Oben und unten
Aus dem
Kentauren-Bild lassen sich sowohl die Potenziale als auch die
Problematik des Schütze-Prinzips ableiten. Laut Kryananda, dem
indischen Astrologen, hat der reife Schütze eine Lebenshaltung, die
man mit dem Satz »Verehrung nach oben und Liebe nach unten«
definieren könnte: Verehrung für das, wohin ich den Pfeil richte,
für das, was mir heilig ist, und Liebe nach unten, das heißt in
Richtung Pferdeleib, meine niedere, animalische Seite. Beides
gehört zur Ganzheit des Kentauren. Die Problematik des unreifen
Schützen, die Kryananda formuliert, ist Verehrung nach oben und
Verachtung nach unten.
Wer eine so hohe
ideale Norm hat, wer sich immer auf den höchsten Berggipfel bezieht
– man könnte diese Haltung als »Himalaja-Syndrom« bezeichnen -, der
ist einerseits gesegnet. Viktor Frankl sagt: »Nimm dir immer das
höchste Ziel vor, nur dann schaffst du das, was möglich ist.«
Hierher gehört die Bereitschaft, Großes zu wagen, »ein großes
Wasser zu durchqueren«, sich mit dem Feuer der Begeisterung auf den
Weg zu machen, für das zu gehen, wofür man brennt, mit absolutem
Einsatz und Enthusiasmus. Auf der anderen Seite ist ein so hohes
Ziel auch ein großes Handikap. Sich selbst an einer so hohen, oft
unerreichbaren idealen Norm zu messen kann zu ständigen
Selbstzweifeln und Minderwertigkeitsgefühlen führen. Mit sich
selbst im Moment zufrieden zu sein, die eigene
Durchschnittswirklichkeit zu akzeptieren, die eigene
Unvollkommenheit, aber auch die der anderen, das fällt keinem
Zeichen so schwer wie Schütze. Hier ist der moralische Imperativ zu
Hause: Ich sollte, du solltest. Kein Zeichen tritt mit einem so
hohen Anspruch auf Vollkommenheit an, keines fühlt sich dem höheren
Selbst, dem göttlichen Wesen in uns, so sehr
verpflichtet.