24
Rectorplateau, Gillfillan's Gold Randgemeinschaft, Peripherie19. Mai 3059
»Aces, wir verabschieden uns von
hier!«
Harley konnte nicht glauben, was er da hörte. Die
Stimme gehörte ganz eindeutig Livia Hawke, aber
der Befehl ergab absolut keinen Sinn. Eine Anweisung zum Rückzug?
Warum? Einen entscheidenden
Moment zögerten er und der Rest der Hawke's Talons, dann brach ein
Stimmengewirr über die Kommleitung, als sie alle zugleich
versuchten, eine Bestätigung für diese Order zu erhalten.
»Bitte wiederholen, Feuerball Eins«, stammelte
Harley ungläubig.
Der Augenblick der Unsicherheit hätte zu keinem
besseren Zeitpunkt für die Ausbeuter kommen können. Die Piraten
stürmten gerade durch die Lücke,
die die Konflikt-Lanze in der Schlachtreihe der Einserkompanie
gehalten hatte. Sie pflügten durch die
Linie in den freien Raum im Rücken der Aces, wo
ihre Landungsschiffe auf sie warteten, um sie in Sicherheit zu
bringen.
Der AusbeuterTimber Wolf preschte in
gestrecktem Galopp an Harley vorbei wie ein Sturmwind,
während seine schweren Laser die Feuerball-Lanze unter Beschuß
nahmen. Ein Schuß ging vorbei, der andere bohrte sich in Jord
MacAulds Victor, schlug in dessen
rechtes Mechbein und verzehrte die Panzerung, die es beschützte.
Hawkes Orion und Lewis' Hermes II eröffneten beide das Feuer, als er
vorbeizog, aber nur eine Salve aus Lewis' leichter Autokanone traf.
Er erwischte den Timber Wolf knapp
oberhalb des Waffenmoduls am Arm und beschädigte die
Panzerung.
Harley drehte sich auf der Pilotenliege und zog mit
dem Steuerknüppel das Fadenkreuz über den auf die
Landungsschiffe zurennenden Dervish.
Ohne sich
um das Risiko eines Wärmestaus zu kümmern, löste
er Autokanone und schweren Laser gleichzeitig aus.
Neben ihm visierten Bix und Fox gemeinsam den
schwerfällig heranwuchtenden Thug an
und gaben
ihm ihre vereinte Feuerkraft zu schmecken. Die Autokanonensalve
verfehlte den Dervish, aber
der Laserschuß saß. Er traf den beschädigten rechten
Arm, schnitt durch die dünne, brandspurgezeichnete
Panzerung und grub sich tief ins Innere. Dort war
eingelagert, was dem Mech an Kurzstreckenraketen
geblieben war. Die blutrote Lanze des Lichtwerfers
brannte sich durch das Munitionsgehäuse und in den
Nachlademechanismus, der wohl gerade dabei gewesen sein mußte, die
Abschußrohre neu zu bestücken.
Ein Sprengkopf detonierte zuerst und ließ den Arm
erzittern. Eine ganze Sekunde später explodierten
drei weitere Raketen, gefolgt vom Rest der Munition
in einem gewaltigen Feuerball aus orangeroten und gelben Flammen.
Der Arm wurde von der Explosion völlig pulverisiert, und der
Dervish geriet heftig ins Wanken, als
sein Pilot versuchte, den plötzlichen Gewichtsverlust und die
Druckwelle der Explosion
abzufangen.
Das Kommsystem knackte, und Livia Hawkes
Stimme drang über die Verbindung. »Letzten Befehl
ignorieren. Kompanie Eins umschalten auf Kanal
Bravo Lima Cäsar Fünnef.«
Harleys Finger flogen über die Tastatur, als er den
neuen Kanal einstellte.
»Was ist passiert?« Die zitternde Stimme gehörte
Gefreitem Jord MacAuld.
»Wer auch immer den Befehl gegeben hat, hat eine Aufzeichnung
meiner Stimme benutzt. Das war
nicht ich. Sie wußten, welche Frequenz wir benutzen,
und haben meine Stimme benutzt, um uns aus dem
Gleichgewicht zu werfen«, erklärte Hawke. »Feuerball-Lanze,
Kehrtwende und Angriff. Läufer-Lanze,
schräg rechts, an unserer Flanke aufschließen und
Geschwindigkeit angleichen.«
Der Timber Wolf war mit Leichtigkeit
durch die
Linien der Aces gebrochen und nicht einmal langsamer geworden, um
seinen hinter ihm zurückbleibenden Kameraden zu helfen. Der
ClanMech war voll
damit beschäftigt, seinen Vorsprung zu den beiden
restlichen Acer-Mechlanzen auszubauen. Er ließ den
kurzarmigen Dervish, den Thug und den Wyvern
weit
hinter sich zurück, die allesamt verzweifelt versuchten,
mitzuhalten, um nicht zurückgelassen zu werden. Was die Schlacht
als zwei Kompanien Morrisons Ausbeuter begonnen hatte, war auf das
hier zusammengeschrumpft, vier Mechs, eine einzige Lanze. Der Rest
wurde von den Kompanien Zwo und
Drei abgefrühstückt.
Harley und der Rest seiner Lanze schwenkte im
selben Moment an der hinteren Flanke in Position, in
dem Fox die Laser ihres Hatchetman ins
Spiel brachte. Judith Glancy, die Lanzenführerin, kam neben
ihn
und deckte den Dervish auf maximale
Entfernung
mit allem ein, was sie an Distanzwaffen zu bieten
hatte.
Auch Harley bereitete sich darauf vor, die Waffen
abzufeuern. Sein Fadenkreuz leuchtete auf, und das
Summen der Zielerfassung klang in seinen Ohren, als
er eine Salve Langstreckenraketen aus dem Himmel
herabstürzen und in Rücken und Beine des Thug einschlagen sah.
Harleys Kopf flog in den Nacken, und er sah
durchs Kanzeldach, wie Davis Gilbert von der zerschlagenen
Konflikt-Lanze seinen Luft/Raumjäger
hochzog und über das Plateau eine weite Kurve flog.
Der Thug drehte sich nach diesem
Angriff etwas. Der
Mechpilot mußte erkannt haben, daß die gefährlich
dünne Rückenpanzerung seiner Maschine ihn verwundbar
machte.
Harley Rassor fühlte sich gedrängt, ihm zu beweisen, wie recht er
damit hatte.
Eine Hitzewelle stieg durch das Cockpit, als er die
Feuerkraft des Enforcer zum Tragen
brachte, während der Mech in Höchstgeschwindigkeit über
die
Hochebene rannte. Die Autokanonensalve verfehlte
erneut ihr Ziel, aber der rote Energiestrahl des
Lichtwerfers stieß in die Rückenpanzerung des Thug
und weitete eine der Breschen, die der Luftangriff
des Lucifer hinterlassen hatte. Die
gebündelte Lichtenergie drang tief in den Rücken des
überschweren
Kampfkolosses ein, zertrennte Myomermuskelgewebe und hinterließ
eine kränklich grüne Wolke verbrannten Kühlmittels, die aus dem
schwarzverbrannten Loch stieg, als der Energiestrahl abbrach.
Läufer Vier, Dabney Fox' Hatchetman,
setzte drei
Millisekunden später nach. Sie feuerte einen ihrer
mittelschweren Laser auf den Kopf des Thug ab,
doch der Schuß ging hoch über die Schulter des stählernen Riesen
und knapp an seinem Cockpit vorbei.
Der andere M-Laser fand dieselbe Panzerbresche, die
auch Harley ausgenutzt hatte, und bohrte sich noch
tiefer. Ihre Autokanonensalve schlug in einen der
wuchtigen Arme der Piratenmaschine und zertrümmerte die wenigen
dort noch vorhandenen Panzerplatten.
Weiter entfernt sah Harley den schon arg zerbeulten Dervish unter Glancys Bombardement untergehen. Er
drehte den Torso, und aus dem Stummel eines
der Mecharme peitschten zerfetzte Myomerstränge
durch die Luft, als er den Angriff zu erwidern versuchte. Bixby
Finch war nicht beeindruckt. Er nahm
den Piratenmech von einer Seite unter Beschuß und
feuerte im selben Moment wie Jord auf der anderen. Angesichts der
schieren Energiemassen, die beide
Acer in den Ausbeuter-Mech pumpten, war schwer
zu sagen, wer von den beiden ihn erledigt hatte.
Schlußendlich spielte es auch keine Rolle. Der Dervish zuckte und zitterte wie unter einem
epileptischen
Anfall. Die restliche Munition wurde von der Hitze
und den Treffern am anderen Arm zur Explosion gebracht. Flammen
leckten an den Flanken des in Todeszuckungen liegenden Mechs hoch.
Der Pilot löste
den Schleudersitz aus, um dem Tod zu entgegen. Das
Kanzeldach flog absprengt davon, und auf einer weißen Rauchwolke
stieg der Schleudersitz hoch in die
Luft, bevor sich der Fallschirm öffnete. Im selben
Moment kippten die Überreste des Dervish zum letzten Mal um und krachten donnernd
auf den Felsboden der Hochebene.
»Abschuß«, rief Bix.
»Den Teufel«, erwiderte Jord. »Nimm's nicht persönlich, Anfänger,
aber den kannst du dir nicht ans
Revers heften. Das war mein Abschuß.«
»Ihr werdet mir beiden einen zu meinem
Abschuß
ausgeben«, stellte Glancy fest.
Harley ignorierte den Rest der Unterhaltung und
konzentrierte sich auf das Gefecht. Sein Ziel, der
Thug, war in einer trostlosen
Verfassung. Harleys
Sensoren zeigten an, daß entweder er oder Fox den
Kreiselstabilisator beschädigt hatten. Außerdem war
der Mech langsamer geworden und schien ungewöhnlich heißzulaufen,
beides Hinweise auf Schäden
am Fusionsreaktor, der die gewaltige Kampfmaschine antrieb. Der
schon unter besten Umständen einen
reichlich langsamen Kampfkoloß steuernde Pirat an
den Kontrollen des überschweren Mechs mußte erkannt haben, wie
verschwindend klein seine Chancen
waren, die Landungsschiff zu erreichen und zu entkommen.
Statt weiterzulaufen, statt umzudrehen und sich
zum Kampf zu stellen, blieb der Thug
stehen, hob die
gewaltigen Arme und schaltete sich ab. Es war seit
Jahrhunderten das akzeptierte Zeichen für die Kapitulation eines
Mechpiloten, Der Mech ragte wie ein
gewaltiger Berg aus Metall vor Harley auf, als er
weiter auf ihn zustürmte, ohne das Fadenkreuz vom
Rumpf der Maschine zu ziehen. Sein Daumen
schwebte über dem Auslöser des schweren Lasers
auf der Oberseite des Steuerknüppels.
In seinem Kopf hatte nur der Gedanke daran Platz,
daß dies die Piraten waren, die Ben in einen Hinterhalt gelockt und
ermordet hatten. Dafür verdienten
sie es zu sterben. Dann drang eine Stimme aus seinem
Helm-Lautsprecher. Livia Hawke funkte ihn
über Privatfrequenz an.
»Tu es nicht, Harley«, sagte sie.
»Sie haben Ben ermordet« Harley rückte weiter
auf den Thug vor und bremste nur leicht
ab, als sein
Ziel auf der Sichtprojektion und dem Hauptsichtschirm immer größer
wurde.
»Er hat sich ergeben. Das müssen wir akzeptieren.
Wenn du ihn jetzt umbringst, bist du auch nicht besser als
er.«
Harley versuchte, die Worte und die Wahrheit zu
verdrängen, die in ihnen steckte. Er war ein Jäger, und
jetzt ein MechKrieger, aber ein Feigling oder ein Mörder war er nie
gewesen. Und er machte sich klar, daß
Ben unter denselben Umständen gefeuert hätte, ganz
egal, was sie oder irgend jemand sonst gesagt hätte. Ben war sein
Bruder, aber sie waren verschieden.
Erst jetzt erkannte Harley, wie verschieden. Die Töten ehren
bedeutet, die Lebenden respektieren, hatte
Da immer gesagt, und er hatte sich bemüht, das seinen Söhnen
beizubringen.
Harley atmete langsam aus und hob den Daumen
vom Feuerknopf. »Sie haben recht, Oberleutnant,
auch wenn es mir nicht gefällt.«
Frustriert stieß er den rechten Fuß auf und drehte
sich von dem regungslosen Thug weg in
Richtung
des flüchtenden Wyvern und des
Timber Wolf. Die
beiden hatten die Feuerball- und die Läufer-Lanze
inzwischen schon so weit hinter sich gelassen, daß es
kaum noch möglich war, sie aufzuhalten. Er sah Gilberts
Lucifer aus dem Himmel auf den
Timber Wolf
hinunterstoßen und alles abfeuern, was er aufzubieten hatte. Der
Angriff schleuderte eine gewaltige
Wolke aus Rauch, Staub und Flammen auf, aber als
sie sich verzogen hatte, war der OmniMech immer
noch intakt und auf der Flucht.
Harley brachte den Enforcer zum Stehen,
als ihm
klar wurde, daß eine weitere Verfolgung keine Chance hatte. Neben
ihm hielt auch Bix in seinem zerbeulten Vindicator an.
»Befehle, Ma'am?« funkte Bixby ihre Lanzenfüh
rerin Gefreite Glancy an.
»Feuerball Eins, Ihre Entscheidung«, gab sie weiter. In der Ferne,
kurz hinter dem Rand der Hochebene, sah Harley die Flammen aus den
riesigen Triebwerksöffnungen schlagen, als die gewaltigen
Antriebsmaschinen der Ausbeuter-Landungsschiffe ansprangen und die
alten Kugelschiffe der Union-Klasse
ins All abhoben. Zwei Mechs war es gelungen, dem
Hinterhalt zu entkommen, den die Aces gelegt hatten, und nun
ergriffen sie die Flucht von Gillfillan's
Gold.
»Hierbleiben«, kam der Befehl.
Harley war nicht völlig überzeugt, besonders
nicht, nachdem in den letzten Minuten schon einmal
jemand Hawkes Stimme nachgeahmt hatte. »Wiederholen Sie,
Oberleutnant.«
»Sie haben richtig gehört, Schütze«, stellte sie
streng fest, dann seufzte sie laut genug, daß alle angeschlossenen
MechKrieger es hörten. »Zwei von
zwei Dutzend sind uns entkommen. Ich bin nicht
sonderlich begeistert darüber, aber wenn wir vor die
Geschütze der Landungsschiffe rennen, macht es das
auch nicht besser Außerdem müssen sie erst noch an
unseren Jägern vorbei. Die werden ihnen reichlich zu
beißen geben.«
Harleys Verstand holte zu seinem hämmernden
Puls auf, und er atmete tief durch. Hawke hatte recht,
aber das machte es nicht einfacher für ihn, es zu akzeptieren.
Durch das Kanzeldach sah er den lodernden Flammensäulen der
Fusionstriebwerke hinterher,
auf denen die Piratenschiffe in den fahlblauen Himmel über
Gillfillan's Gold stiegen.
Dann kam eine andere Stimme über die Kommleitung, eine tiefe,
unverwechselbare Männerstimme.
Es war eine Breitbandsendung an die ganze Kompanie Eins. »Feuerball
Eins von Konflikt Eins«, gab
Geschützfeldwebel Coombs durch. »Sie kommen
besser schleunigst her.«
»Lagebericht, Gunney«, gab Hawke zurück. »Wir haben Oberleutnant
Hershorn geschnappt,
aber er wird es nicht mehr lange machen. Sie peilen
besser mein Signal an und machen sich auf die Sokken.«
Harley lief die letzten Meter von seinem Enforcer
zu den übrigen Aces der Einserkompanie, die sich
um die Überreste eines am Boden liegenden Lancelot
drängten. Der Geruch von Ozon drang ihm in die
Nase, zusammen mit dem Gestank verschmorter
Reaktorisolierung, dem klebrig-süßlichen Aroma
verschmorter Myomermuskeln und dem rußigen
Duft des Flammentods. Diese Mischung hatte er
schon früher gerochen, nach der Schlacht um Rectortown.
Der Lancelot war von Kompanie Zwo
abgeschossen worden, auch wenn Harley niemanden davon in
der Gruppe sah. Der Mech lag nur hundert Meter von
der KR-61 Raumfähre entfernt bäuchlings auf dem
harten braunen Fels des Hochplateaus. Kanones Infanteriezug hatte
um ihn herum Aufstellung genommen und sicherte nicht nur die
anderen Acer, sondern
auch die Mechs, die Harley und die anderen ein
Stück abseits abgestellt hatten. Ein paar der Infanteristen standen
auf den Resten eines Mecharms oder
dem zerbeulten Rücken des Lancelot, die
schweren
Sturmgewehre im Anschlag, und suchten das Gelände nach möglichen
Gefahren ab.
Soweit Harley es erkennen konnte, hatte das
Cockpit des Mechs schweren Schaden genommen,
wahrscheinlich durch einen direkten Granaten- oder
Raketentreffer Der größte Teil der Kanzel war eingedrückt und das
Innere war völlig verbrannt. Als er
in den kleinen Kreis trat, sah er, was die anderen betrachteten.
Auf dem Boden lag, in eine stumpf graue
Decke gehüllt, der Körper Oberleutnant Weldon
Hershorns.
»Was ist passiert?« fragte Harley fast im Flüsterton.
Gunney Coombs stand nicht weit von ihm. »Soweit wir das feststellen
können, hat er es geschafft,
zu einem der Piraten ins Cockpit zu steigen. Sie haben einen
Kopftreffer abbekommen, der den MechKrieger auf seinem Platz
gebraten hat. Das Gespenst
saß hinter ihm auf dem Klappsitz. Das hat ihm das
Leben gerettet, aber nur für eine Weile.«
Harleys Blick glitt über das, was vom Körper des
Verräters sichtbar war. Hershorns Hände waren so
schwarz verkohlt, daß sie kaum noch an menschliche
Gliedmaßen erinnerten. Auch das Gesicht war
schwarz und aufgeplatzt, und aus den Rissen in der verbrannten Haut
drang Blut. Vom Schnurrbart war nichts mehr vorhanden. Der Duft von
Rasierwasser, an den Harley sich erinnerte, war verflogen, ersetzt
von einem Geruch nach Geräuchertem, bei dem sich
ihm der Magen umdrehte.
»Er hat es geschafft, sich zu befreien«, erklärte
Coombs, »aber dann ist er in eine Kühlmittelpfütze
gefallen. Das Zeug ist schon auf der bloßen Haut
schlimm genug, aber an offenen Wunden ist es Mord.
Er hat alle Anzeichen einer Kühlmittelvergiftung.« Harley hatte
genug gehört. Es war allgemein bekannt, daß die neongrüne
Kühlflüssigkeit, mit der die
Wärmetauscher arbeiteten, hochgiftig war. Wenn sie
in den Blutkreislauf gelangte, war dem Opfer ein
schmerzhafter Tod sicher.
Coombs schüttelte bei dem grauenhaften Anblick
bedauernd den Kopf. »Der MedTech hat ihn einigermaßen
zusammengeflickt, aber trotzdem hat er
bestenfalls noch ein paar Minuten.«
Oberleutnant Hawke kniete sich neben Hershorn
und fühlte seinen Puls, aber an ihrem Gesicht war
abzulesen, daß der Verräter nicht mehr lange zu leben
hatte.
Harley fragte sich, ob es Hawke leid tat, daß nicht
sie ihn so zugerichtet hatte. Jedenfalls ging es ihm
gerade so.
»Gunney, gib mir das Aufputschmittel«, sagte
Hawke und deutete auf das Medset, das aufgeklappt
vor den Füßen des Feldwebels lag.
»Wenn Sie ihm das verabreichen, stirbt er noch viel schneller,
Ma'am«, stellte Gunney fest und reich
te ihr die Spritze.
»Ich weiß. Ihn kann jetzt ohnehin nichts mehr retten. Aber so
bekommen wir wenigstens noch ein
paar Antworten, wenn wir Glück haben.« Sie beugte
sich über Hershorn und stieß die Nadel in seinen
kraftlosen Körper. Die rote Flüssigkeit drang in den
sterbenden Analytiker.
Harley war starr vor Entsetzen und bekam kein
Wort heraus, als er sah, was sie tat. Selbst auf der
Jagd hatte er immer darauf geachtet, seine Beute
schnell zu erlegen und den Tieren unnötige Qualen
zu ersparen. Er wollte protestieren, aber er schaffte
es nicht. Hershorn war verantwortlich für Bens Tod.
Harley schämte sich für seine Gefühle, aber irgendwie erschien es
ihm gerecht, wenn Hershorn Qualen
litt, selbst wenn es nur für kurze Zeit war.
Hershorn atmete tief ein, und seine Augen klappten so blitzartig
auf, daß Harley einen Moment
glaubte er würde seinen Zustand nur vortäuschen.
Aber das Stöhnen, das dem Verräter aus der Kehle
drang, vertrieb jeden Zweifel daran, daß seine Leiden
echt waren. Er drehte den Kopf gerade weit genug,
um Hawke über sich gebeugt zu sehen.
Hershorn kicherte, dann brach sich ein krankes
Lachen Bahn. Es war das Lachen eines Toten, ein
Geräusch, das Harley einen Moment schaudern ließ. »In Ordnung,
Oberleutnant«, stellte Hawke mit
kalter Stimme fest. »So sieht's aus. Sie haben Kühlmittel im
Körper. Sie wissen, was das bedeutet. Ich kann Ihnen einen
schnellen Tod verschaffen. Aber vorher will ich ein paar
Antworten.« Das war keine Drohung. Wenn überhaupt ein Gefühl in
ihrer Stim
me lag, war es eher Mitleid.
Hershorns Stimme klang zunächst rauh und krächzend. »Sie haben mich
hinters Licht geführt.« Hawke nickte. »So ist es. Und jetzt,
Hershorn, will
ich Antworten: Plant Hopper Morrison noch andere
Überfälle?«
Hershorn hustete einmal kurz, dann verstummte er
Sein Schweigen schien endlos. »Welchen Grund hätte ich, Ihnen das
zu sagen?«
Hawke hielt eine zweite Spritze hoch, in der eine
farblose Flüssigkeit zu sehen war. »Weil ich weiß,
daß das Gift Sie von innen zerfrißt. Ihr Körper steht
in Flammen. Ich kann das Feuer löschen. Sagen Sie
mir, was ich wissen will.« Der Anflug von Mitgefühl, noch Sekunden
zuvor in ihrer Stimme erkennbar, war völlig verschwunden. Jetzt
klang sie nur
noch wütend.
»Die meisten Ausbeuter«, stammelte Hershorn,
»sind auf The Rack. Morrison dachte, daß er ... diese
Welt mit zwei Kompanien erobern kann.«
»Geschätzte Kampfstärke?«
Hershorn schleuderte ihr einen haßerfüllten Blick
zu, als würde sie ihn foltern. »Zwei Bataillone.«
»Luft/Raumelemente?«
Er verzog das Gesicht. »Zehn Jäger ... insgesamt.« »Warum?« Das
Wort hing beinahe greifbar in der
Luft.
»Warum habe ich es getan?« fragte Hershorn und
schien neue Kraft aus der Frage zu ziehen. »Warum
bin ich übergelaufen? Ich wünschte, ich könnte mit
etwas Glorreichem wie Ehre antworten. Ich habe es
...« Er hustete, und diesmal lief ihm ein dünner Blutfaden aus dem
Mundwinkel. »... nicht der Ehre wegen getan. Morrison hat mir Geld
geboten.« »Wie haben Sie meine Stimme nachgeahmt, um
diesen falschen Befehl zu geben?«
»Nicht nachgeahmt«, keuchte er und seine Brust
schien krampfhaft zu pumpen. »Ich kannte Ihre Befehlsfrequenzen.
Ich habe sie eingeteilt, erinnern Sie
sich?« Er schien kurz mit einem Krampfanfall zu
kämpfen und unterdrückte den Husten, der ihn langsam umbrachte.
»Nicht nachgeahmt. Ich habe eine
Aufzeichnung Ihrer Stimme vom Vogelsangkamm
benutzt«
Die Antwort schien Hawke zu erschüttern, und
Harley hatte den Eindruck, daß Hershorn erneut lachen wollte, es
aber nicht schaffte. Jedes Wort, jeder
Atemzug, entkräftete ihn weiter. »Ironisch, was,
Hawke?« schaffte er. Er grinste, aber Harley konnte
sein Zahnfleisch bluten sehen, als sein Körper sich
allmählich zersetzte.
Hawke stand auf und sah zu ihm hinunter, die
Spritze in der Hand.
»Morrison wird Sie dafür bezahlen lassen«, höhnte
Hershorn.
Livia nahm die Spritze in beide Hände und zerbrach sie. Der Inhalt
floß auf den Boden.
Ein Ausdruck des Entsetzens eroberte Hershorns
Züge.
»Er hat schon alles bekommen, was er von mir zu
erwarten hat«, erklärte sie. »Sie haben es versprochen!« krächzte
Hershorn lau: und versuchte den
Kopf zu heben, was ihm aber kläglich mißlang. Hawke trat die Reste
der Spritze davon. Sie floger
aus dem Kreis der Acer. »Jetzt wissen Sie, wie es ist,
betrogen zu werden und vor den Trümmern seines
Lebens zu stehen. Sie haben mich meine Kompanie
und den Menschen gekostet, der mir mehr bedeutet
hat als jeder andere.«
Hershorns Gesicht fiel in sich zusammen. Er lachte, erst hörbar,
dann so schwach, daß kein Laut mehr
aus seiner Kehle drang, obwohl sein Gesicht sich unter der
Anstrengung verzerrte. Er schloß die Augen,
als er die letzten Worte seines Lebens sprach. »Sie wissen es
nicht.«