Saturn
Saturn, der
griechische Kronos, über den ich bei Schütze schon gesprochen habe,
ist der dem Steinbock zugeordnete Planetengott. Er war der Sohn von
Uranus und Gaia, von Himmel und Erde. Er bekam von seiner Mutter
eine Sichel, um seinen Vater zu entmannen. Später verschlang er
seine eigenen Kinder aus Angst, ihm könnte Ähnliches angetan
werden. Die Schattenseite Saturns zeigt sich also im Nein zu neuem
Leben, zur Entwicklung, denn Kinder verschlingen bedeutet, wie der
Raub neugeborener Kinder im Märchen, dass neue Entwicklungsimpulse
zunichtegemacht werden: Alles, was das alte System, die Tradition,
ablösen oder erneuern könnte, wird verschlungen und auf diese Weise
unschädlich gemacht.
Andererseits hat die
Tradition und das Festhalten an ihr auch einen positiven Aspekt,
wie er im alten Weisen, dem Großvater, oder in der alten weisen
Frau, der Großmutter, verkörpert ist. Steinbockbetonte Menschen
haben meist zum Wissen der Alten, sei es personifiziert durch die
leiblichen Großeltern oder überliefert in Gestalt von Mythen, einen
sehr guten Bezug. Sie wissen, dass es kosmische Gesetze gibt, die
sich nie ändern werden, die gegen alle Moden und Trends immun sind:
eherne Gesetze, die unverrückbar sind und deren Übertretung Strafe
nach sich zieht.
In der Psychologie der
Motivation gibt es zwei verschiedene Komponenten, und nach dieser
Theorie kann man Jupiter und Saturn, Schütze und Steinbock,
einander gegenüberstellen. Komponente Nummer eins entspricht
Jupiter: die Hoffnung auf Erfolg; ein Esel, der einer Rübe
hinterherläuft mit der Haltung »Ich schaffe es, ich werde das große
Ziel erreichen«. Belohnung winkt. Die zweite Komponente ist
saturnisch: Furcht vor Misserfolg, Angst vor Strafe, die Peitsche,
die den Esel von hinten treibt. Auf die Schule übertragen könnte
man diese Prinzipien so darstellen: Ein Jupiter/ Schütze-Lehrer
unterstreicht bei der Korrektur eines Diktats die Wörter, die der
Schüler richtig geschrieben hat. Das ist Erziehung durch Lob,
Glaube an das Potenzial des Kindes und Ermutigung: Du kannst es
schaffen. Der Saturn/Steinbock-Lehrer, idealtypisch gesehen,
unterstreicht die falsch geschriebenen Wörter, hebt die Fehler
hervor. Er ist ein gnadenloser, unbestechlicher, sachlicher
Kritiker. Ihn interessiert nicht, was sein sollte, könnte, was man
sich wünscht, sondern nur, was ist.
Saturn ist der Planet
der Hoffnungslosigkeit, im positiven wie im negativen Sinne.
Positiv, weil Hoffnung immer auch eine Falle ist, weil sie einen
weg aus dem Hier und Jetzt holt, weil sie sich auf etwas bezieht,
was nicht oder noch nicht ist. Negativ, weil sie auch
lebensfeindlich sein kann. Es hat ja doch keinen Sinn … Um mit
Goethe zu sprechen: Saturn ist der Geist, der stets verneint.
Saturn in sich zu erlösen und ihn sich zum Freund zu machen ist
härteste Arbeit und bedeutet immer auch eine Kränkung unseres
Egos.
Saturn hat diese
Bedeutung auch deshalb, weil er innerhalb des Planetensystems der
letzte sichtbare Planet ist und damit der Hüter der Schwelle.
Manchmal spricht man in diesem Zusammenhang auch vom Januskopf mit
den zwei Gesichtern, einem grimmigen und einem freundlichen,
heiteren, erlösten. Das ist die Schwellensituation: diesseits der
Schwelle die harte, irdische Wirklichkeit, jenseits das Reich der
Freiheit und Leichtigkeit, erlöst von der Raum-Zeit-Dimension.
Saturn ist der einzige Planet, bei dessen Symbol das Kreuz, das das
Eingebundensein in Zeit und Raum, in die Gesetze der materiellen
Welt darstellt, an oberster Stelle steht. Unter dem Kreuz ist der
Halbkreis, der für das Seelische, das Fließende steht und der hier,
wie Oskar Adler es ausdrückt, von den Gesetzen der materiellen Welt
unterdrückt und geknechtet wird.
Saturn verkörpert das
Grenzsetzende in jeder Hinsicht. Dort, wo Saturn im Horoskop wirkt
– das ist bei jedem von uns unterschiedlich -, kommen wir mit
schmerzhaften Grenzerfahrungen in Berührung. Wir erreichen einfach
nicht alles, was wir wollen, da helfen auch keine Wochenendseminare
über positives Denken. Wir haben es mit dem Schicksal zu tun,
machen Erfahrungen, die uns mit dem konfrontieren, was wir nicht
ändern können, weil es nicht in unserer Macht liegt. Solche
Schicksalserfahrungen können uns reifen lassen. Das Annehmen des
Schicksals kann uns zu heiteren Weisen werden lassen, es kann aber
auch ein Gefühl der Demütigung auslösen, und dann fühlen wir uns
wie die Stiefkinder Gottes, Pechvögel, Verlierer.
Ein schöner Satz
lautet: »Du wirst Saturn nur los, indem du ihn annimmst.« Mit
anderen Worten: Wenn du dich mit deiner individuellen Begrenztheit
und Unvollkommenheit aussöhnst, auch mit den Schattenseiten deines
Wesens, die du nicht gerne siehst, die dir peinlich sind, hast du
gewonnen; wenn du sagst: Das bin ich auch. Die Chassidim sagen: »Um
deinetwillen wurde die Welt erschaffen« und »Du bist nur Staub und
Asche«. Das schmerzliche Bewusstsein der eigenen Begrenztheit, in
welcher Form auch immer, ist es, was Saturn uns zeigt, und im
besten Fall kann man durch seine Lektion im positiven Sinne demütig
und klar werden.
In der Psychoanalyse
ist die saturnische Entsprechung das Über-Ich, also jene Instanz,
bei der es um Normen geht, den strengen inneren Richter. Jupiter
ist das Ideal-Ich mit dem Motto »Du sollst«. Das entsprechende
Motto Saturns ist: »Du musst« bzw. »Du darfst nicht«.
Es ist noch
interessant zu erwähnen, dass der Name Saturn verwandt ist mit dem
hebräischen Wort Saton, »der Verhinderte«, von dem wiederum das
Wort Satan stammt. Im übertragenen Sinne könnte das bedeuten: Das,
was nicht leben darf, was du »verhinderst«, wird böse. Damit wären
wir wieder bei der Schattenseite des Prinzips, den verschlungenen
Kindern, und bei einer sehr interessanten Sichtweise des Bösen. Ich
erinnere an die dreizehnte Fee, die in dem Märchen Dornröschen verhindert werden sollte: Sie durfte
nicht mitleben, nicht mitfeiern, nicht mitessen und wurde deswegen
zur bösen, Unheil bringenden Fee. Alles, was wir in uns verhindern
wollen, nicht mitleben lassen, welche Seite unseres Wesens auch
immer, läuft Gefahr, dadurch böse zu werden. Alles Böse kommt von
einem abgespaltenen Archetyp, sagen die Jungianer. Anders
ausgedrückt: Was du nicht lebst, lässt dich nicht
leben.