Mond in Fische
Das Mutterbild ist
hier die mediale Frau, die Grenzgängerin, die Mittlerin zwischen
Bewusstem und Unbewusstem: hellhörig, feinfühlig, intuitiv. Diese
Mütterlichkeit ist empfindsam und sensibel für die Bedürfnisse,
Wünsche und Seelennöte des Kindes, diese Mutter ist mit ihrem Kind
so symbiotisch verbunden, dass ihr zum Beispiel das Knie wehtut,
wenn das Kind zehn Kilometer weiter weg mit dem Fahrrad stürzt
(diese Geschichte hat mir eine Fische-Mond-Mutter erzählt). Die
ozeanische Fische-Liebe kann Zeit und Raum überwinden. Ein
Fische-Mond-Mensch kann sich mit jemandem ganz eng verbunden und
nah fühlen, der sich in einem anderen Erdteil befindet oder schon
gestorben ist. Wir haben es hier mit einer Liebesenergie zu tun,
die jede Form von Getrenntheit überwindet. Diese Liebe ist
irrational, man kann sie nicht begründen – weil der andere so
erfolgreich ist oder so schön usw. -, es ist etwas, was einfach
geschieht, was einem zufließt; etwas, worauf wir keinen Einfluss
haben mit unserem bewussten Denken und Tun. Die helle Seite dieser
Liebesenergie, hier auf der mütterlichen Ebene, äußert sich in
einer verständnisvollen, empfindsamen Haltung dem anderen
gegenüber, in der Eigenschaft und Fähigkeit, die Welt durch die
Augen des geliebten Menschen zu sehen und ihn in seiner Welt
bedingungslos zu akzeptieren. Diese Liebesenergie ist so wohltuend,
weil man in der Gegenwart eines Fische-Mondes nie das Gefühl hat,
sich besonders anstrengen zu müssen, etwas leisten oder darstellen
zu müssen. Man ist okay, einfach so, wie man ist –
liebenswert.
Auf die Schattenseite
des Fische-Mondes gehört das Bild der Märtyrerin, der
schmerzensreichen Frau, die so edel und so gut ist, dass jeder
Mensch in ihrem Umfeld vor Schuldgefühlen verzweifelt. Jemand, der
sich nur aufopfert, an sich selbst zuletzt denkt. Solch eine Mutter
darf man nicht enttäuschen – nicht ohne große Schuldgefühle. Opfer
können sehr mächtig sein. Leidende, verletzbare, empfindsame
Menschen haben oft unglaubliche Macht, gerade durch ihre Schwäche.
Hier kann eine Art Leidenssog entstehen, auch eine Verliebtheit ins
Leid der Welt, die dazu führt, dass man sich nicht mehr traut zu
lachen und zu tanzen, wo es doch so viel Unglück auf der Welt
gibt.
Kinder mit Fische-Mond
sind der Prototyp des so genannten »begabten« Kindes, wie es Alice
Miller in ihrem Buch Das Drama des begabten
Kindes beschrieben hat. Dieses Kind muss nicht bessere
Schulleistungen haben als andere oder intelligenter sein. Seine Art
von Begabung ist sehr speziell, sie besteht darin, Wunschbilder der
Familie zu erahnen und sich in diese Wunschbilder zu verwandeln. So
ein Kind spürt die Erwartungen der Eltern, identifiziert sich mit
ihnen und lernt ganz unbewusst, diese Rolle zu spielen. Hat zum
Beispiel die Mutter den mehr oder weniger unbewussten Wunsch, ihr
Sohn solle einmal Priester oder ihre Tochter Tänzerin werden, dann
ist dieser Wunsch Befehl: Wie ferngesteuert besucht der Sohn das
Priesterseminar, und die Tochter quält sich im Ballettunterricht.
Fische-Mond-Kinder sehen sich selbst zunächst nur durch die Augen
der Mutter. Die Mondwelt ist das Mütterreich, und unsere erste
Umwelt ist die Mutter; von ihr nicht geliebt zu werden ist für
jeden Menschen ein Todesurteil. Die Logik des Fische-Mondes ist vom
Kind aus gesehen: Wenn die Mutter mich freundlich ansieht, heißt
das, ich bin gut, wenn sie böse schaut, heißt das, ich bin
schlecht. Diese Kinder haben keine Trennlinie, keine Abwehr
gegenüber der Sichtweise der Mutter, sie sind vollkommen
durchlässig für deren Sichtweise und identifizieren sich damit. Das
kann im Extremfall dazu führen, dass sie, wenn die Mutter sie nicht
liebt oder keinen Platz für sie hat, glauben, keine
Daseinsberechtigung zu haben, kein Recht, etwas für sich zu
fordern. In der therapeutischen Arbeit ist es dann zum Verzweifeln:
Der Patient gibt sich selbst nicht das Recht auf Leben. Die
Identifikation mit der Todesmutter, der Mutter, die ihn nicht
wollte, kann so stark sein, dass ihn nichts mehr auf die Straße des
Lebens zurückführen kann. Auch wenn ein guter Therapeut nicht
heilen will, wie C. G. Jung sagt, ist es für ihn sehr schwer
auszuhalten, wenn jemand aus der Tiefe seines Wesens kein Ja zu
sich selbst findet. Wenn die Seelenströmungen des frühen Umfeldes
eher der Energie des Ja entsprachen, wird dieses Ja irgendwann
selbstverständlich werden, aber wenn sie eher mit einem Nein zu tun
hatten, wird dieses Nein verinnerlicht und kann bis zum Suizid
führen.
Männer mit Fische-Mond
fühlen sich auf der seelischen Ebene oft zur geheimnisvollen
medialen Frau hingezogen, die die inneren Welten kennt, oft auch zu
schmerzensreichen Frauen, die ihnen das Gefühl vermitteln: Rette
mich, hilf mir. Vielleicht war das auch ein Kindheitsthema; hier
geschieht es häufig, dass Kinder die Mutter retten wollen als
hilflose Helfer. Eine Gefahr für Fische-Mond-Männer ist, dass sie
oft bis zur Selbstverleugnung guter Sohn sein möchten. Ihnen fehlt
dann der im Eisenhans-Märchen
thematisierte Mut, den Schlüssel unter dem Kopfkissen der Mutter zu
stehlen, um den wilden Mann zu befreien. Sie wollen schuldfrei
leben, nichts Böses tun, niemanden enttäuschen, und geben dadurch
nicht selten einer Partnerin die Macht, ihnen Schuldgefühle zu
bereiten, den schuldbewussten Sohn in ihnen
anzusprechen.
Die helle Seite ist
natürlich, dass diese Männer von der Anlage her außerordentlich
viel Liebe und Verständnis für ihre Partnerin, für das Weibliche
überhaupt haben. Die Gefahr ist allerdings, dass sie sich selbst
kastrieren durch übergroße Rücksichtnahme. Eine Mutter, die diese
Bereitschaft ausnützt, indem sie Schuldgefühle in ihrem Sohn
fördert, ihn manipuliert, schafft damit eine enorme Hypothek für
seine späteren Beziehungen. Ein weiterer nicht unproblematischer
Aspekt von Fische-Mond-Liebe, auch von Fische-Venus, ist die so
genannte romantische Liebe, deren Logik besagt, dass die schönsten
Lieder die ungesungenen sind. Je ferner, je unerreichbarer, desto
lieber. Die große Liebe ist immer die unerfüllte.
Tristan, das heißt
»Kind der Traurigkeit« (er hatte seine Mutter früh verloren), war
durch einen Zaubertrank in unsterblicher Liebe mit Isolde von
Irland verbunden, die jedoch seinem Herrn König Marke von Cornwall
versprochen war. Sie trafen und liebten sich heimlich, verzehrten
sich in Zeiten der Trennung vor Sehnsucht, aber öffentlich, in der
irdischen Welt, war es nicht möglich, diese Beziehung zu leben. Das
erinnert an die Nixen-Thematik im Märchen: Man kann die
Nixen-Frauen nicht – zumindest nicht für lange – an Land holen,
auch wenn man ihr Schwanenkleid oder ihr Robbenfell stiehlt;
irgendwann kehren sie zurück in ihr Wasserreich. Die
Nixen-Begegnung steht meist für das Liebes-Erlebnis, faszinierend und leidenschaftlich, aber
nicht für die Alltagsbeziehung geeignet.
Zurück zu Tristan:
Irgendwann hat er das vergebliche Schmachten satt und geht nach
Frankreich, wo er eine andere Isolde heiratet: Isolde, die
Weißhändige. Allein dieses Attribut weist auf die irdische Seite
des Weiblichen hin (Hand hat mit handeln und Handlung zu tun und
ist somit ein Thema des Erdelements). Nur – schon in der
Hochzeitsnacht ist er mit all seinen Gedanken und seiner Sehnsucht
bei der unerreichbaren Isolde von Irland, worauf die Weißhändige in
ihrer Empörung und Verletzung das Schlussdrama inszeniert. Als
Isolde von Irland zur Rettung des todkranken Tristan herbeieilt,
vertauscht Isolde die Weißhändige die Signale. Isolde wähnt ihren
geliebten Tristan tot und stürzt sich ins Meer, Tristan folgt ihrem
Beispiel und bringt sich um. Das ist das Ende dieser romantischen
Liebesgeschichte.
Hans Jellouschek sagt,
dass das spirituelle Vakuum in unserer westlichen Welt unter
anderem dazu führt, dass wir unsere ozeanischen Sehnsüchte in
Beziehungen hineintragen. Dann muss es der Traummann oder die
Traumfrau sein, die Dualseele, die ganz große Liebe. Doch dadurch
können reale Beziehungen gnadenlos überfordert werden. Wenn wir mit
unserer göttlichen Unzufriedenheit nicht anders umzugehen lernen,
zum Beispiel durch Meditation, führen unsere neptunischen
Sehnsüchte zur Mystifizierung von Beziehungen, und da wir wissen,
dass jede Wirklichkeit den Traum zerstört, greifen wir unbewusst in
die Trickkiste und verlieben uns in unerreichbare Menschen. Dann
können wir träumen, schmachten, wunderbar leiden, und wir reden uns
ein, dass der unerreichbare Geliebte, die unerreichbare Geliebte,
nur den Partner verlassen oder zu uns ziehen müsste, und alles wäre
gut. Insgeheim haben wir vor nichts mehr Angst als gerade vor
dieser Realität, die auch dem Gegenpol des Erdzeichens Jungfrau
entspricht. Diesen Gegenpol zu integrieren heißt, Spiritualität in
den Beziehungsalltag zu bringen, zum Beispiel gemeinsam zu
meditieren, sich gemeinsam auf die Reise zum Ozean zu
machen.