Uranus

Der Planet, der im Zeichen Wassermann sein Domizil hat, ist Uranus. Er wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts entdeckt, ungefähr zum Zeitpunkt der Französischen Revolution, und historisch gesehen war er der große Revolutionär in der Astrologie. Bis dahin dachte man, dass das Planetensystem mit Saturn ende, denn er ist der letzte ohne Teleskop sichtbare Planet. Auf ihn bin ich bei Steinbock näher eingegangen. Uranus, der erste ohne Teleskop nicht sichtbare Planet, ist der Außenseiter, der Fremde, der nicht ins alte System gehört, er symbolisiert den schöpferischen Sprung ins Universum »nebenan«. Während Saturn durch seine Position in der Planetenreihe die Begrenztheit der materiellen Welt symbolisiert, ist Uranus von diesen Verhaftungen befreit. Das schönste Bild, um uranische und wassermännische Energie zu begreifen, ist deshalb der Vogel.
Ich persönlich kann übrigens mit dem Symbol des Wassermanns wenig anfangen, unter anderem deshalb, weil es sich hier um ein Zeichen des Elements Luft handelt. Mir erschiene stattdessen das Vogelsymbol viel einleuchtender. Wassermann-betonte, uranische Menschen haben häufig Vogel-Träume, können im Traum oft selbst fliegen, und in der Regel ist das mit großen Glücksgefühlen verbunden. Allerdings, auch hier gibt es eine helle und eine dunkle Seite. Der Vogel, der in den Himmel fliegt (uranos im Griechischen bedeutet Himmel), löst sich von irdischer Abhängigkeit, von der Bindung an die »materielle Welt«, der Mutter Erde. Freiheit, Leichtigkeit, das Erleben grenzenloser Weite ist das Geschenk, ebenso die Möglichkeit, die Welt dort unten als distanzierter, nicht involvierter Beobachter zu sehen, aus der Vogelschau. Man hat den Logenplatz im Wirklichkeitstheater, nur – man ist zwar frei, aber auch »bodenlos«, ohne Wurzeln und irdische Zugehörigkeit, ohne die Sicherheit und den Schutz, den Mutter Erde geben kann. »Vogelfrei sein« bedeutete früher: so gut wie tot, geächtet. Auch in Stammeskulturen bedeutet es eine tödliche Bedrohung, ausgestoßen zu werden, nicht dazuzugehören. Menschen mit stark uranischer Anlage haben es meist schwer, ihren Platz in der irdischen Welt zu finden, Erdung wird zum Problem. Was zum Beispiel dem Erdmenschen Sicherheit bedeutet, wird hier als Abhängigkeit erlebt, und bei jeder Zwischenlandung ist schnell der Impuls zu spüren: »Wie komme ich hier wieder weg?« Vögel sind eben zum Fliegen da. Die Perspektive des Außenseiters, der nicht ins System gehört, hat oft ein seltsames Gefühl von Fremdheit zur Folge. Wassermann-betonte Menschen haben mir oft erzählt, dass sie sich wie durch eine unsichtbare Glasscheibe von der Welt, von anderen Menschen getrennt fühlen. Manche haben das Gefühl, auf dem falschen Planeten gelandet zu sein.
Ein weiteres Leitmotiv ist der Narr oder die Närrin – schließlich ist Uranus der Ver-rückte, außerhalb der saturnischen Norm. Der Hofnarr war seinerzeit der Einzige, der sich ungestraft über den König lustig machen durfte, und darin drückt sich die Polarität Wassermann-Löwe aus. Löwe, das Zeichen des Königs, liegt im Tierkreis Wassermann gegenüber.
Es gibt eine alte Theorie, nach der Uranus als »höhere Oktave des Merkur« bezeichnet wird, also eine Wiederkehr dieses Prinzips auf einer anderen Ebene darstellt. Das klingt kompliziert, und ich will versuchen, es zu erklären. Paul Watzlawick hat das Buch Lösungen geschrieben, in dem er Lösungen erster Art und zweiter Art unterscheidet. Lösungen erster Art sind merkuriale Lösungen, sie entsprechen dem logischen Denken innerhalb eines Systems; Lösungen zweiter Art beinhalten den schöpferischen Sprung, sie führen eine neue Dimension ein, sind also uranischer Natur. Ein Beispiel: Es gibt viele Denksportaufgaben, die eine uranische Lösung erfordern. Nehmen wir einmal an, man bekommt sechs Streichhölzer in die Hand gedrückt und soll aus ihnen vier gleich große Dreiecke fabrizieren. Man legt und legt, aber es scheint einfach nicht möglich zu sein. Die Lösung zweiter Art ist hier der schöpferische Sprung in die Dreidimensionalität, das heißt in diesem Fall, eine Pyramide zu bauen.
Dieses kreative Uranus-Prinzip, das sich über die Gesetze der Logik hinwegsetzt, findet sich auch in therapeutischen Methoden wieder. Man spricht etwa von paradoxer Intervention oder Symptom-Verschreibung. Paul Watzlawick erzählt, dass er einmal einen Patienten hatte, der so gutmütig war, dass sein Haus ständig voll so genannter Freunde war, die bei ihm wohnten und seinen Kühlschrank leer aßen, ohne sich je irgendwie finanziell zu beteiligen. Er schaffte es einfach nicht, sie hinauszuwerfen, denn sie waren ja alle so hilfsbedürftig und arm, und er wollte doch kein schlechter Mensch sein. Was war Watzlawicks Rat? Eine Lösung der ersten Art wäre gewesen zu sagen: »Pass mal auf, als Ersten wirfst du den raus, dem es finanziell noch am besten geht, dann den Nächsten und so fort.« Aber Watzlawick hatte eine andere Idee. Er sagte: »Morgen Mittag zur Hauptverkehrszeit gehst du an die belebteste Straßenecke der Stadt. Dort siehst du dir die Menschen genau an und nimmst jeden, der dir irgendwie hungrig, einsam oder bedürftig erscheint, mit nach Hause.« Der brave Patient tat, was der Therapeut ihm verordnet hatte, und innerhalb kürzester Zeit war sein Haus so voll, dass er einen schrecklichen Wutanfall bekam und alle auf einmal hinauswarf. Das nennt man das Symptom verschreiben und es dadurch kippen.
Ein anderer genialer Therapeut im uranischen Sinne war der Psychiater Ronald Laing, selbst ein Grenzgänger und sehr Wassermann-betont. Er hatte einen Patienten in der Psychiatrie, der in einer Fantasiesprache redete, ein Kauderwelsch, das kein Mensch verstehen konnte. Was wäre die »normale« Lösung, die Lösung der ersten Art? Man könnte versuchen, ihm das Sprechen wieder beizubringen, erst Ja und Nein und Vater und Mutter, die einfachen Dinge. Laing jedoch lernte die Kauderwelsch-Sprache seines Patienten und unterhielt sich jeden Tag ganz ernsthaft in dieser Sprache mit ihm. Das führte dazu, dass der Patient irgendwann zu Laing sagte: »Jetzt hören Sie endlich auf mit dem Blödsinn, Herr Doktor.«
Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen
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