupiter mit dem Göttervater Zeus, der Planet Venus mit der
Liebesgöttin Aphrodite usw. Jeder dieser Planetengötter hatte einen
bestimmten Zuständigkeitsbereich auf dem Olymp. Auf diese Weise
sucht die esoterische Sichtweise das Wesen des Planeten zu erfahren. Besonders deutlich
wird das bei Sonne und Mond, die ja in fast allen Kulturen für das
männliche und das weibliche Prinzip stehen. Manchmal werden sie als
himmlisches Liebespaar gesehen, das sich einmal im Monat bei
Neumond begegnet und in dieser Hochzeitsnacht ein Kind zeugt: die
kleine Mondsichel. In unseren aufgeklärten Ohren mag das naiv und
vorwissenschaftlich klingen, aber nach der esoterischen Denkweise
sind die Planeten nicht nur
Himmelskörper, sie sind es auch. Zu
sagen, dass die Sonne nur ein glühender
Gasball sei, ist eine sehr reduzierte Definition der
Wirklichkeit.
In der Sprache der
Psychologie können wir die Planetengötter und -göttinnen auch als
Archetypen oder Urprinzipien bezeichnen. Der Begriff des Archetyps
spielt eine wesentliche Rolle in der Lehre von Carl Gustav Jung.
Der griechische Ausdruck Archetyp lässt sich übersetzen mit
»Urprinzip« oder »Urbild«. Thorwald Dethlefsen sagte einmal, dass
die Planeten aus astrologischer Sicht Repräsentanten von
Urprinzipien sind, und das ist meiner Meinung nach eine sehr
glückliche Formulierung. Exoterisch gesehen sind die Planeten mehr
oder weniger gut messbare Himmelskörper, esoterisch gesehen
repräsentieren sie Archetypen, sind sie eben Planetengötter. In
meinen Augen ist das eine so richtig und wichtig wie das
andere.
Das beantwortet aber
noch nicht die Frage, was die Planetengötter, wenn wir sie so sehen
wollen, mit uns zu tun haben sollen, und jetzt kommen wir zu einem
Grundpfeiler des gesamten esoterischen und damit auch des
astrologischen Weltbildes, dem Satz: Wie oben, so unten. Dieser
Satz besagt, dass die Gesetze des Makrokosmos, des großen Kosmos,
identisch sind mit denen des Mikrokosmos, des kleinen Kosmos.
Atomphysiker sehen das Atom, den kleinsten uns bekannten Baustein
des Kosmos, als eine Art Miniatur-Sonnensystem, wobei es ganz
verblüffende Übereinstimmungen zwischen dem Aufbau des
Sonnensystems und dem des Atoms gibt. Man kann den Atomkern in
gewisser Weise als Miniatur-Sonne begreifen und die Elektronen als
die kleinen Planeten, die darum kreisen. Unser Sonnensystem ist ja
selbst nur ein Atom in einem Universum, wie unendlich dieses auch
sein mag. Wenn nun das ganze Universum noch im kleinsten seiner
Teile wiederzufinden ist und der Satz »Wie oben, so unten« stimmt,
dann muss man diesen Satz logischerweise auf alles, was existiert,
anwenden können. Dann kann man den Stein als Mikrokosmos begreifen,
die Pflanze, das Tier und eben auch den Menschen. Die astrologische
Sichtweise betrachtet den Menschen als Mikrokosmos, als kleines
Universum, in dem das große Universum sich spiegelt.
Konsequenterweise spielen Entfernungen dann keine Rolle mehr, es
ist völlig unerheblich, wie viele Millionen Kilometer Venus, Mars
oder Pluto von uns entfernt sind, denn alles, was dort oben ist,
ist auch hier unten, in uns. Wir sind also nicht abgeschnitten von
dem, was außerhalb oder oberhalb von uns stattfindet, sondern wir
haben als Mikrokosmos Mensch teil an den universellen
Gesetzmäßigkeiten, und wenn Sonne und Planeten selbst im winzigen
Atom noch eine Entsprechung haben, dann gibt es eine solche
Entsprechung logischerweise auch im Mikrokosmos
Mensch.
Kommen wir jetzt zu
dem, was für mich in der Astrologie am interessantesten ist,
nämlich das Geburtsoder Radixhoroskop. Wer seinen Geburtstag, seine
möglichst genaue Geburtszeit und seinen Geburtsort kennt, der
braucht nur ein Computerprogramm, und schon kann er eine Grafik
anfertigen, die man »Geburtshoroskop« nennt. In deren Mitte sieht
man einen kleinen Kreis, das ist die Erde, außen einen großen Ring
mit zwölf Symbolen, das ist der Tierkreis mit seinen zwölf Zeichen,
und dazwischen irgendwo die Symbole für Sonne, Mond und Planeten.
Es ist so etwas wie eine Fotografie der Planetenkonstellation im
Moment der Geburt und vom Ort der Geburt aus gesehen. Es gibt
Tabellen, die so genannten Ephemeriden, in denen die Planetenstände
über Jahrhunderte für jeden Tag berechnet sind, das heißt, diese
Berechnung ist objektiv und wissenschaftlich begründbar. Die
Deutung ist allerdings etwas anderes.