Sonne in Wassermann

Man sagt, die Sonne ist hier im Exil, weil sie ihr Domizil in Löwe hat. Insofern entsteht das seltsame Bild eines Königs, der eigentlich gar kein klassischer König sein möchte. Der die Hierarchien, die zum Königsprinzip gehören, ablehnt. Warum soll irgendeine königliche Würde, irgendeine persönliche Art von Macht besser oder schlechter sein als die eines anderen Menschen? Hier geht es nicht um die Frage: Wer ist besser, wer hat Recht, sondern um das Prinzip der Gleichwertigkeit. Das Leitmotiv, von dem ich glaube, dass es auch kollektiv den König im Spiegel des Zeitgeistes zeigt, ist hier der brüderliche König, kein Herrscher, sondern ein starker Bruder-Mann, und damit verbunden eine Absage an das alte hierarchische Männlichkeitsbild – stärker sein, besser sein, das ewige Kräftemessen. Wozu sich auch vergleichen, wenn jeder auf seinem eigenen Planeten wohnt und dort seine ganz eigene Welt entwickelt, wie Diogenes. Seine Botschaft ist: »Vergleiche dich nie, sei dein eigener Maßstab.« Die helle Seite ist hier der Vater als Freund. Wenn es um väterliche Autorität und Macht geht, stellt er sich nicht über seine Kinder oder über seine Angestellten, sondern sieht diese Gemeinschaft eher als Team. Autorität äußert sich hier darin, Freundschaft und Gleichwertigkeit herzustellen.
Ein kleines Kind mit Wassermann-Sonne will im Vater vor allem einen humorvollen Freund finden. Einen, der nicht immer Bescheid wissen muss im Sinne von »Wahrlich, ich sage dir«, sondern die Botschaft vermittelt: »Geh deinen Weg. Ich wünsche dir alles Gute dafür, aber ich kenne diesen Weg nicht, ich kann nicht dein Guru sein. Ich erzähle dir gern meine Sicht der Dinge, mach damit, was du willst.« Also eigentlich ein Vater, der nicht im klassischen Sinne Vater oder Autorität sein möchte. Auch das hat wieder zwei Gesichter; es kann eine weise Verantwortungslosigkeit sein, die dem Kind den Freiraum lässt, den es braucht, um sich zu individuieren, und es kann ein Desinteresse, eine Verantwortungslosigkeit im negativen Sinne sein: Was gehen mich die Kinder an, sollen sie doch selber schauen, wie sie klarkommen.
Die Schattenseite dieses Typus sind Väter, Männer, Autoritäten, die nicht tragen, die einfach weggehen, abwesend sind, bestenfalls freundlich desinteressiert. Frauen mit Wassermann-Sonne haben eine Affinität zu Männern, die etwas vom ewigen Jüngling haben, die sie inspirieren können, die wunderbare Freunde sind im Sinne von Lebensabschnittsgefährten, aber von denen man sich in entscheidenden Situationen vielleicht im Stich gelassen fühlt, die sich nicht bekennen wollen, die klassische Vaterrolle nicht spielen wollen, sich womöglich auch nicht zu den gemeinsamen Kindern bekennen, sich gern aus der Verantwortung stehlen, denen es schnell zu eng wird, Männer, die lieben und verlassen, Zigeuner, manchmal auch schizoide Männer. Für Frauen mit Wassermann-Sonne, die Männer so erleben, ist es wichtig zu erkennen, dass diese Beziehungen auch ein Spiegel für den inneren König sind, und zu versuchen, auch das Positive daran zu sehen. Wenn Männer weggehen, nicht tragen und einem das Gefühl geben, dass man sich auf sie nicht verlassen kann, ist das eine Herausforderung: Verlass dich auf dich selbst. Verlass dich auf keinen äußeren Mann und Vater, sondern entdecke die Autonomie des Wassermann-Königs in dir. Dann wird auch das Drama nachlassen, den Männern immer vorwerfen zu müssen, wie unzuverlässig sie sind. Das Männerbild in der Psyche einer Frau mit Wassermann-Sonne ist für solche Begegnungen mitverantwortlich. Allerdings reizen die Männer, die den sorgenden, stabilen Vatertypus verkörpern, diese Frauen meistens gar nicht. Das ist das zweischneidige Schwert: Der innere Mann führt hier zu Begegnungen mit dem Puer aeternus, der wie jeder Archetyp eine helle und eine dunkle Seite hat. Die Zigeunerthematik des Liebens und Verlassens kann man genießen und feiern, und manchmal kann man sich dabei verdammt allein fühlen. Hier muss man sich die ehrliche Frage stellen: Wie viel Nähe will ich wirklich zu einem Mann? Denn wer wirklich Nähe oder eine enge Bindung sucht, gerät nicht dauernd an Zigeuner.
Der Bezug zu Vätern ist hier insofern schwierig, als Wassermann angetreten ist, den Geist der Väter zu erneuern, den alten König in Frage zu stellen. Das kann auch zu einer extremen Haltung von Söhnen oder Töchtern führen, die den Vater schon aus dem Grund nicht akzeptieren, weil er ein Vater ist. Möglicherweise bleibt man ein Leben lang in einer pubertären Revoluzzerhaltung: Man glaubt keinem Meister, keinem Guru, keinem Lehrer, einfach deshalb, weil es ein Meister, ein Guru, ein Lehrer ist. Die hohe Schule des Wassermanns ist hier die Erkenntnis: Reife heißt, das Rechte auch dann zu tun, wenn es die Eltern empfohlen haben. Es kann auch sein, dass man dem Vater nichts verdanken will, weil man sein eigener Vater, sein eigener Guru werden will. Dieser Gedanke drückt sich überspitzt in einem Witz aus: Tritt ein Sohn vor seinen Vater, onaniert und sagt: »Da hast du deine Auslagen zurück.«
Wer einen Wassermann-König in sich hat, für den ist das größte Geschenk, das er auf dieser Ebene bekommen kann, innere Freiheit und Unabhängigkeit und die Weisheit des heiteren Narren, der in diesem Universum vor allem Beobachter ist. Auf dem Weg zum Königsthron akzeptiert er es, »abschiedlich zu leben«.
Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen
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