Puer aeternus
In der Psychologie
von C. G. Jung und seinen Nachfolgern gibt es vier verschiedene
Gesichter des Männlichen, und eines davon trägt die Bezeichnung
ewiger Jüngling oder Puer aeternus. Diese Gestalt entspricht dem
Zwillinge-König, dem Zwillinge-Männerbild. Der ewige Jüngling hat
inspirierende geistige Qualitäten, er ist ein Denker, im Salon zu
Hause, auf dem Marktplatz, überall da, wo Austausch, Kommunikation
und Lebendigkeit gefragt sind. Er ist aber auch derjenige, der
liebt und verlässt, ein Zigeuner, ein Luftikus, seine Schattenseite
ist ein Mangel an Verantwortungsgefühl. Die Verantwortlichkeit ist
im Gegenpol des ewigen Jünglings zu Hause, beim sorgenden
Vatertypus. Das heißt nicht, dass der Puer nicht auch ein
wunderbarer Vater sein kann, er kann zum Beispiel seine Kinder auf
dem Weg zu einer erwachsenen Persönlichkeit begleiten, ihnen Wind
unter die Flügel blasen, sie auf den Marktplatz schicken, ihre
Neugier wecken. Der Vater als verlässlicher Fels in der Brandung,
das ist allerdings nicht seine Rolle.
Die Schattenseite
dieses Mannes, dieses Königs, ist eine Art freundliche
Unzuverlässigkeit. Er vermittelt das Gefühl, nicht da zu sein, wenn
man ihn braucht, weggeflogen. Frauen mit Zwillinge-Sonne haben eine
Affinität zu Männern mit positiven Puer-Qualitäten wie Klugheit,
geistige Beweglichkeit, Lebendigkeit, Humor. Wahrscheinlich werden
sie jedoch auch die Schattenseite dieses Typus kennen lernen:
Männer, die verschwinden, wenn man sie braucht, auf die man sich
nicht verlassen kann.
In diesem Zusammenhang
möchte ich noch einmal an das Motiv des Schmetterlings erinnern.
Zwillinge hat mit seiner Schmetterlingsenergie einfach nicht die
Aufgabe, verlässlich zu sein, sondern soll wie der Schmetterling
die Welt bunter und lebendiger machen. Dazu kann er sich ruhig
bekennen, anstatt zu versuchen, sich selbst oder anderen eine
Verantwortlichkeit, Ernsthaftigkeit und Geradlinigkeit
vorzuspielen, die nicht zu ihm passt und die er auf Dauer nicht
durchhalten kann. In meiner Praxis habe ich oft Zwillinge-betonte
Menschen als wandelndes schlechtes Gewissen erlebt: »Ich sollte
mich endlich entscheiden, ich sollte mich endlich bekennen, ich
sollte endlich eindeutiger werden«; dabei wäre genau das der Tod
der Zwillinge-Energie. Das heißt nicht, dass man nicht auch
Entscheidungen treffen könnte; man muss sich nur ehrlicherweise
eingestehen, dass sich möglicherweise morgen schon alles ändert.
Deswegen wäre es von vornherein wichtig, nicht zu viel zu
versprechen und sich nicht dadurch Blei in die Flügel zu packen.
Die Herausforderung an einen Partner könnte dann so lauten: Liebst
du mich auch als Schmetterling, kannst du mich immer wieder
loslassen, gehen lassen, wegfliegen lassen? Bist du bereit, mit
dieser Unsicherheit zu leben? Hier geht es oft mehr um Begegnungen
als um Beziehungskisten, in denen man Atembeschwerden bekommt.
Diese Liebesenergie ist nicht besser oder schlechter als irgendeine
andere, es ist einfach das Gesicht von Liebe, das für die
Zwillinge-Energie stimmt, und das kann man mögen oder auch
nicht.
Die
Eltern-Kind-Beziehung unter diesem Zeichen betrachtet man besser
nicht als Einbahnstraße, sondern als wechselseitigen Lernprozess,
bei dem auch Kinder Lehrer für die Eltern sein können. Am besten
funktioniert das, wenn Vater oder Mutter bereit sind, das kleine
Wesen, das da neu in die Familie kommt, erst einmal in Augenschein
zu nehmen und zu sehen: Wer bist du, was kann ich von dir lernen,
was kannst du mir über diese Welt erzählen? Später, wenn Eltern
älter werden und Kinder erwachsen, sind Zwillinge-Kinder oft
diejenigen, die für die geistige Entwicklung der Eltern sorgen,
ihnen Bücher schenken und sie anregen, sich
weiterzubilden.